Dass Fernando Lugo 2008 die Wahlen überhaupt gewinnen konnte, lag an einigen für ihn günstigen Bedingungen, denn die linken Kräfte und sozialen Bewegungen in Paraguay sind deutlich schwächer als in anderen südamerikanischen Ländern. Neben seinem Image als „Bischof der Armen“ profitierte Lugo vor allem von den Machtkämpfen innerhalb der Colorado-Partei (ANR). Die gingen so weit, dass beträchtliche Teile der Partei damals der eigenen Präsidentschaftskandidatin die Unterstützung versagten. Demgegenüber wurde die Kandidatur Lugos nicht nur von den Parteien des Mitte-Links-Spektrums getragen, sondern auch von der liberalen PLRA unterstützt. Diese eigentlich rechte Partei hatte zwar mit dem sozialen Reformprogramm Lugos nicht viel am Hut, hoffte aber, mit Hilfe des populären Ex-Bischofs endlich die Hegemonie der ANR brechen zu können. Zudem trat nach seinem Bruch mit der ANR der noch weiter rechts stehende Ex-Putschist Lino Oviedo an. Der erhielt rund 22 Prozent der Stimmen, die den Colorados am Ende fehlten.

In der Folgezeit traten die Widersprüche zwischen den Liberalen und reformorientierten Kräften in der Regierung immer stärker zutage und führten schließlich dazu, dass die PLRA zusammen mit der ANR die Absetzung Lugos in Angriff nahm. Da die politische Kultur Paraguays noch stärker als anderswo in Lateinamerika von Klientelismus geprägt ist, wird gemutmaßt, dass die Liberalen die Absetzung Lugos auch deshalb betrieben, um im Vorwahljahr über die alleinige Kontrolle über den Staatsapparat zu verfügen und sich mittels der Verteilung von Gefälligkeiten eine günstige Ausgangsposition für die Wahlen am 21. April zu schaffen.

Der PLRA-Kandidat Efraín Alegre hatte in seiner Vorwahlkampagne auch um die Unterstützung der moderaten Mitte-links-Kräfte geworben. Doch lediglich die zentristische PDP ging darauf ein und stellte mit Rafael Filizzola (Innenminister der Regierung Lugo) seinen Vizepräsidentschaftskandidaten. Als die Umfragen vor der Wahl immer klarer auf einen Sieg von Cartes und der ANR hindeuteten, gingen die Liberalen im März eine Allianz mit der ultrarechten UNACE ein, deren Kandidat Lino Oviedo im Februar bei einem dubiosen Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Zwar waren Oviedos Umfragewerte längst nicht so hoch wie 2008, aber auch die zehn Prozent, die man ihm dieses Mal zutraute, wären für Horacio Cartes und die ANR ein Problem gewesen. Mit Unterstützung der UNACE, die nach dem Tod ihres Caudillo freilich den größten Teil ihrer Attraktivität für die rechten WählerInnen verloren hatte, kam Alegre von der PLRA schließlich doch nur auf 36,9 Prozent der Stimmen. Für die PLRA hat sich – ähnlich wie für die Liberalen in Honduras – ihre Beteiligung am „parlamentarischen“ Putsch also nicht ausgezahlt. Sie hat die Wahlen verloren und wird ohne die Unterstützung der Linken auch mittelfristig wohl kaum in der Lage sein, sich gegen die Colorados durchzusetzen.

Bei der ANR hatte es zunächst ähnlich ausgesehen wie 2008. Lange konnten sich die verschiedenen Machtgruppen und Provinzfürsten der Partei nicht auf eine gemeinsame Kandidatur einigen. Schließlich setzte sich der Unternehmer Horacio Cartes durch, obwohl über Wikileaks bekannt geworden war, dass er wegen Verbindungen zur Kokainmafia von der US-Antidrogenbehörde DEA observiert worden war. Dank der geballten Medienmacht der Rechten und den gewaltigen Ressourcen, die ihnen für die Wahlkampagne zur Verfügung standen, konnte Cartes mit 45,8 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahlen am 21. April souverän gewinnen.

Nach dem Verrat der Liberalen an der Regierung Lugo war es verständlich, dass sich die fortschrittlichen Kräfte nicht auf ein neuerliches Bündnis mit der PLRA einließen, obwohl nur ein solches Chancen auf einen Sieg über die ANR gehabt hätte. Doch weniger nachvollziehbar war, dass sich das Mitte-links-Spektrum in den letzten Monaten ein öffentliches Gezeter um die Bildung einer Wahlallianz lieferte. Am Ende konnten sie sich nicht einmal auf eine gemeinsame Kandidatur einigen und traten mit drei verschiedenen Wahlbündnissen an. Da war zunächst das Bündnis Avanza País, für das der populäre Fernsehmoderator Mario Ferreiro kandidierte. Zu Avanza País gehören unter anderem die traditionsreiche, aber kleine sozialdemokratische Partido Revolucionario Febrerista (PRF), die christdemokratische (nach europäischen Kriterien linksreformistische) Partido Demócrata Cristiano (PDC) und die recht aktiven Grünen – allesamt Parteien, die an der Regierung Lugo beteiligt waren. Aníbal Carrillo, der Kandidat des zweiten Bündnisses, der Frente Guasu, kam ursprünglich auch aus der PRF.

Programmatisch unterscheiden sich die Bündnisse Avanza País und Frente Guasu kaum, außer dass ersteres seine Basis vor allem in den Städten und letzteres eher im ländlichen Paraguay hat. Dass es nicht zu einer gemeinsamen Mitte-links-Front kam, lag vor allem an den Widersprüchen zwischen Mario Ferreiro und Ex-Präsident Fernando Lugo, der auf der Frente Guasu-Liste für den Senat kandidierte. Als drittes Bündnis aus dem fortschrittlichen Spektrum trat die feministische Frauenplattform Kuña Pyrenda mit der Autorin Lilian Soto als Präsidentschaftskandidatin an.

Derart gespalten hatte die Linke kaum Einfluss auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen. Ferreiro erreichte 5,88 Prozent der Stimmen, Carrillo kam auf 3,32 Prozent. Die feministische Kandidatur wurde von den WählerInnen eher als symbolischer Akt denn als echte Alternative betrachtet, Lilian Soto erhielt nur 0,16 Prozent der Stimmen. Die Hoffnungen des Mitte-links-Spektrums richteten sich auf die Parlamentswahlen, vor allem darauf, Sitze im Senat zu gewinnen. Die 45 Senatoren und Senatorinnen werden über eine nationale Liste gewählt, die 53 Mitglieder des Abgeordnetenhauses dagegen über regionale Listen. Dabei sind kleinere Parteien benachteiligt, da für einen Sitz in der Abgeordnetenkammer ein relativ hoher Prozentsatz der Wahlstimmen in der jeweiligen Provinz nötig ist.

Bei den Wahlen 2008 hatte sich das fortschrittliche Spektrum auf die Präsidentschaftskampagne für Fernando Lugo konzentriert und die Parlamentskandidaturen weitgehend den Liberalen überlassen. In einem im Dezember 2010 geführten Interview mit der ila erklärte der Bauernführer und Senator Sixto Pereira (vgl. ila 355), er sei eigentlich der einzige Linke im Parlament. So einsam wird er nach seiner Wiederwahl nun nicht mehr sein. Mit Fernando Lugo an der Spitze ihrer Senatsliste erreichte die Frente Guasu rund zehn Prozent der Stimmen und wird künftig vier Senatoren und eine Senatorin stellen. Avanza País erhielt rund fünf Prozent, was wahrscheinlich knapp für drei Senatssitze reichen wird. Zusammen mit einem Senator der sozialdemokratischen Partei Encuentro Nacional und drei Senatoren der zentristischen PDP repräsentiert das Mitte-links-Spektrum nun mit 12 Mitgliedern ein gutes Viertel des Senats, während die PLRA 12 und die ANR 19 SenatorInnen stellen werden. Im Abgeordnetenhaus gingen fast alle Sitze an die traditionellen Parteien, nur Avanza País wird dort mit zwei Abgeordneten vertreten sein.

Was das Funktionieren der staatlichen Institutionen (Verwaltung, Sicherheitskräfte, Justiz, öffentliches Bildungswesen, Gesundheitssystem) und deren Finanzierung durch ein tragfähiges Steuer- und Finanzsystem angeht, liegt Paraguay schon jetzt hinter den anderen Staaten Südamerikas zurück. Auch wenn der Sojaboom dem Land in den letzten Jahren beachtliche Wachstumsraten sicherte, sind die sozialen Standards in vielen Bereichen niedrig und die Armut besorgniserregend. Zudem demonstrierte der Verlauf der Absetzung von Präsident Lugo, dass eine demokratische Kultur in den Institutionen kaum vorhanden ist. Mit dem neuen Präsidenten Cartes dürfte sich dieser Rückstand Paraguays weiter vergrößern.

Mehrere Europaabgeordnete äußerten sich kritisch über die mögliche Verwicklung von Horacio Cartes in den Drogenhandel. Der deutsche Abgeordnete im Europaparlament Jürgen Klute (Die Linke) erklärte, die Vorwürfe sollten von der Justiz des Landes unverzüglich aufgeklärt werden.

Nach dem Wahlsieg des Colorado-Kandidaten ist das katholische Hilfswerk Misereor besorgt über die weiteren Perspektiven. In einer Presseerklärung wird Juan Baez von der kirchlichen Sozialpastoral zitiert, der davon ausgeht, dass mit dem deutlichen Sieg des konservativen Kandidaten Horacio Cartes „die mächtigen Agrarkonzerne und Großgrundbesitzer nun einen wichtigen Fürsprecher an der Spitze des Staates“ haben. Die paraguayischen Projektpartner Misereors befürchteten in der Agrarpolitik Veränderungen zu Lasten der Kleinbauern und indigener Gruppen. Ähnlich sieht es auch Martin Häusling von den Grünen im Europaparlament. Der agrarpolitische Sprecher seiner Fraktion erklärte: „Die ultrarechten Colorados haben mit Horacio Cartes nun wieder das Ruder in der Hand. Mit ihnen werden die unter Lugo 2008 begonnenen Reformen vermutlich zunächst wieder auf Eis gelegt.“ Konzepte für eine nachhaltige Landwirtschaft, die nicht nur den Sojagroßproduzenten und -exporteuren nutze, hätten vorläufig keine Chance mehr, realisiert zu werden.

Nach dem „parlamentarischen Putsch“ wurde die Mitgliedschaft Paraguays in der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur suspendiert. In ihrer Gratulation zur Wahl von Cartes deutete die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner an, man würde sich wahrscheinlich bald bei den Mercosur-Treffen begegnen. Die brasilianische Präsidentin Dilma Roussef will jedoch die aktive Wiederaufnahme Paraguays an Bedingungen knüpfen, wie das deutschsprachige Wochenblatt aus Paraguay mit Verweis auf die brasilianische Tageszeitung Folha de São Paulo meldete. Diese könne nur erfolgen, wenn das paraguayische Parlament der Mitgliedschaft Venezuelas im Mercosur zustimme, so Roussef. Die PLRA- und ANR-Abgeordneten aus Paraguay hatten über mehrere Jahre die Aufnahme Venezuelas blockiert, weil dafür die Zustimmung aller Parlamente der Mercosur-Mitgliedsstaaten vorgeschrieben war. Nach der Suspendierung der Mitgliedschaft Paraguays hatten die verbliebenen Mitglieder Venezuela als Vollmitglied in den Wirtschaftsverbund aufgenommen. Nun liegt es an den neuen paraguayischen Abgeordneten, ob sich ihr Land wieder in den Mercosur eingliedern kann.

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