Im März 2015 war bekannt geworden, dass 350 Millionen US-Dollar aus den Geldern des Sozialversicherungsinstitutes IHSS geraubt worden waren. Über Schein-Unternehmen waren medizinische Leistungen vorgetäuscht wurden, die das Sozialversicherungsinstitut beglich. Die ersten Nachforschungen führte der Antikorruptionsrat CNA durch, der von einem Whistleblower Informationen erhalten hatte. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Gelder aus mehreren Scheinunternehmen in die Wahlkampagne von Juan Orlando Hernández geflossen waren, aber auch den anderen Aktivitäten der Nationalen Partei sowie zur persönlichen Bereicherung dienten. Dieser Raub war vier bis fünf Jahre lang betrieben worden. Die massive Entwendung von Geldern führte zu einer Krise im Zugang zu medizinischer Versorgung: In den Krankenhäusern des Sozialversicherungsinstitutes fehlte es an Ausstattung und Medikamenten. In den 18 Monaten, bis der Betrug bekannt wurde, starben rund 3700 Menschen, weil sie aufgrund der Geldentwendung keine Medikamente oder ärztliche Versorgung bekamen, die ihr Leben hätten retten können.
Nach dem Wahlsieg von Juan Orlando Hernández sagte sein Vorgänger Pepe Lobo (ebenfalls von der Nationalen Partei) aus, seit mehreren Monaten von der Korruptionskette gewusst zu haben. Er habe nichts unternommen, da er den Wahlerfolg von Juan Orlando nicht gefährden wollte. In jedem funktionierenden Rechtsstaat wäre er dafür verurteilt worden, einen Korruptionsfall zu decken. In Honduras jedoch hat die Regierung noch mehrere Monate lang versucht, den Fall zu vertuschen – Monate, in denen viel belastende Information vernichtet werden konnte. Da die Regierungspartei selbst in den Fall verwickelt ist und wichtige Positionen im IHSS mit Parteimitgliedern besetzt sind, ebenso die Positionen im Obersten Gerichtshof, war eine unabhängige Untersuchung des Falls nicht gewährleistet.
Nach der Entdeckung dieses Betrugs gab es monatelange massive Proteste. Die Empörung darüber, dass es jemand gewagt hatte, diese heiligen Mittel anzufassen, brachte das Fass zum Überlaufen. So entstand die Bewegung Los indignados, die weder an Parteien, NRO noch Gewerkschaften gebunden war, sondern der spontanen Empörung der Versicherten entsprang. Ihre Forderungen: Rücktritt des Präsidenten sowie die Einrichtung einer Internationalen Kommission zur Aufklärung der Vorfälle, ähnlich der „Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit“ (CICIG) in Guatemala.
In Honduras waren die Aktivitäten und Erfolge der CICIG aufmerksam verfolgt worden. In Guatemala war mit Hilfe dieser UN-Mission erreicht worden, dass die Korruptionskette La Línea, in die auch in Guatemala höchste Regierungsmitglieder verstrickt waren, aufgedeckt wurde und Präsident Otto Pérez Molina sich vor Gericht verantworten musste. Eine engagierte Staatsanwältin konnte also mit Unterstützung einer internationalen Organisation und zusammen mit der Zivilgesellschaft im Kampf gegen Korruption einiges erreichen.
Die honduranische Regierung geriet in Zugzwang. Sie bat das Generalsekretariat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), einen Nationalen Dialog zu moderieren und Mechanismen zu etablieren, um Korruption zu verhindern und Straflosigkeit zu beenden. Nach mehreren Treffen, auch mit der Zivilgesellschaft, unterzeichneten am 19. Januar 2016 der honduranische Präsident Juan Orlando Hernández und der Generalsekretär der OAS, Luis Almagro, das Abkommen über die Einrichtung der MACCIH. Am 19. April nahm die Mission die Arbeit auf.
Die Mission soll über einen Zeitraum von vier Jahren arbeiten. Ihre Aufgabe besteht darin, honduranische Institutionen in der Prävention und im Kampf gegen die Korruption, der Reform des Justizapparates, der Reform des Wahlgesetzes (inklusive der Finanzkontrolle von Parteien und KandidatInnen) und der öffentlichen Sicherheit zu unterstützen. Sie wird das Ministerio Público (Staatsanwaltschaft) bei Ermittlungen und juristischer Aufarbeitung von Korruptionsfällen unterstützen und Gesetzesvorschläge einbringen. Sie wird dabei besonders auf diejenigen Sektoren achten, die für Korruption anfällig sind: Baugewerbe, Öffentliche Gesundheit, Zoll, Bergbau, Gerichts- und Sicherheitswesen.
Die Mandate von MACCIH und CICIG unterscheiden sich in wesentlichen Punkten: Die CICIG kann nicht nur die Ermittlungen der Justizbeamten unterstützen, sondern auch Anklagen gegen StraftäterInnen erheben oder als Nebenklägerin in einer Klage des Ministerio Público auftreten. Ihre ExpertInnen dürfen im Gericht aussagen und so die Klagen unterstützen, wenn es sich um Straftaten handelt, die von Personen der kriminellen Strukturen begangen wurden, deren Offenlegung das Mandat der Kommission ist. MACCIH hingegen kann zwar in konkreten Fällen ermitteln, aber nicht vor Gericht auftreten. Ihre Aufgabe ist die Begleitung der Judikative, die allein dafür verantwortlich ist, die Schuldigen zu verurteilen. MACCIH kann sich in die Reformprozesse von Institutionen einbringen, die von Kongress, Oberstem Gerichtshof und Staatsanwaltschaft auf den Weg gebracht werden.
Sechs Monate nach ihrer Amtsaufnahme hat MACCIH ihren ersten Bericht vorgelegt. Die Mission verfügt über ein Team von 19 RichterInnen, StaatsanwältInnen und RechtsmedizinerInnen, das noch auf 70 Personen anwachsen soll. Der wichtigste Erfolg ist das Gesetz über Finanzierung, Transparenz und Finanzkontrolle der politischen Parteien in Honduras, bekannt als „Gesetz der sauberen Politik“. Es wurde gemeinsam mit dem Obersten Wahlgericht, der Kommission für Wahlangelegenheiten des Kongresses und den Parteispitzen erarbeitet. Das Gesetz enthält zum Beispiel Obergrenzen für Spenden und Kampagnenkosten, das Verbot staatlicher Werbung sowie Strafen, die etwa den Entzug der Registrierung als Partei bei illegaler Finanzierung vorsehen.
In dem Abkommen über die Zusammenarbeit mit der Generalstaatsanwaltschaft wird festgelegt, dass es in Korruptionsfällen keine Vergleiche mehr geben darf – bislang sind nach Aussagen des Sprechers von MACCIH 38 Wünsche nach einem Vergleich abgewiesen worden.
Eine weitere wichtige Aktivität war die Wahl der RichterInnen am Obersten Rechnungshof, dem höchsten Gremium zur Kontrolle der Verausgabung öffentlicher Mittel. Die Benennung der Mitglieder ist daher ein zentrales Moment bei der Korruptionsbekämpfung. 109 Personen hatten sich auf die zu vergebenden drei Positionen beworben. Im Oktober unterbreitete MACCIH einen Vorschlag zum Ablauf des Besetzungsverfahrens. Parlament und Regierung ignorierten diesen Vorschlag und ernannten eigenmächtig Politike-rInnen für diese Posten, die sie für die nächsten sieben Jahre bekleiden werden. Das führte zu einer offiziellen Beschwerde von MACCIH. Auch die Vorschläge von MACCIH, Strafen für Korruptionsfälle einzuführen, die sich an internationalen Standards orientieren, wurden abgelehnt.
Des Weiteren hat MACCIH mitgewirkt an einem Gesetz zur Einrichtung von unabhängigen Gerichten, die auf Korruption spezialisiert sind, da es in Honduras nur wenig Kompetenz in Korruptionsrecht und Korruptionsprävention gibt. Das Gesetz wurde im Juni verabschiedet, im Kongress jedoch noch stark verändert: Die Spezialgerichte sind nur für Fälle zuständig, an denen drei oder mehr Träger öffentlicher Funktionen beteiligt sind – die 75 Prozent der Fälle, an denen ein oder zwei FunktionärInnen beteiligt sind, werden nach wie vor von traditionellen Gerichten verhandelt.
Es gibt also Fortschritte, aber auch Rückschläge und bereits jetzt Frustration angesichts der sehr hohen Erwartungen: Die Untersuchung der Ermordung von Berta Cáceres ist noch nicht aufgenommen; nur wenige Schritte sind bisher im wichtigsten Fall, der Unterschlagung im IHSS, unternommen worden; Korruption bei den öffentlichen Ausschreibungen ist unangetastet, die Besetzung wichtiger Positionen mit Personen aus dem eigenen politischen oder privaten Umkreis ebenfalls. Sowohl der Sprecher von MACCIH, Juan Jiménez, als auch der argentinische Staatsanwalt Manuel Garrido, der MACCIH koordiniert, baten darum, MACCIH Zeit zu geben. In Guatemala hatte die CICIG erst nach sechs bis sieben Jahren Erfolg. Honduras kann jedoch nicht sechs Jahre warten – Fortschritte müssen sichtbar werden, um den Mut zur Weiterarbeit aufrechtzuerhalten.
Juan Orlando Hernández und Kongresspräsident Mauricio Oliva haben klar gestellt, dass sie MACCIH nicht zugestehen, in innere Angelegenheiten des honduranischen Staates einzugreifen. Aufgrund der diesjährigen Wahlen ist die Situation komplizierter geworden. Juan Orlando Hernández will erneut zur Wahl antreten. Obwohl es viel Kritik dazu gibt, hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass seine erneute Kandidatur zulässig ist – eine überraschende Entscheidung, da die Verfassung dies ausdrücklich untersagt und dieser Paragraf weder von Parlament noch Oberstem Gerichtshof geändert werden darf. Im Fall des ehemaligen Präsidenten Manuel Zelaya war genau dieser Umstand der Vorwand für den Putsch. Es gab einige Proteste der internationalen Gemeinschaft, aber der Präsident fährt mit seiner Wiederwahlkampagne fort.
Ein entscheidender Baustein für den Erfolg von MACCIH ist die Kooperation mit der Zivilgesellschaft, die die Aktivitäten von MACCIH flankieren muss. Nur dieser Druck kann Resultate bringen. Das mit der Zivilgesellschaft abgestimmte, gemeinsame Vorgehen muss deutlich besser aufgebaut werden, da der Druck von der Straße bislang in den Momenten, in denen MACCIH Unterstützung gebraucht hätte, nicht da war. Austauschforen müssen eingerichtet und der Informationsfluss mit Zivilgesellschaft und der Internationalen Kooperation ausgebaut werden.
„Wir hatten von Anfang an Zweifel, einerseits, weil MACCIH ein Vorschlag der OAS und der honduranischen Regierung war, andererseits, weil die Regierung der Mission viele Steine in den Weg legt. Die MACCIH muss weniger diplomatisch auftreten, um den Korrupten das Handwerk zu legen“, kommentiert Miguel Briceño von den Indignados. Die stärkste Drohung, die MACCIH hat, ist, sich zurückzuziehen – wenig erschreckend für die Machthabenden in Honduras.