Der Mann ist eine lebende Legende. Aber diese Floskel, die gerne benutzt wird, wenn von einem Menschen mit einem beeindruckenden Lebenswerk die Rede ist, geht bei dem 1934 geborenen Hugo Blanco am Kern dessen vorbei, was seine Persönlichkeit kennzeichnet.
Sicher gibt es über ihn vieles zu berichten, was die Bezeichnung „legendär“ rechtfertigt. Etwa, dass er einer der letzten Überlebenden der lateinamerikanischen Guerilla der sechziger Jahre ist. Allerdings unterschied sich seine Gruppe grundlegend von den meisten anderen. Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass Angehörige der städtischen Mittelschichten – vor allem StudentInnen – entschieden, bewaffnet in die Berge/Wälder zu gehen und mit einer kleinen, entschlossenen Gruppe von KämpferInnen einen revolutionären Fokus aufzubauen. Durch „bewaffnete Propaganda“, sprich militärische Erfolge der Guerilleros/as gegen die Repressionskräfte, sollten die ländlichen Massen für die Revolution und die Unterstützung der Guerilla gewonnen werden. Das Problem dabei war, dass die Bauern und Bäuerinnen nicht gefragt wurden, ob sie den (revolutionären) Krieg wollten, und ebenso wenig, wie sie sich die Revolution vorstellten.
Auch Hugo Blanco kam aus einem städtisch-universitären Hintergrund, hatte in Peru und Argentinien Landwirtschaft studiert und sich einer trotzkistischen Gruppe angeschlossen. Nach der Rückkehr in seine Heimatregion Cuzco im Jahr 1958 arbeitete er in der Landwirtschaft und integrierte sich in die bäuerliche Bewegung. Die kämpfte damals gegen das Haziendasystem, das die Campesinos/as zwang, unentgeltlich auf den Feldern der Großgrundbesitzer zu arbeiten. Ihr „Lohn“ bestand darin, dass sie ein Stück Land für den Eigenbedarf bebauen durften.
Die Federación Provincial de Campesinos de La Convención y Lares (FEPCACYL), in der Hugo Blanco damals aktiv war, organisierte einen Streik gegen dieses System. Die Campesinos/as bearbeiteten weiter Land für ihre Eigenversorgung, leisteten aber keine Fronarbeit mehr auf den Feldern der Großgrundbesitzer. Nach neun Monaten Streik erklärten sie sich schließlich zu EigentümerInnen der von ihnen bearbeiteten Parzellen – eine echte Agrarreform von unten. Dagegen mobilisierten die Großgrundbesitzer Polizei und Militär, die die Bauernfamilien von den Parzellen vertreiben sollten. Auf Versammlungen entschieden die Campesinos/as, bewaffnete Selbstverteidigungsmilizen aufzustellen, um sich gegen die Vertreibungen zu wehren. Mit der Organisation dieser Guerilla wurde Hugo Blanco betraut.
Zwar war sie sozial verankert, militärisch agierte sie aber ähnlich erfolglos wie die meisten anderen bewaffneten Gruppen jener Zeit. Nach wenigen Scharmützeln wurde sie 1963 vom Militär aufgerieben, die Überlebenden verhaftet. Die peruanischen Eliten wollten die Guerilleros in einem Schauprozess zum Tode verurteilen und hinrichten lassen. Um dies zu verhindern, organisierte die trotzkistische IV. Internationale eine Solidaritätskampagne, an der sich zahlreiche prominente Intellektuelle, allen voran Jean-Paul Sartre, beteiligten. Die große nationale und internationale Aufmerksamkeit bewirkte, dass keine Todesurteile ausgesprochen wurden. Blanco wurde 1967 zu 25 Jahren Haft verurteilt, seine Genossen zu kürzeren Gefängnisstrafen.
1970 kam er durch eine Amnestie frei. Weil er aber das Angebot der linksnationalistischen Militärregierung von Juan Velasco Alvarado, an deren Agrarreform mitzuarbeiten, ablehnte, wurde er 1971 des Landes verwiesen und ging ins Exil nach Mexiko und Chile. Der Putsch Pinochets zwang ihn erneut zur Flucht, die ihn schließlich nach Schweden führte.
Nach seiner Rückkehr nach Peru wurde er 1978 für das Linksbündnis FOCEP in die Verfassunggebende Versammlung gewählt. In den folgenden drei Jahrzehnten war er unter anderem Abgeordneter, Senator, Generalsekretär der Nationalen Bauernförderation CCP und vor allem immer dabei, wenn es auf dem Land soziale Kämpfe gab. Er wurde mehrfach verhaftet und gefoltert. Todesdrohungen von Militärs und der stalinistischen Guerillagruppe Sendero Lunimoso zwangen ihn zwischenzeitlich erneut ins Exil. Inzwischen gibt er 78-jährig in Cuzco die Zeitschrift Lucha Indígena heraus.
Von all dem berichtet das Buch „Wir Indios“, das Texte Hugo Blancos aus den Jahren 1969 bis 2010 vereint. Es ist gleichwohl keine Autobiographie, sondern ein Buch über die Kämpfe der peruanischen Bauern und Bäuerinnen für Land, Freiheit, die Bewahrung ihrer Lebensgrundlagen und ihrer Kultur, gegen rassistische Diskriminierung, ökologische Zerstörung, den Neoliberalismus, die Großgrundbesitzer, die Staatsbürokratie, die multinationalen Minengesellschaften, die Holzfirmen und das Agrobusiness. Und so ist es doch in gewisser Weise eine Autobiographie, denn diese Kämpfe haben das Leben Blancos seit den späten fünfziger Jahren bestimmt. Wer fundierte Analysen zur Agrarfrage in Peru erwartet, wird enttäuscht sein, Blancos historische Exkurse und politische Einschätzungen sind zwar sehr konkret, aber nicht sehr tiefgehend. Er hat die Agrarkonflikte nicht analysiert, sondern war in ihnen stets Akteur.
Manche Texte – etwa der Briefwechsel des inhaftierten Hugo Blanco mit dem Schriftsteller José Maria Arguedas kurz vor dessen Selbstmord – sind anrührend, andere wütend – auch Humor und Selbstironie fehlen nicht. Die Struktur einer Textsammlung bringt es mit sich, dass einiges wiederholt wird, andererseits bestimmte Dinge fehlen und Zusammenhänge nicht erklärt werden – bei letzterem hilft zum besseren Verständnis das informative Vorwort von Michael Löwy. Insgesamt ist „Wir Indios“ – ob gewollt oder ungewollt – das Selbstportrait eines sympathischen Revolutionärs, der nie aufgehört hat, für eine bessere Welt zu kämpfen.
Hugo Blanco: Wir Indios. Der Kampf gegen rassistische Unterdrückung und die Zerstörung ihrer Umwelt, Übersetzung: Ulla Varchmin, Neuer ISP-Verlag, Karlsruhe 2011, 175 Seiten, 19,80 Euro