Das Lateinamerika-Magazin

Eine Schurkengeschichte aus Argentinien

Eduardo Pogoriles schreibt die surreale Lebensgeschichte des Waffenhändlers Fritz Mandl

Lojze Wieser, der slowenisch-kärntnerische Verleger, stellte mir seinen Kollegen Michael Baiculescu (Jahrgang 1957) auf der Frankfurter Buchmesse vor. Der ist Gründer des Wiener Mandelbaum Verlages, den er nach 27 Jahren letztes Jahr an die Belegschaft übergeben hat. Doch das Leben sei zu fad, sagte er mit breitem wienerischen Akzent, wenn man keine Bücher mehr machen und literarische Schätze heben könne. Deshalb gründete er Anfang 2023 den Verlag marsyas, mit dem er bereits vier Titel vorgelegt hat. Vier weitere sind in Planung. Der Name gehe auf den griechischen Satyr zurück, der die von Athene achtlos weggeworfene Doppelflöte fand und zu spielen lernte.

Bei marsyas sollen Bücher erscheinen, „die ,achtlos weggeworfen‘ wurden oder im herrschenden Betrieb untergegangen sind“, schreibt Baiculescu auf der Homepage.

Schon im Mandelbaum Verlag habe er immer Wert darauf gelegt, dass ein lateinamerikanischer Titel im Programm auftauche, das wolle er auch mit marsyas so halten. So kommt ein literarisches Kleinod 2023 aus Argentinien, die Schurkengeschichte „Mandls falsche Memoiren“ des Journalisten und (Drehbuch-)Autors Eduardo Pogoriles (Jahrgang 1954). Erick Hackl hat den Roman bestens ins Deutsche übersetzt.

Mandl – Vertriebener und Schurke ohne Moral

Fritz Mandl (1900-1977) war ein skrupelloser Waffen- und Munitionsfabrikant aus dem österreichischen Hirtenberg bei Wien. Der christlich erzogene Spross eines jüdischen Vaters aus Galizien und einer katholischen Mutter aus Graz galt in der Vorkriegszeit als einer der reichsten Männer Österreichs. Der „Patronenkönig“ rüstete Mussolini und Horthy auf, unterstützte die austrofaschistische Heimwehr des Ex-Fürsten Ernst Rüdiger von Starhemberg, lieferte Waffen an beide Parteien im Spanischen Bürgerkrieg und im Chaco-Krieg, unterstützte Peróns Wahlkampf und die argentinische Waffenproduktion.

Im Kapitel „Peróns Phantom meldet sich zu Wort“ lässt der Autor den Diktator über Mandl sinnieren. Schon Mitte der 1930er-Jahre habe er von ihm gehört, weil er die italienische Armee mit Munition für den Krieg gegen Abessinien versorgt hatte, und zwar mit Abermillionen Patronen für die Handfeuerwaffen, die ebenfalls von Mandl hergestellt worden waren. Doch Mandl sei ihm ein Rätsel gewesen, weil er nicht nur Mussolini, sondern auch Haile Selassie beliefert habe. Er, Perón, habe das militärisch-industrielle Engagement des Patronenkönigs in Argentinien unterstützt und ihn vor den Amerikanern beschützt, die in Mandl einen Naziagenten sahen. Dabei sei die Munitionsfabrik des „Halbjuden“ in Hirtenberg „arisiert“ und den Herman-Göring-Werken einverleibt worden. Rechtzeitig habe Mandl sein riesiges Vermögen nach Argentinien transferiert. Nach dem Krieg habe er immer wieder vergeblich versucht, in seine Heimat zurückzukehren. Erst nach dem Staatsvertrag zwischen Alliierten und österreichischer Bundesregierung 1955 habe er entschädigt werden und nach Wien zurückkehren können. Perón wurde kurz darauf gestürzt.

In 13 Kapiteln rollt Pogoriles historische Fakten auf. Alle Personen sind real, bis auf den Erzähler, einen argentinischen Journalisten, der sich 1982 im Madrider Exil daran setzt, Mandls romanhaftes Leben aufzuschreiben. Der Reigen an Personen, meist Schurken wie Mandl, ist beeindruckend: außer Starhemberg und Perón Fritz von Thyssen sowie Orson Welles Mandls dritte Frau Hedy Lamarr, Starhembergs Frau Nora Gregor und der französische Art-déco-Möbeldesigner Jean-Michel Frank. Der verzweifelt 1940 in seinem Exil in Buenos Aires, obwohl er auch in Argentinien sehr erfolgreich ist.

In seiner eleganten Suite im Alvear Palace skizziert Frank Möbel, hängt Pariser Erinnerungen nach, glaubt, „in dieser Stadt ersticken zu müssen, die nicht zum Aushalten ist; alles so provinziell … ich langweile mich in Buenos Aires und auf den Landgütern meiner Bekannten in der Pampa.“ Mandl hatte er schon vor dem Krieg in Frankreich kennengelernt. In dessen Villa in Antibes hörte er ihn 1938 prophezeien, die Deutschen würden im September 1939 in Polen einmarschieren. Doch letztendlich würden sie den Krieg verlieren. Deshalb habe er sich diese Villa am Strand gekauft. Er habe vorgesorgt und werde bald nach Buenos Aires abreisen. Nach dem Krieg werde man sich in Antibes wiedersehen. Pogoriles lässt diese Personen Anekdoten aus Mandls Leben zum Besten geben, zitiert aus fiktiven Tagebüchern oder lässt sie imaginierte Dialoge mit dem Protagonisten führen.

Das schmale Buch ist kurzweilig, trotzdem dauert die Lektüre länger als bei 92 Seiten üblich, denn es steckt so voller Fakten, dass sich interessierte Leser*innen beim Nachschlagen im Internet leicht in Parallellektüre verlieren über die Ereignisse und Personen dieser Schurkengeschichte.