The law will jail the man or woman

Who steals the goose from off the common
But leave the greater villain loose
Who steals the common from the goose
(Autor unbekannt)

Das Gesetz sperrt ein, ob Mann ob Weib
wer der Allmend ‘ne Gans entwendet,
doch lässt’s die großen Gauner ziehen,
die die Allmend den Gänsen stehl’n. 
(Übersetzung S.H.)

Wenn man sich dafür interessiert, wann der nächste große Transfer von Reichtum vom Öffentlichen an das Private stattfinden wird, muss man sich den Prozess der Einzäunung ansehen. Im England des 17. und 18. Jahrhunderts war es die Einzäunung von gemeinsam genutztem Land. Heute sehen die Einzäunungen der Gemeingüter ganz anders aus.“[fn]John Hepburn: Die Rückeroberung von Allmenden – von alten und von neuen. 15.09.2005 —Znet. http://zmag.de/artikel/Die-Rueckeroberung-von-Allmenden-von-alten-und-von-neuen[/fn] Der Prozess der enclosure trieb die Intensivierung und Kommerzialisierung der britischen Landwirtschaft voran. Enclosure steht also nicht nur für „Eingrenzung“, sondern auch für „Produktivitätssteigerung“. Die Logik war: Privateigentum führt zu besseren Erträgen und versorgt damit mehr Menschen. Zugleich aber wurden durch diesen Prozess die Rechte der commoners beschnitten und soziale Bindungen – oft gewaltsam – aufgelöst. Im Zusammenhang mit den Highland Clearances, der Hochlandräumung zur flächendeckenden Einführung intensiver Schafzucht in Wales und Schottland im 19. Jahrhundert, wurden ganze Dorfgemeinschaften nach Australien und Amerika zwangsdeportiert oder zur Emigration gezwungen. Auch der deutsche Begriff lässt in seiner Doppeldeutigkeit aufhorchen: Bauernlegen heißt die Eingliederung (das Zusammen„legen“) bäuerlicher Einzelbetriebe in Gutsherrenbetriebe. Wobei viele Bauernhöfe ganz verschwanden. Der ländliche Feudaladel brauchte – im Zuge des Erstarkens der Städte – mehr Geld. Den Bedarf danach „konnte er am besten befriedigen, wenn er das Hofland auf Kosten des Bauernlandes ausdehnte und seine vergrößerte Gutswirtschaft durch erhöhte Arbeitsleistungen der übriggebliebenen Bauern und der neuen Leibeigenen unterhielt“.[fn]www.ernst-moritz-arndt-gesellschaft.de/ema4/ema424.htm[/fn] Dies geschah im deutschsprachigen Raum seit dem 15. Jahrhundert. Enclosure meint somit auch: Konzentration und zunehmende Produktion für den Verkauf statt für den Gebrauch oder Eigenbedarf. 

Enclosure-Bewegungen betreffen jeweils die Ressourcen (und unsere Zugangs- und Nutzungsrechte an ihnen), die die jeweilige Basis des wirtschaftlichen Reichtums bilden. Im Zuge der Ausweitung der enclosure auf die produktiven Ressourcen der Informations- und Wissensgesellschaft hat der US-amerikanische Jurist James Boyle in seinem 2003 erschienenen Aufsatz zur Analyse des gegenwärtigen Umgangs mit Wissen, genetischem Code und kulturellen Inhalten den Begriff der Second Enclosure Movement geprägt. Was geschieht derzeit anderes, fragt Boyle, als eine „Einzäunung“ unserer Gene, unserer Ideen, unserer Forschungsergebnisse, Daten und Geschichten? Alles Dinge, die bislang gemeinfrei waren und damit Teil dessen, was wir nicht für privataneignungsfähig hielten. Boyle beschreibt die permanente – oft schleichende und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkte – Ausweitung des Patentrechts und anderer so genannter „Geistiger Eigentumsrechte“ auf Software, Daten, Zellen oder Materie. Nichts bleibt ausgenommen. Dabei ist das Konstrukt des „Geistigen Eigentums“ ein eigenwilliges. Die Realität der „Geistigen Eigentumsrechte“ ist besser mit „Geistigen Monopolrechten“ beschrieben.

„Die Expansion der intellektuellen Eigentumsrechte war bemerkenswert – von Patenten auf Geschäftsmethoden bis zum Digital Millennium Copyright Act, den Regelungen zur Nichtverwässerung von Handelsmarken (to trademark antidilution rulings) oder der Europäischen Richtlinie über den rechtlichen Schutz von Datenbanken. Zudem stehen die alten Grenzen intellektueller Eigentumsrechte – die Antierosionsdämme rund um die Public Domain – unter Beschuss. … Ich kann nur einen nostalgischen Blick zurück wagen auf einen fünf Jahre alten Text, mit einer vertrauenswürdigen Liste von Dingen, auf die sich intellektuelle Eigentumsrechte nicht beziehen konnten, mit der Aufzählung von Privilegien, die mit den existierenden Rechten verbunden waren, oder der Benennung des Zeitpunktes, zu dem ein Werk in die Public Domain fiel. In jedem Fall sind die Grenzen verzehrt worden.“[fn]James Boyle: The second Enclosure Movement and the Construction of the Public Domain, 2003. Diesem Text ist auch das oben zitierte Gedicht entnommen.[/fn]

Mit der Revolution in der Landwirtschaft änderten sich die Landbesitzstrukturen. Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert brachte die massive Nutzung des Patentsystems für intellektuelles Eigentum mit sich. Die Informationsrevolution im 20. Jahrhundert motivierte die Ausweitung dieses Systems auf Software und Daten. Die Revolution der Bio- und Nanotechnologie trieb und treibt die Anwendung des Patentrechts auf Leben und Materie voran. 1988 wurde das erste Patent auf ein Lebewesen ausgestellt, die Harvard Oncomouse. Heute gibt es Patente auf Züchtungsverfahren für Hausschweine (EP 1651777, vom 16. 7. 2008) oder den Brokkoli (EP 1069819, vom 24. 7. 2002). Die enclosures folgen dem Takt des „technologischen Fortschritts“. Neue Technologien ermöglichen durch das Entschlüsseln und Fragmentieren der Ressourcen, dass immer mehr Elemente dem Verwertungsdruck unterworfen werden können. Die Frage, ob Gensequenzen patentierbar sind, stellt sich erst seit wenigen Jahrzehnten. Die Frage, ob Bausteine der Materie auf Nanoebene privat angeeignet werden können, ist derzeit aktuell. Und die Bodenschätze des Mondes werden als „Gemeinsames Erbe der Menschheit“ (nach dem Mondvertrag der Vereinten Nationen von 1979) genau dann in Frage gestellt, wenn diese Bodenschätze tatsächlich abgebaut und zur Erde transportiert werden können. 

Die bisher benannten Formen der Einhegung sind klassische Privatisierungen, die über „die Macht des Stärkeren“ und den Rechtsweg durchgesetzt werden. Wobei sich der Schutzbereich des Eigentumsrechts über Sachen und Inhalte immer weiter ausweitet. Enclosure ist aber mehr als Privatisierung. Es ist ein Prozess des Zurückdrängens der commons, ein Prozess der Konzentration und des autoritären Entzugs der Verfügungsgewalt der jeweiligen Gemeinschaften über ihre Ressourcen. Er kann bis zur Zerstörung von Ressourcen und Sozialstrukturen voranschreiten. Einhegung kann aber auch anders erfolgen als durch klassische Privatisierungspolitik. Das macht die enclosures oft schwer identifizierbar. Gesetze kann man übertreten. Technologisch erzwungene Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen (enclosures) hingegen verlangen besondere Fertigkeiten, um sie zu „knacken“. Deswegen hat etwa die Musik- und Softwareindustrie den Urheberrechtsschutz durch Kopierschutzmechanismen verschärft. Kopierschutzmechanismen und geschlossene Standards verhindern nicht nur die unerlaubte Nutzung digitaler Inhalte, sondern sie ermöglichen auch, dass bestimmte Programme nur noch auf bestimmten Geräten laufen und auf anderen nicht. Nicht der Bürger/die Bürgerin bestimmt, was er/sie nutzen möchte, sondern die Industrie sagt ihm/ihr: Wenn du Zugang zu einem bestimmten Inhalt haben willst, so bist du gezwungen, ein bestimmtes Gerät zu erwerben. Kopierschutzmechanismen und proprietäre Standards sind also technologische Formen der Einschränkung unserer Nutzungsrechte an digitalen Inhalten und unserer Entscheidungsfreiheit. Für HackerInnen sind Kopierschutzmechanismen allerdings eher eine Herausforderung denn ein Schutz. Neue Technologien sind nämlich auch dafür einsetzbar, die Grenzen der Einhegungen erneut aufzubrechen und die Wissensallmende (über die kooperative und inkrementelle Produktion freier Inhalte) schneller zu füllen denn je.

In ähnlicher Weise ist die so genannte Terminatortechnologie eine gentechnologische Maßnahme zur Einschränkung der Nutzung von Genen. Saatgut wird sterilisiert und um seine Keimfähigkeit gebracht. Damit werden die Bauern gezwungen, jährlich neues Saatgut zu kaufen, statt einen Teil ihrer Ernte einzubehalten. Es ist ein – im Wortsinn – tödlicher Mechanismus, der nicht nur dem Saatgut das Leben nimmt, sondern auch viele Bauern in den Entwicklungsländern in den Ruin und den Freitod getrieben hat. Die Terminatortechnolgie ist der Kopierschutzmechanismus für Saatgut. Der Prozess der Einzäunung funktioniert demnach über ökonomische Konzentration (Aufkaufen, Korruption u.a.), über klassische Privatisierungspolitik und über den Einsatz von Technologien. Und schließlich gelingt er auch durch soziale Kontrolle darüber, wie wir über die uns umgebenden Ressourcen denken. Was verstehen wir als öffentlich, was als Gemeingut, was als privat? Wieso haben wir uns so schnell an den Zustand gewöhnt, dass die Nutzungsrechte der Allgemeinheit am ursprünglichsten aller commons – der Erdoberfläche (Land und Boden) – fast flächendeckend durch private Eigentumsrechte beschränkt werden? Wieso gelingt es der „convenience food industry“ weltweit, Ernährungsgewohnheiten rapide zu verändern und damit die Bindung zu lokal verfügbaren Ressourcen (deren Pflege und Nutzung) zu schwächen? Warum gibt es keinen kollektiven Aufschrei darüber, dass Walt Disney fast all seine Geschichten der Allmende entnommen, aber keine in die Allmende zurückgegeben hat? Warum halten nach wie vor viele (progressive) politische Institutionen die Nutzung aggressiv auf den Märkten durchgesetzter und mit Monopolmacht über unser Kommunikationsverhalten versehener „proprietärer Software“ (ja, wir sollten in der ila auch mal darüber diskutieren, ob wir weiter mit Microsoft-Produkten arbeiten – d. Säz.) oder die Anwendung des restriktiven Urheberrechts für eigene Werke für politisch hinnehmbar? Es gibt keine substantiellen gesellschaftlichen Veränderungen mit Technologien, die dafür geschaffen sind, die Allmende zu plündern. Wer Monsanto kritisiert, muss sich auch kritisch mit Microsoft auseinandersetzen.

Enclosure heißt – egal ob getragen von Saatgut- oder von Softwarekonzernen, vom Staat oder von Einzelnen – marktvermittelte Beziehungen, die mit dem absoluten Eigentum über Dinge und Ideen verbunden sind, die Breschen in die commons schlagen. Eine um die andere. Die Wissensallmende ist im Ergebnis dieser Einhegungen in ähnlicher Weise durch Unternutzung bedroht (überall lauern Ver- und Gebote von „Rechteinhabern“ und damit verbundene Kosten) wie die klassische Allmende Gefahr läuft, übernutzt zu werden, wenn entsprechende Zugangs- und Nutzungsregeln nicht greifen. Bei den commons geht es aber grundsätzlich darum, die Nutzungsrechte und -möglichkeiten so demokratisch und offen wie möglich zu gestalten. Es geht um den Erhalt der gesellschaftlichen Verfügungsgewalt über das, was uns zusteht. Den Menschen sind „in jenem Ausmaß Entscheidungen über diese Ressourcen“ zuzugestehen, „wie sie durch diese Entscheidungen betroffen werden“. „Wenn man von einer Entscheidung nicht beeinflusst wird, dann hat man kein Recht darauf, mit zu entscheiden. Wenn man beeinflusst wird, dann hat man ein Recht“, sagt John Hepburn. Commons sind somit Räume der partizipativen Demokratie und Selbstverwaltung. Die Einhegung der commons steht dem diametral entgegen. Um ihr entgegenzutreten, müssen wir zunächst drei Dinge tun: Erstens Gemeingüter als solche erkennen, benennen und als „unser“ identifizieren. Zweitens analysieren, wo Einzäunungen dieser Gemeingüter mit welchen Mitteln (Technologien) und Strategien stattfinden. Und drittens müssen wir enclosures als das bezeichnen, was sie sind: Diebstahl an unserem Kollektivbesitz.

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