Trinidad ist nicht nur die größte der ostkaribischen Inseln, sondern auch die einzige, die in nennenswertem Umfang über einen Bodenschatz, nämlich Erdöl, verfügt. Seit 1902 werden die Vorkommen vor der Küste kommerziell ausgebeutet. Dadurch bekam die Insel für die britische Kolonialmacht eine strategische Bedeutung. Im Ersten Weltkrieg wurde die Förderung erheblich ausgeweitet, um die britischen Streitkräfte mit Treibstoffen zur versorgen. Die in der Region einmalige Konzentration von Arbeitskräften auf den Ölfeldern führte zur Bildung der ersten gewerkschaftlichen Organisationen. Eine weitere Konsequenz des Ölbooms war die Zuwanderung von anderen Karibikinseln. Auch viele Kleinbauern und Landarbeiter – zunächst die Männer allein – aus den ländlichen Regionen Trinidads strömten nach Port of Spain mit der Hoffnung, Arbeit in der Ölindustrie oder im Hafen zu finden. An den Rändern und den Hügeln des einst kleinen Städtchens wuchsen Armenviertel, denn längst nicht alle, die kamen, fanden ein festes Auskommen, insbesondere als nach dem Ersten Weltkrieg und dann wieder in der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der dreißiger Jahre die Erdölförderung deutlich zurückgefahren wurde.
So wurde Port of Spain ein unruhiges Pflaster, in dem es immer wieder zu Gewaltausbrüchen kam, zum Teil im Umfeld von politischen Protesten, vielfach aber auch infolge von Fehden zwischen einzelnen Vierteln, Revierkämpfen und Alkoholkonsum. Die Kolonialmacht suchte dem mit Gewalt, vor allem dem Einsatz von Schlagstöcken, und durch Verbote Herr zu werden. Zudem strebte sie an, vorsorglich Ereignisse zu reglementieren, bei denen es zu Schlägereien kommen könnte, etwa den Karneval und andere populäre Aktivitäten. So wurde zum Beispiel das Spielen afrikanischer Trommeln bei Festen verboten.
Um die Repressalien der Polizei zu umgehen, suchten die Feiernden nach anderen rhythmischen Elementen, um sich bei Umzügen bewegen und tanzen zu können. So wurde etwa auf unterschiedlich dicke Bambusstäbe geschlagen oder auf verschieden klingende Metallgefäße, etwa Töpfe, Deckel von Mülltonnen oder die in Trinidad reichlich vorhandenen Ölfässer. Wie daraus ein Musikinstrument entstand, ist in dem kleinen Buch „Steelbands in Trinidad“[fn]Das Medienpaket der Network Medien Cooperative bestand aus dem Buch (80 S.) und zwei Kompaktkassetten. Es nennt kein Erscheinungsjahr. Als ich es Anfang der 1980er-Jahre kaufte, war es relativ neu erschienen.[/fn] des 2012 verstorbenen Schriftstellers Peter M. Michels beschrieben, der dazu als Zeitzeuge den trinidadischen Panman (jemand, der Steelpans baut und spielt) Cecil Augustine zitiert. Der erzählte ihm, wie Winston „Spree“ Simon, einer der Pioniere der Steelpan, irgendwann zu Beginn der vierziger Jahre zu seinem ersten Instrument kam. Ein Mitglied einer der oben beschriebenen Rhythmusgruppen habe den Deckel eines Sodafasses so heftig geschlagen, dass er ganz verbeult war. Was danach passierte, erzählt Cecil Augustine so: „Ich weiß noch, wie Spree später einen großen Stein nahm und damit von innen in dieses Fass schlug, um die Beulen wieder herauszukriegen. Als er das machte, entstand da eine Beule und dort eine Vertiefung. Dann nahm er einen Stock und klopfte darauf herum. Er merkte, dass es überall unterschiedliche Töne gab. Das brachte ihn auf eine Idee. Er nahm sich andere Fässer vor und bearbeitete die ebenso. Das war seine Erfindung. Es gab andere Leute, die zu ähnlichen Ergebnissen kamen, aber ich kann nicht sagen, ob sie auf dieselbe Weise dazu kamen wie Spree. Die erste Melodie, die Spree auf solch einem Instrument spielte, war ‚Mary had a little lamb’. 1946, als der Krieg vorbei war und Karneval wieder gefeiert werden durfte, kam Spree mit seiner Band heraus und spielte zum ersten Mal zwei richtige Lieder, ‚Ave Maria‘ und ‚God save the King‘.“ (S. 30)
So oder so ähnlich muss es gewesen sein. Sicher ist, dass zu Beginn der vierziger Jahre afroamerikanische[fn]Die Bevölkerung Trinidads besteht aus einer afroamerikanischen Mehrheit und einer indischen Minderheit. Erstere lebt vor allem in den Städten, letztere überwiegend in den ländlichen Regionen.[/fn] Musiker in den Armenvierteln Port of Spains begannen, Ölfässer so zu bearbeiten, dass auf ihren Deckeln mit kleinen Stöcken, deren Spitzen mit Gummi umwickelt waren, unterschiedliche Töne gespielt werden konnten. Fakt ist auch, dass die Instrumente im Karneval 1946 erstmals öffentlich präsentiert wurden. Sie bekamen schnell den Namen Steelpans, der in Trinidad und der Karibik bis heute gebräuchlich ist, während sie in Nordamerika und Europa meist Steeldrums genannt werden. Die ersten Panmen hatten zwar meistens ein ausgeprägtes Rhythmusgefühl und ein gutes musikalisches Gehör, aber kaum musiktheoretische Kenntnisse, sodass die ersten Steelpans nach den Ohren desjenigen gestimmt waren, der sie gebaut hatte. So konnte man zwar einfache Melodien, aber sicher keine komplexeren Stücke spielen.
Das änderte sich, als ein Polizeimusiker sich für die Steelpans zu interessieren begann, der 1906 in Barbados geborene Joseph Griffith. Als 14-Jähriger war er in die Police Band seiner Heimatinsel eingetreten. Ab 1932 lebte er einige Jahre in den USA als Jazzsaxophonist, kehrte jedoch in die Karibik zurück, leitete kommunale Orchester oder auch Polizeibands in Martinique, Trinidad, St. Vincent und zuletzt in St. Lucia und sammelte so Erfahrungen als Bandleader. Schließlich übernahm er die Leitung des neuen, 1950 gegründeten Trinidad All Steel Percussion Orchestra (TASPO), das aus den besten Musikern der bis dahin existierenden Steelbands bestand. Griffith war aber nicht nur Dirigent, Lehrer und Arrangeur, sondern interessierte sich auch für die Weiterentwicklung des Instruments. Bereits Ende der vierziger Jahre hatten die trinidadischen Musiker größere Steelpangruppen zusammengestellt. Wie hoch oder tief eine Steelpan klingt, hängt davon ab, wie viel vom Ölfass als Resonanzraum verwendet wird. Bei den hohen, melodietragenden Tenor Pans, denen laut Peter Michels die Violine in einem klassischen Orchester entspricht, bleibt nur der bearbeitete Deckel und ein zehn bis maximal 25 cm breites Stück vom Fassrand, bei den Second Pans, der „Bratsche“ der Steelbands, wird bereits ein Drittel der Fasshöhe übrig gelassen, bei der Guitar Pan, die Michels mit einem Horn oder einer Posaune vergleicht, besteht der Resonanzraum aus dem halben Fass, danach kommen die Cello Pans mit etwa zwei Drittel der Fasslänge und schließlich die Bass Pans, bei denen das gesamte Fass belassen wird. Griffiths Ziel war, die Zahl der spielbaren Töne vor allem auf den hohen Pans zu erhöhen (bis dahin betrug der Tonumfang meist die acht Töne einer Tonleiter) und sie chromatisch statt diatonisch zu stimmen. Mit seiner Unterstützung bekamen die Instrumentenbauer aus den Vierteln das schnell hin, sodass auf den Tenor Pans bald 14 Töne zu spielen waren. Je größer der Resonanzraum der Pans ist, desto weniger Töne können darauf erzeugt werden, auf den Bass Pans sind es bis heute nur vier, maximal fünf.
So verfügte das Trinidad All Steel Percussion Orchestra bald über ein Klangvolumen, das es erlaubte, sehr unterschiedliche Stücke zu spielen, von populärer karibischer Tanzmusik bis hin zu Klassikern des europäischen Barock. Das wurde auch mit Hochdruck geprobt, denn im Juli 1951 stand das Festival of Britain in London an, zu dem Kulturgruppen aus allen Regionen des britischen Empire eingeladen waren. Und dort sollte das TASPO Trinidad vertreten. Die Europareise wurde ein großer Erfolg, die Leute waren begeistert von den Klängen, die die Männer aus Trinidad (es waren nur Männer) den Ölfässern entlockten.
Der Erfolg in Europa sprach sich natürlich auch in der Heimat herum. In der schwarzen Mittelklasse und erst recht der weißen Kolonialelite waren die Panmen aus den Slums bis dahin keineswegs gut angesehen. Sie galten als ungehobelt, versoffen und gewalttätig. Anfangs pflegten sie – wie heute die Gangster-Rapper – dieses Image durch ein entsprechendes Gehabe. Rivalitäten zwischen den verschiedenen Bands wurden durchaus auch mit Fäusten ausgetragen. Aber schließlich einigte man sich – lange vor den nuklearen Supermächten – auf eine friedliche Koexistenz, wozu auch die Gründung des TASPO beitrug. Fortan wurden die Kämpfe musikalisch geführt (Battles). Wenn sich zwei Bands auf der Straße begegneten, begann ein musikalisches Kräftemessen, das im Volksmund Bomb genannt wurde. Die bekanntesten Bands bestanden aus über 100 Leuten, und wenn die Mitglieder zweier solcher Großorchester alles gaben, um die jeweils anderen zu übertrumpfen, konnte der ohrenbetäubende Lärm durchaus Assoziationen mit einer Bombenexplosion wecken.
Der bereits zitierte Cecil Augustine beschrieb das Image und die soziale Zusammensetzung der Steelbands so: „Für die meisten Leute hatte ein Panman dasselbe Ansehen wie ein Krimineller. Die Pan stammt ja auch wirklich aus der Gosse, von den Untersten, den am meisten Unterdrückten. Die besseren Leute schauten immer auf die Panmen herab. Aber hör dir an, was aus der Pan geworden ist. Heute spielen sie sie sogar in den Schulen und in der Kirche.“ (S. 31)
Zu dieser Aufwertung trug maßgeblich die national-antikoloniale Bewegung bei, die sich in den fünfziger Jahren formierte. Die war keineswegs eine revolutionäre Front, die für soziale Gerechtigkeit kämpfte, sondern war überwiegend von den schwarzen und im kleineren Umfang indischstämmigen Eliten (Geschäftsleute, größere Landbesitzer, Intellektuelle, höhere Kolonialbeamte) geprägt, die sich auf die Übernahme des Landes von der Kolonialmacht vorbereiteten. 1958 wurde Trinidad als Teil der Westindischen Föderation aller englischsprachigen Karibikstaaten unabhängig, nach deren Scheitern wurden 1962 zunächst die beiden größten Inseln, Jamaica und Trinidad (im Verbund mit der kleineren Nachbarinsel Tobago), selbstständige Staaten, denen in den Jahrzehnten danach die übrigen englischsprachigen Karibikinseln folgten. Um sich als Projekt der gesamten Bevölkerung zu präsentieren und alle gesellschaftlichen Gruppen zumindest ideologisch zu integrieren (eine ökonomische Integration, also die Teilhabe aller am nationalen Reichtum, war den Eliten nicht so wichtig), brauchte der neue Staat nationale Symbole. Der erste Ministerpräsident von Trinidad & Tobago, Eric Williams, ein vormals kritischer Historiker und Autor des Standardwerks „Capitalism and Slavery“ (1943), sah in den Steelbands ein solches Symbol und förderte ihre Aktivitäten. Wie es häufig bei öffentlicher und privatwirtschaftlicher Förderung popularer Initiativen ist, war damit auch die Idee einer Domestizierung verbunden. Die Zeit der Battles und Bombs sollte vorbei sein.
Seit 1963 wird stattdessen jährlich zu Karneval der „Panoramawettbewerb“ ausgetragen, bei dem die jeweils beste Steelband gekürt wird. Bei Vorentscheidungen in zwei Kategorien in verschiedenen Orten der Insel werden zunächst etwa zwei Wochen vor Karneval die Halbfinalisten bestimmt, aus denen sich bei regionalen Zwischenentscheiden wiederum einige für das Finale an den eigentlichen Karnevalstagen in der Hauptstadt qualifizieren. Den bestplatzierten Bands winkt neben Preisgeldern auch das Sponsoring durch große Firmen. Die Gelder fließen dann in Ausrüstung, Bandkleidung und Feste, leben können die Musiker und mittlerweile auch Musikerinnen davon keineswegs. Für die meisten bleibt es – sehr ernst genommene – Freizeitbeschäftigung. Auch wenn Trinidad & Tobago heute aufgrund der Öleinnahmen der karibische Staat mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen ist, sind die ökonomischen Ressourcen in dem kleinen Land (1,4 Millionen Einwohner*innen) begrenzt. Nur wenige Bandleader und Arrangeure sowie einige Musiker als Mitglieder von Tanzbands machen das hauptberuflich.
Die Steelpans haben sich seit ihren Anfängen massiv entwickelt. Zwar ist das Prinzip immer noch das gleiche. Das Bauen und das aufwendige Tunen (Stimmen) der Pans werden heute absolut professionell betrieben, auch werden keine ausrangierten Fässer mehr verwendet. Der Tonumfang wurde noch einmal erweitert, der Klang verfeinert. Wie von Cecil Augustine dargestellt, gibt es Steelbands längst nicht mehr nur in den ärmeren Vierteln. Auch die Mittelschichten haben das Instrument entdeckt, inzwischen hat fast jede Schule – auch die feinen Privatschulen – ihr eigenes Orchestra.
Bereits wenige Jahre nach der „Erfindung“ der Instrumente in Trinidad verbreiteten sie sich durch die in Trinidad lebenden Migrant*innen, die die Verbindungen zu ihren Heimatinseln nicht aufgegeben haben, in der gesamten Karibik. Selbst im weit entfernten Jamaica gibt es heute Steelbands. Sie blieben aber weitgehend auf die englischsprachigen und teilweise niederländischsprachigen Inseln beschränkt, in der französisch- und spanischsprachigen Karibik sind es nur einzelne, die sich mit den Steelpans beschäftigen. Dafür kamen sie mit ostkaribischen Migrant*innen in die USA, nach Kanada und natürlich ins ehemalige „Mutterland“ Großbritannien. In der Diaspora fanden sie auch Eingang in andere Musikstile, vor allem den Jazz. Bahnbrechend war hier sicher das Album Jamboree des jamaicanischen Jazzpianisten Monty Alexander und seiner Band Ivory and Steel (Elfenbein und Stahl). In den Stücken des Albums erklingt eine Steelpan gleichberechtigt mit dem Klavier.
Inzwischen ist die Pan ein universelles Instrument geworden, für das sich Percussionist*innen aus den unterschiedlichsten Genres interessieren. Und keineswegs nur professionelle Musiker*innen. In Deutschland und der Schweiz wird sie zum Beispiel in der Musikpädagogik eingesetzt (siehe zum Beispiel www.teachersteelpan.de/), weil sie sehr gut geeignet ist, Kindern ein Klanggefühl zu vermitteln.
Aber sie ist auch immer ein Instrument der Unterprivilegierten geblieben, nicht nur in Trinidad & Tobago, sondern auch in Harlem, Brixton und auch überall sonst, wo Migrant*innen aus der Karibik leben.