Portuñol ist eine Sprachvarietät, die im Norden Uruguays an der Grenze zu Brasilien, gesprochen wird, aber auch an den anderen Grenzregionen zu Brasilien, zum Beispiel in Venezuela. Die Anzahl ihrer Sprecher*innen ist nicht leicht zu fassen, Schätzungen gehen von etwa 100 000 Sprecher*innen in Südamerika aus. Die am meisten verbreitete Varietät des Portuñol wird in Rivera gesprochen und unterscheidet sich zum Beispiel vom Portuñol, das in Artigas, einer weiteren Stadt im Norden Uruguays, gesprochen wird. In Uruguay ist Portuñol als Varietät des Portugiesischen anerkannt und wird als „Portugués del Uruguay“ benannt. Portuñol wird als „interlengua“ bezeichnet, als „Zwischensprache“: eine Sprache zwischen den Stühlen.
Portuñol ist eine sehr prekarisierte Sprache. Da die Grenzregion Uruguays zu Brasilien ärmer ist als der Rest des Landes, zieht es die Jugend meist in die Hauptstadt, nach Montevideo, wo sie selten Gelegenheit haben, Portuñol zu sprechen oder zu hören.
Als ich meine Oma fragte, was sie mit Portuñol verbindet, erzählte sie mir vor allem von Kindheitserinnerungen. In der Schule wurde allerdings nur Spanisch gesprochen – sprach man Portuñol, musste man mit einer Rüge rechnen. Wie viele andere Sprachvarietäten auch leidet Portuñol unter dem Vorurteil, nicht als „richtige Sprache“ zu gelten, sondern als bloße Mischung aus Portugiesisch und Spanisch.
Portuñol sprechen meist nur die Alten. Meine Oma erinnert sich an Gespräche mit ihrer Großmutter. Das Leben an der Grenze prägt die Menschen. Ihr Großvater war Rinderhirt, der Viehherden durchs ganze Land treiben musste. Das Leben damals war hart. Vielleicht härter als heute. Dennoch ist die Lyrik des Dichters Fabián Severo von einer tiefen Melancholie geprägt. Der 38-jährige Autor und Literaturprofessor ist der erste, der literarische Texte auf Portuñol veröffentlicht hat. Er gibt seiner Sprache eine Bühne, schenkt ihr die Anerkennung, die ihr so lange gefehlt hat. Auch er ist jemand, der nach Montevideo gezogen ist, dessen „Zwischensprache“ somit auch untrennbar verbunden ist mit seiner Herkunft und Kindheit. Seine Lyrik bewegt sich oft auf einer metasprachlichen Ebene, erzählt von Sprachbarrieren, die entstehen, wenn es zwischen zwei gesprochenen Sprachen eine Asymmetrie gibt. Sie erzählt aus dem Alltag. Und sie tut das in einer Sprache, die nicht leicht zu verstehen ist, aber sehr leicht zu fühlen. Severo ist zu einem überraschenden literarischen Newcomer in Uruguay avanciert, als jemand aus dem „Interior“, dem Inneren des Landes. Und so jemand schafft es, rein statistisch gesehen, eher selten ins Rampenlicht, lebt doch die Hälfte der Bevölkerung dieses ohnehin kleinen Landes in der Hauptstadt.
Und das ist es wohl, was das Portuñol auch ausmacht. Eine Sprache, die durch Gefühle, Gerüche, durch Erinnerungen lebt. Als ich letztes Jahr im Januar mit meiner Großmutter an einer Lesung Fabián Severos teilnehmen konnte, in der er seine Bücher vorstellte, wurde mir bewusst, wie wichtig es ihr war, diesen Moment mit mir zu teilen. Viele ältere Menschen saßen im Publikum. Alle berichteten vom selben Gefühl, wohlig-melancholische Erinnerungen erleben zu können, während er las. Etwas in sich wiederzuerkennen, in anspruchsvoller Literatur. Und zu erleben, wie ein Teil ihrer Identität eine Bühne bekam, die sie zuvor so nicht kannte.
Micaela Sofia Cámpora schreibt selbst Lyrik und Prosa (u.a. auf https://worteundregen.wordpress.com/) und studiert Germanistik und Romanistik an der Uni Köln. Ihre Großmutter Olga Machado ist Portuñol-Muttersprachlerin aus Rivera. Zu ihrer Geschichte siehe ein Interview in der ila 389.
Bücher von Fabián Severo:
Noite nu Norte (2010), Viento de Nadie (2013), NósOtros (2014), Viralata (2015)