Wie organisiert ihr euch im El Alicia?

Es gibt Leute, die das Programm machen, die ein Layout entwerfen, die für die Werbung sorgen, Flyer verteilen und plakatieren gehen, oder Leute, die bei den Veranstaltungen selbst für den Ablauf sorgen. Dann gibt es noch die Licht- und Tontechniker, Leute an der Kasse und hinter der Bar. Wir sind alle compañeros, aber ein richtiges Kollektiv sind wir nicht. Manchmal hängt alles ein wenig von mir ab, z.B. wenn die Polizei kommt und die jungen Leute sich aufregen. Sie haben uns den Laden schon einige Male zugemacht. Es gibt compañeros, die nicht mit den Bullen umgehen können, vor allem wenn sie mit Waffen und allem Drum und Dran in unser Zentrum eindringen. Ich bin mittlerweile dazu übergegangen, ziemlich viel hier zu sein; für mich gibt es kein normales Leben, das ist eben das Schicksal aller AktivistInnen. Und die compañeros hier sind AktivistInnen, selbst wenn sie sich selbst nie so bezeichnen würden: Sie kommen jeden Tag und machen immer irgendetwas.

Könnt ihr von dieser Arbeit leben?

Ja, alle bekommen Geld dafür. 

Habt ihr politische Kriterien für euer Programm?

Nein, aber ich fände es toll, wenn es eine politisierte Szene geben würde. Immerhin haben wir erreicht, dass wir selbstverwaltet funktionieren. Wir verlangen von den Gruppen keine ideologische Position, sondern dass sie gucken, wie wir uns organisieren und dass sie sich ebenso selbst verwalten. Wo die Kulturszene vorher noch nicht politisiert war, hat der Zapatismus deutlichen Einfluss entwickeln können, besonders unter den Jugendlichen in Mexiko-Stadt. Dort haben sich oppositionelle Einstellungen entwickelt, die sich auf die Zapatistas, die Gemeinden, den Aufstand beziehen. Obwohl sie also nicht politisiert sind, gibt es einen politischen Bezug, allerdings unorganisiert. Dazu gibt es eine kulturelle Debatte. Das große Problem dabei ist, dass es keine linken Kulturstrukturen gibt: weder linke Plattenlabel, noch Konzertagenturen, noch Orte oder Projekte. 

Wie läuft das ab, wenn die Leute anfangen sich selbst zu organisieren?

Sie sehen, wie wir hier arbeiten, Aufnahmen machen etc. Ich glaube, vor uns hat das noch niemand so gemacht, alle Bands erwarteten immer, dass die Plattenlabel sie berühmt machen. Aber die Plattenlabel wollen Geschäfte machen. Da Rockmusik in Mexiko nicht an erster Stelle steht, gibt es andere Musikrichtungen, die einträglichere Geschäfte garantieren. So gibt es für Rockmusik immer weniger Auftrittsorte und Aufnahmemöglichkeiten. Langsam haben es die Bands verstanden: „Lasst uns nicht mehr zu den Plattenlabeln gehen, wir machen alles selbst, Aufnahmen, Konzerte, T-Shirts, CDs“. Vorher hattest du nur die Alternative mit der Regierung oder mit der Privatwirtschaft zusammen zu arbeiten. Jetzt haben wir immerhin unsere Selbstverwaltung erreicht. Wir haben gezeigt, dass es geht. Seit neun Jahren machen wir das so.

Außerdem stellen wir hier Zeitschriften, Bücher und Videos vor, organisieren Lesungen, Diskussionsabende und Workshops. Manchmal überschneidet sich das Publikum von z.B. den Buchvorstellungen und von den Konzerten. Zu den Diskussionsveranstaltungen kommt auf jeden Fall ein Publikum, das zapatistisch und vielleicht ein bisschen erwachsener ist; aber generell haben wir ein junges Publikum.

Können Musikgruppen hier auch ihre CDs aufnehmen?

Wir haben hier ein Studio. Manchmal kann man nichts anderes nebenher machen, bis die Musiker mit ihren Aufnahmen fertig sind. Dieser Raum ist sehr klein, darum dreht sich auch eine Auseinandersetzung mit der Stadtverwaltung: Wir fordern, dass die Stadt leer stehende, ungenutzte Räume den Kulturschaffenden überlässt. Es gibt viele leer stehende Theater und andere Gebäude, die Privatpersonen gehören und die von der Stadt aufgekauft werden könnten. Die Stadt organisiert manchmal Konzerte auf dem Zócalo, dem zentralen Platz der Stadt, die sehr schön und notwendig sind, aber jedes Konzert dort kostet mehr als eine Million Pesos (etwa 60000 Euro). Deshalb sage ich: Steckt dieses Geld in unabhängige Kulturzentren, davon gibt hier es sowieso viel zu wenige.

Wenn nun die Regierung die unabhängigen Kulturschaffenden unterstützen würde, wäre das nicht ein Widerspruch zum zapatistischen Anspruch, keinerlei Regierungshilfen zu beziehen?

Ich weiß es nicht. Ich habe mal den ZapatistInnen die Frage gestellt: Warum machen wir keine Besetzungen? Und sie haben nein gesagt, aus einem ganz einfachen Grund: Weil du dann mit der Stadtregierung verhandeln musst, die dich als Zapatisten erkennen und dann sofort sagen werden: „Wir arbeiten mit den Zapatisten zusammen, wir stellen ihnen das und das zur Verfügung.“

Wer hat euch so geantwortet?

Die Zapatistitsche Front zur Nationalen Befreiung (FZLN). Mit anderen ähnlichen Kulturkollektiven – manche nicht ganz so politisiert wie El Alicia – haben wir uns zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Unser erstes Anliegen ist es, dass wir von der Stadtverwaltung überhaupt als Kulturstätten anerkannt werden. Im Gesetz sind wir nicht vorgesehen, weswegen sie uns jeden Moment die Bude zumachen können. Deshalb ist das zunächst unser Hauptanliegen, eine neue Lizenz für Orte wie unseren zu schaffen, eine offizielle Anerkennung. Es ist nämlich schon passiert, dass korrupte Beamte gekommen sind, die uns Geld abgeknöpft haben unter der Drohung, den Laden schließen zu lassen. Außerdem zahlen wir jeden Monat Miete für unsere Räume.

Wir schaffen hier in dieser Stadt Kultur: Theaterleute, SchriftstellerInnen, bildende KünstlerInnen, MusikerInnen, MalerInnen … Und die FZLN sagt: „Wir machen keine Besetzungen“. Unserer Meinung nach ist aber die Stadtregierung dazu verpflichtet, leer stehende Gebäude der Kulturszene – in der nicht alle ZapatistInnen sind – zur Verfügung zu stellen.

Könnt ihr nicht Besetzungen machen, ohne dass sich die Stadtregierung einmischt?

Wir haben das noch nicht so klar für uns, mit wem man am besten zusammen arbeitet, mit Rechtsanwälten oder den Medien oder … Aber die Zapatistas haben uns immer am meisten unterstützt, sie sind unsere eigentlichen Partner. Einige Dinge stören mich zwar beim Zapatismus, aber sie sind die einzigen, mit denen wir zusammen arbeiten möchten. Ich erinnere mich an einen Satz aus dem argentinischen Film La Patagonia Rebelde: „Auf keinen Fall – aber ich akzeptiere die Entscheidung der Mehrheit.“ Das war für mich das Beispiel: Die Mehrheit irrt sich zwar manchmal, aber ich bin mit dabei. Ähnlich geht es mir mit den Zapatistas: Wenn wir mit ihnen zusammen arbeiten, akzeptieren wir auch ihre Art sich zu organisieren. In der Stadt hat man es sehr bequem, wir beschweren uns, aber wir haben zu allem Zugang. Ich würde niemals den Gemeinden sagen, dass sie falsch liegen. Darin liegt für mich die Ethik.

Wie siehst du die Sechste Erklärung im Vergleich zu den vorherigen Initiativen der EZLN?

Die Kommandantur hat die Zivilgesellschaft dazu eingeladen sich zu organisieren. So rief sie die Convención Nacional Democrática ins Leben, die Intergalaktischen Treffen etc. Aber dort wurde nichts entschieden und die Gespräche gerieten ins Stocken, denn es kamen nichtzapatistische Gruppen, die die ganze Versammlung aufhielten. So sagten sich die Zapatistas: Warum organisieren wir das nicht, verdammt noch mal? Wir haben euch bereits zwei oder drei Chancen gegeben, damit ihr euch autonom organisiert – und was ist dabei herausgekommen? Nichts, denn die Parteien haben sich eingemischt, die Ultras, Leute, die alles behindern, oder Leute, die die ganze Versammlung beherrschen, mit Rumgeschreie und Prügeleien. 

Die Zapatistas haben nun ihre Erklärung in die Gemeinden gebracht, damit es auf nationaler Ebene diskutiert wird, mit den ArbeiterInnen, den Studierenden, den Homosexuellen, mit allen möglichen Leuten. Aber ich glaube, dass sie nun aufgrund der vorherigen Erfahrungen die Regeln vorgeben. Innerhalb der Sechsten Erklärung wird die Autonomie der Kollektive respektiert und Punkt. Wenn du also innerhalb der Sechsten und bei der EZLN mitmachen willst, musst du dich schon ein bisschen disziplinieren. 

Bei der Sechsten mitzumachen heißt also ein bisschen Teil der EZLN zu sein?

Nun, bei der EZLN und ihrer Sechsten Erklärung. Sie sagen, wenn du mit der Sechsten einverstanden bist, nur zu, trag dich ein. Und sie werden die Versammlungen organisieren, mal sehen, was die Kommandantur auf nationaler oder internationaler Ebene vorschlagen wird. Viele Leute sagen heute: Was ist denn mit denen los, dass sie nun so viel vorgeben? Ich antworte ihnen, dass es vorher zwei oder drei Chancen gab, damit wir uns organisieren, und wir haben es nicht hinbekommen. Soll die EZLN uns jetzt mal sagen, wie es besser geht, vielleicht funktioniert es dann. Sie selbst machen gerade diese unglaublichen Erfahrungen mit Selbstverwaltung in ihren Juntas de Buen Gobierno …

Ich habe schon einen Brief an die Zapatistas geschickt, dass wir einverstanden und bereit sind mitzumachen. Ich finde, dass die Zapatistas es bis jetzt richtig gemacht haben, sie haben zehn Jahre lang durchgehalten, haben ihre Selbstverwaltung aufgezogen und sie wissen sich zu organisieren.