Die Wahlen sind ein Zirkus

Wie schätzt du die Menschenrechtssituation in Honduras ein?

Honduras wird oft als ein Land im Kriegszustand beschrieben. Krieg setzt jedoch voraus, dass sich zwei gleich starke Parteien gegenüberstehen. Hier ist es nicht so: Militär und Polizei sind auf einer Seite und auf der anderen die Würde, die Menschen, die Musik. Es ist wichtig, sich öffentlich zum Putsch und zu den Machenschaften zu positionieren. Ich habe mich Artistas en Resistencia angeschlossen, die Gruppe Feministas en Resistencia hat sich auch nach dem Putsch gegründet. MenschenrechtsverteidigerInnen im Widerstand gegen das Regime sind der Repression besonders ausgesetzt. 

Die aktuelle Politik kriminalisiert die Arbeit von MenschenrechtlerInnen. Gerade erst wurden Bertha Cáceres als Mitglied des Zivilen Rates der Basis und indigenen Organisationen von Honduras (COPINH) und Magdalena Morales für ihre Arbeit als Verteidigerinnen der Menschenrechte gerichtlich verurteilt. Bertha hat sich angesichts dieses Urteils als politisch Verfolgte erklärt. Als Frauen betreffen uns die Bedrohungen und Verfolgungen noch mehr. Unsere Kinder werden bedroht, ich habe zwei Söhne und eine Tochter im Exil, sie sind jung und sie wurden bedroht. In einem Land, in dem Straflosigkeit herrscht, die allgemeine Kriminalität hoch ist und die Polizei korrupt, verwischen die Grenzen zwischen Repression und allgemeiner Kriminalität manchmal. 

Das landesweite Menschenrechtsnetzwerk, in dem ich auch aktiv bin, begleitet MenschenrechtsaktivistInnen, die in einer Bedrohungssituation sind. Wir stehen ihnen und ihren Familien sowohl juristisch als auch psychologisch bei. Wir versuchen außerdem, einen Raum zu schaffen, in dem wir verschnaufen und uns um uns kümmern können, um uns nicht aufzureiben und wie in den 80er-Jahren beim Versuch des Aufstandes zu scheitern. Wir wollen uns auch um unser Grundrecht kümmern, glücklich zu sein, einen Raum zu haben, um zu sprechen und uns zu erholen – im Rahmen dessen, was in unserem Land möglich ist und was die Realität zulässt. Und um unsere Sicherheit wollen wir uns ebenso bemühen. 

Die Wirkung der Angst verstärkt sich, wenn Menschen ermordet werden, die in der Öffentlichkeit bekannt sind. Die normalen Leute fragen sich dann: „Wenn sogar euch schon etwas passiert, was kann mir dann alles passieren?“ Ich selbst bin auch unruhiger als sonst. Wenn ein Motorrad neben mir hält, werde ich nervös (mehrere Menschen wurden vor einer roten Ampel stehend von einem heranfahrenden Motorrad aus erschossen, Anm. d. Red.). Meine Kinder bitten mich, nicht auf Demos zu gehen, weil sie Angst um mich haben. Das beeinflusst mich natürlich auch. 

Im November dieses Jahres sind Präsidentschafts- und Kongresswahlen in Honduras. Die neu gegründete Partei der Widerstandsbewegung gegen den Putsch, Libertad y Renovación (Freiheit und Neugründung, LIBRE), erhält in den Umfragen gute Ergebnisse – wie ist die Stimmung in Honduras?

Die eh’ schon bedrohliche Situation ist schlimmer geworden. LIBRE als politische Kraft, die hoffentlich die Interessen der Bevölkerungsmehrheit vertritt und auf den Straßen für ihre Rechte gekämpft hat, verfügt über eine große Mobilisierungskraft. Die Machthabenden wollen das unterbinden. Daher hat sich die Repression noch weiter zugespitzt. Es gibt täglich Ermordete, die keine politischen Verbindungen haben, sondern normale BürgerInnen aus ärmeren Vierteln sind. Das Ausmaß ist alarmierend und wie sie aufgefunden werden, ist erschreckend. Sie werden mit gefesselten Händen, auf dem Bauch liegend gefunden, manchmal mit Folterspuren. 

Zwei Monate lang sind die Leichen in Plastiktüten am Straßenrand aufgetaucht, damit sie die normalen Leute auf dem Weg zur Arbeit finden. Damit wird die Botschaft vermittelt: Es kann jede und jeden treffen. Es werden aber auch Personen umgebracht, die in der Öffentlichkeit präsent sind, zuletzt der Journalist Aníbal Barro vor drei Monaten.[fn]Am 24. Oktober meldete El Libertador, dass es ein weiteres bekanntes Mordopfer zu beklagen gibt: Der Kameramann Manuel Murillo wurde an einem verlassenen Ort in Tegucigalpa mit drei Kopfschüssen tot aufgefunden[/fn]. Damit soll Angst geschürt werden, Unsicherheit, das Gefühl ständiger Bedrohung. Trotz allem ist die Stimmung eher positiv, die Menschen sind sehr aktiv und versuchen, etwas zu erreichen. Sie lassen sich nicht lähmen von der Bedrohung und der Angst. Die Menschen, die nicht in politische Zusammenhänge eingebunden sind, haben mehr Angst.

Viele trauen sich nicht, sich zu LIBRE zu bekennen, aber ich glaube, sie werden sie wählen. Es gibt jedoch starke Anzeichen, dass es Wahlfälschungen geben wird. Die Rechte hat den Putsch in Honduras nicht gemacht, um einige Jahre später der Linken bei den Wahlen die Macht zu überlassen. Der Putsch hat stattgefunden, um ein bestimmtes Machtmodell und bestimmte Interessen abzusichern. Die Gesetze, die in dieser Zeit geschaffen wurden, wie zum Beispiel zu den Modellstädten (charter cities), die einen Staat im Staat mit eigenen Gesetzen und Institutionen schaffen, der die Souveränität umgeht; oder das Gesetz über Zeitarbeit, das Gesetz über die Pille danach – auf allen Ebenen. Religiöser Fundamentalismus macht sich breit. 

Es gab eine Reform des Artikels 3, Paragraph 21, der sich gegen Diskriminierung wendet. Unter Berufung auf diesen Artikel haben die honduranischen LGTB (Lesbian, Gay, Trans & Bi) zwei Pastoren angeklagt, die sich gegen deren Kandidaturen für politische Ämter ausgesprochen haben. Es sei Teufelswerk, wenn Homosexuelle in politische Ämter kämen. Der Putsch hat einen legalen Rahmen geschaffen, damit die Oligarchie das, was immer in der Illegalität stattfand, nun im legalen Rahmen weiterführen kann, den Ausverkauf des Landes. Auch die StaatsanwältInnen wurden ausgetauscht, sodass es nun nur noch solche gibt, die dem System positiv gesonnen sind. Selbst wenn Xiomara Castro mit LIBRE die Wahlen gewinnen würde, hätte sie den gesamten Rechtsapparat und die Oligarchie gegen sich. Unter diesen Umständen wird es sehr schwer sein zu regieren. Die Wahlen sind ein Zirkus. 

Die ehemals linke Partei UD (Demokratische Vereinigung) hat ihre Legitimität verloren, als sie an den Wahlen 2009 teilgenommen und dann auch noch in der „Regierung der Nationalen Versöhnung“ von Pepe Lobo das Agrarministerium übernommen hat. Das Thema Land hat ein sehr großes Gewicht in Honduras: 70 Prozent der Bevölkerung lebt auf dem Land. Der Großgrundbesitz ist enorm, vor allem das fruchtbare Land befindet sich in wenigen Händen. Die UD behauptet, wenn sie nicht selbst das Ministerium geleitet hätten, hätte es noch mehr Tote bei dem Landkonflikt im Aguán-Tal gegeben; ihre Leitung dieses Ministeriums hätte die Verfolgung verringert. Das Problem ist jedoch ein ethisches, kein statistisches oder quantitatives. Sie nehmen in Kauf, dass der Staat Miguel Facussé Millionen an Subventionsgeldern zahlt. Das ist ein falsches Geschäft, das dort vonstatten geht.

Wird sich nach der Wahl etwas ändern?

In ganz Lateinamerika gibt es wichtige Kämpfe, indigene Bewegungen werden stärker, alternative Modelle werden stark diskutiert. Das haben wir stets unterschätzt: den Aufbau der Macht von unten, aus den sozialen Bewegungen heraus, die indigene Version der Gemeingüter. Wir als Feministinnen haben Macht immer thematisiert. Aber heute stellen sich andere Fragen. In den 80ern bin ich losgezogen, um die Revolution zu machen mit einer Coca Cola in der Hand. Heute fragen mich meine Kinder: „Coca Cola??“ Die eigenen Konsummuster sind zu hinterfragen, was machst du mit deiner Zeit, wofür gibst du dein Geld aus? Die Linke hat sich schwer getan, dies aufzunehmen. 

Was muss in Honduras anders werden?

Die Straflosigkeit. Das ist das größte Problem. Auch offensichtliche Vergehen werden nicht bestraft. Die Weltbank finanziert einen Staudamm und es ist egal, ob die Rechte der indigenen Völker dabei verletzt werden, denen es zusteht, dass sie bei der Nutzung ihres Landes konsultiert werden, und das ablehnen können. Auch die Terminologie über den Putsch macht die Doppelzüngigkeit deutlich: In New York in den UN wird von einem Putsch in Honduras gesprochen, aber bei den in Honduras ansässigen Instanzen der UN ist es verboten, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Da heißt es „die Ereignisse um den 28. Juni“ oder die politische Krise. In Honduras gibt es so viele Morde und die UN verfasst noch nicht mal eine Stellungnahme dazu. Dennoch wenden sich die Menschen immer wieder an diese Instanz, die offensichtlich nicht eingreift. Was bleibt uns also zu tun?

Du hast vor kurzem deine dritte CD Recordarles veröffentlicht. Worum geht es in deiner Musik?

Meine neue CD hat sehr alltagsnahe Themen. Nach dem Putsch entstanden acht neue Stücke von mir, die noch nicht veröffentlicht waren. Das 30-jährige Bestehen der Organisation der Angehörigen von Verschwundenen COFADEH (Komitee der Angehörigen von Verhafteten und Verschwundenen in Honduras) hat mich zu einem Lied inspiriert, in dem ich die Figur des Helden oder der Heldin entmythologisieren und die Alltagssituation, in der wir leben, in den Mittelpunkt rücken will, zum Beispiel ein Kind, das ein Elternteil vermisst. Ein anderes Stück wendet sich gegen sexuellen Missbrauch, des Weiteren ist meine Version von der Nationalhymne auf der CD. Die Nationalhymne ist bei uns ein Machtsymbol, sie kommt aus einer militaristischen Tradition. Ich habe mit einer anderen Sängerin zusammen eine Trova-Version davon gemacht, um eine Version zu kreieren, die näher an der Bevölkerung ist. Dieses Stück ist nun zur Hymne der Widerstandsbewegung geworden – so hat die Bewegung das Symbol zurückerobert.