Der erste Gerichtstermin mit den sechs Angeklagten im Mordfall an ihrer Mutter, geschehen vor gut einem Jahr, am 2. März 2016, fand am 19. April 2017 statt. Berta Cáceres geht nicht davon aus, dass die staatlichen Ermittlungen ordnungsgemäß verlaufen. Denn auf der Anklagebank befinden sich derzeit nur diejenigen, die den Abzug drückten, nicht die Hintermänner. Das sagen auch MenschenrechtsbeobachterInnen.
„Obwohl sich die Interamerikanische Menschenrechtskommission für eine unabhängige Expertenkommission zur Untersuchung in dem Fall ausgesprochen hat, hat die Regierung das nie akzeptiert“, bedauert die Tochter der in ihrem Haus erschossenen berühmten Umweltschützerin bei ihrem Besuch in Brüssel.
Ein Jahr nach dem Verbrechen trägt Berta die Sorgen ihrer Familie und der Organisation, deren Vorsitzende die Mutter war, nach Europa und die der indigenen Gruppe der Lenka, deren Gebiet weiterhin vom Staudammprojekt Agua Zarca bedroht ist.
Dieses Vorhaben mit seinen 17 Staustufen wird schädliche Auswirkungen auf die Umwelt und den Fluss Gualcarque wie auf die Subsistenzwirtschaft und die Kultur der AnrainerInnen haben, sagt Bertita. Das tausend Jahre alte Volk der Lenka, das in einem Gebiet wohnt, das bis 2009 unter Naturschutz stand, wurde nie zum Projekt konsultiert. Dagegen zu protestieren kostete Bertas Mutter das Leben.
Hat sich nichts geändert? Die Aufmerksamkeit und die Welle internationalen Protestes, die der Mord an der 2016 prämierten Umweltaktivistin auslöste, ließen Hoffnung aufkeimen. FMO und Finnfund, die holländische und die finnische Entwicklungsbank, kündigten die Suspendierung der für das Megaprojekt vorgesehenen Fonds an.
Doch „sie haben ihren Rückzug von dem Projekt vor fast einem Jahr angekündigt, aber sie haben ihre Ankündigung bislang nicht umgesetzt. Andererseits können die Betreiber auch anderswo eine Finanzierung suchen, denn ihre Konzession gilt für 50 Jahre. Wenn ihnen diese Erlaubnis nicht entzogen wird, bleibt die Bedrohung fortbestehen. Es wird heftig daran gearbeitet, weiterhin bewaffnete Gruppen zu finanzieren, die die Gemeinden, die Widerstand leisten, einschüchtern. Weiterhin werden lokale Amtsträger, ja sogar die lokale Bevölkerung bestochen, damit sie an so genannten offenen Ratsversammlungen, den cabildos abiertos, teilnehmen und sich dort für das Projekt aussprechen. Die gleichen Zustände, die zu dem Mord führen, existieren in Honduras bis heute fort“, beklagt Berta Cáceres.
Auf die Frage, in welchem Maße der Tod ihrer Mutter ihr eigenes Leben beeinflusst hat, antwortet Berta Cáceres: „Für meine Geschwister und mich war es ein sehr kompliziertes Jahr, nicht nur wegen des Todes unserer Mutter, sondern auch, weil wir uns all den Hindernissen ausgesetzt sahen, die die Behörden aufstellen, um den Zugang zur Wahrheit zu verhindern. Einer Untersuchungsrichterin wurden die Akten gestohlen. Wir haben überhaupt keinen Kommunikationskanal. Wenn wir etwas erfahren wollen, müssen wir Zeitungen lesen“, fährt Berta fort.
Nach einem Abschluss in Erziehungswissenschaften absolviert sie derzeit in Mexiko einen Masterstudiengang in Lateinamerikastudien. Aber sie kümmert sich auch viel mehr als früher um die Unterstützung der Aktivitäten von COPINH (Ziviler Rat der Popularen und Indigenen Organisationen in Honduras). Auch wenn sie den gleichen Namen trägt, hat Berta Cáceres nicht den Eindruck, dass sie den Platz ihrer Mutter eingenommen hat. „Nicht im Entferntesten“, unterstreicht sie.
Wirklich nicht? „Meine Mutter war eine der Personen, die große politische Klarheit besitzen, sie war eine der StrategInnen der sozialen Bewegung in Honduras. Auch wenn wir öffentliche Personen sind, werden unser Wort und unsere Positionen von vielen Organisationen unterstützt. Ihr Tod hat dazu beigetragen, dass Honduras viel mehr Aufmerksamkeit bekommt, dass viele Organisationen Berichte über die Gefahren in dem Land herausgeben“, sagt Berta, deren eher fragile Gestalt mit der Entschlossenheit ihrer Botschaft kontrastiert.
Sie weiß ganz genau, dass der Kampf ihrer Leute für ein autonomes Projekt, das eigene Territorium, Kultur und Werte bewahren, eines ist, das langen Atem braucht. Und ihr ist auch sehr klar, dass das herrschende Entwicklungsprojekt „mit der historischen Ausplünderung unseres Territoriums zu tun hat. Um wie ein Land der ersten Welt leben zu können, müssten wir selbst andere Länder ausplündern“, unterstreicht sie.
Nach all den Monaten intensiver Aktivitäten – Reisen, Vorträge, Interviews – „hat sich etwas in mir verändert“, fügt Berta an. „Auch wenn ich immer schon freiwillig bei COPINH mitgearbeitet habe, spüre ich jetzt, dass es meine Pflicht, meine Aufgabe ist, nicht aufzuhören bis zur vollkommenen Aufklärung des gesamten Ablaufs, bis dass es Gerechtigkeit und Garantien gibt, dass sich das Verbrechen nicht wiederholt“, sagt sie mit Nachdruck und einem traurigen Lächeln.
Die Zahlen verheißen keine Erfolge: Für MenschenrechtsverteidigerInnen ist Honduras das weltweit gefährlichste Land. Laut Edmé Castro von der Organisation ACI-Participa, die sich um Menschenrechtsverteidiger kümmert, wurden 32 allein 2016 ermordet, die Tendenz ist 2017 weiter steigend. Zudem wird sozialer Protest kriminalisiert. Edmé Castro hat das gerade erst am eigenen Leibe erfahren.[fn]Anfang März versuchte man Edmé Castro in Tegucigalpa daran zu hindern, zur Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf zu fliegen. Wenige Tage später wird ihr Auto manipuliert, um einen Unfall zu provozieren.[/fn]
Wenn die Dinge so liegen, müssen nicht diejenigen, die Bertas Kampf weiterführen, ebenfalls um ihr Leben fürchten? Dazu meint ihre Tochter: „Man hat immer irgendwie Angst, denn uns ist durchaus bewusst, in welchem Land wir leben. Aber nicht die Angst überwiegt, sondern Entrüstung und das Streben nach Gerechtigkeit.“