Empört euch auch deswegen

Ein Buch über Mexikos verfolgte Umweltschützer

Landläufiger Meinung nach ist Umweltschutz etwas für gut situierte Mittelschichten. Die Armen hätten für den Erhalt der Landschaft und gesundes Essen weder Zeit noch Geld, und noch weniger Sinn. Die Forelle bei Studienrats auf dem Mittagstisch ist aus dem etwas teureren Bio-Segment, der nächste Zweitwagen von Frau Dr. jur. wird ein Elektroauto sein, und der Zahnarzt von nebenan macht samt Familie Ferien auf dem Ökobauernhof in Costa Rica.

Solche Leute interessieren Luis Hernández Navarro, Buchautor und Redakteur der Tageszeitung La Jornada, nicht. In „Wer Beton sät, wird Zorn ernten“ beschreibt er, wie gerade die Armen darum kämpfen, ihren Lebensraum zu bewahren, und welchen Preis sie dafür zahlen. Und zwar in Hernández’ Heimatland, Mexiko. Dessen Regierung lässt keine Gelegenheit aus, sich als Vorreiterin in Sachen Umwelt darzustellen. Häufig finden internationale Konferenzen in Mexiko statt. Nicht immer gelingt die Regie so ganz: Bei der Weltwasserkonferenz im März 2006 demonstrierten Tausende gegen die Wasserprivatisierungspolitik der Regierung. Von der UN-Klimakonferenz in Cancún 2010 war dagegen der Tenor der Mainstream-Berichterstattung, Mexikos Außenministerin Patricia Espinoza habe die Konferenz umsichtig bis zum einstimmigen Abkommen geführt. Dabei hatte die bolivianische Regierung ein Veto gegen das maue Abkommen ohne klare Emissionsreduktions- und Zahlungsverpflichtungen der Industrienationen eingelegt – von Einstimmigkeit also keine Spur.

In den Wochen vor der Konferenz war eine Karawane durch Mexiko gezogen und hatte an etlichen Orten mit starker lokaler Unterstützung gegen Umweltsünden protestiert, so gegen Grundwasserraub für Exportlandwirtschaft, gegen Bergbauprojekte neben dem Kernkraftwerk Laguna Verde oder gegen krebserregende Öllachen durch marode Leitungen. Sie hatte Ross und Reiter benannt: die Herren der staatlichen Ölgesellschaft Pemex, die zerschlagen werden soll und in die daher nicht mehr investiert wird (übrigens: der am 1. Dezember ins Amt gekommene Präsident Peña Nieto war schon vor Amtsantritt in Europa auf Verkaufstour). Oder Cristóbal Jaime Vázquez, erst im Vorstand von Coca-Cola, dann Geschäftsführer von Lala, Mexikos größtem Milchkonzern, dann Direktor der Nationalen Wasserkommission unter dem Präsidenten und ehemaligen Coca-Cola-Manager Vicente Fox. Vázquez brachte die Viehzucht in die Wüstenzone La Laguna, schanzte Bauunternehmerfreunden Staudammprojekte wie El Tigre zu und sicherte ihnen Milliardengewinne, bevor der Staudamm 2007 brach.

Wer die Kreise solcher Leute stört, muss bluten. Wie die Umweltaktivistin und Menschenrechtsverteidigerin Bety Carino – die Bewegung ist sehr stark weiblich! Sie protestierte gegen die Schweinemastbetriebe Granjas Carroll, in denen 10 Prozent des in Mexiko konsumierten Schweinefleischs produziert wird und wo der Erreger der Schweinegrippe H1N1 erstmals nachgewiesen wurde. Bety Carino war auch gegen Bergbauprojekte aktiv und gegen Trinkwasserverseuchung. Am 27. April 2010 wurde sie zusammen mit dem Finnen Jyri Jaakkola nahe San Juan Copalá in Oaxaca von Paramilitärs im Sold des damaligen Gouverneurs erschossen. Auch Jyri engagierte sich im Umweltschutz. Rubén Flores Hernández wurde einen Tag später, am 28. April 2010, in Morelos von Kugeln durchsiebt. Er kämpfte gegen illegalen Holzeinschlag. Das taten auch die WaldschützerInnen Eva Alarcón und Marcial Bautista, die im Dezember 2011 von Unformierten aus einem Bus geholt wurden und „verschwanden“.

Warum Umweltschutz von unten derart verfolgt wird, ist für Buchautor Hernández klar: Wenn die Armen ihre Umwelt schützen, stellen sie immer auch die Systemfrage. Deswegen muss ihre Arbeit ignoriert, und wenn das nicht geht, unterdrückt werden, wenn nötig durch Folter, Gefängnis, Verschwindenlassen, Mord.

Der Raubbau am Land verschärft sich seit den 70er-Jahren, als sich Mexiko massiv internationalem Kapital öffnet. Mit der Ansiedlung von Maquiladoras (Lohnveredelungsbetriebe für den Export) an der Nordgrenze kollabiert die Umwelt dort zusehends. In Vorbereitung des Freihandelsvertrages NAFTA 1994 werden kommunaler und Ejidobesitz veräußerbar. Gesetze zum Bergbau, zu ausländischen Investitionen und zum Wasser schieben ab 1992 Privatisierungswellen an. Der Druck auf natürliche Ressourcen und Repression gegen die, die auf und von ihnen leben, wächst. Sich wehren ist notwendig, widerspricht aber Profitinteressen der Privaten. Diese haben ihre Gewährsleute in der Regierung oder wechseln auch mal selbst hinein, wie eben Vicente Fox oder Cristóbal Jaime Vázquez.

Oder tauschen auch nur die Posten. So Enrique Peña Nieto, soeben gekürter Präsident und ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates México. Dort liegt Atenco. Die Stadt widersetzt sich seit Jahrzehnten den Enteignungen von Gemeinschaftsland für Großprojekte, zuletzt für einen neuen Flughafen. Deswegen nahm die Staatsgewalt nach einem kleinen Protest Rache und schlug im Mai 2006 brachial zu, inhaftierte über 200 Personen, vergewaltigte 47 Frauen. Indessen stieg der damalige Polizeichef Eduardo Medina Mora zum Generalstaatsanwalt und später zum Botschafter in London auf.

Das Buch bringt viele weitere Beispiele und erstellt eine Landkarte von Kämpfen, auf der kein Bundesstaat und auch kein Bereich von Genmais bis Müllanlagen fehlen.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass eine der beiden Übersetzerinnen ila-Redakteurin Britt Weyde ist. Für das hiesige Publikum haben die beiden dem Text wichtige Fußnoten hinzugefügt, die deutsche Verflechtungen und Mitverantwortung aufzeigen. Dem Buch ist zu wünschen, dass es auf möglichst vielen Gabentischen landet. Apropos Wünsche: Mir ist das große I in LeserInnen wesentlich lieber als das im Buch benutzte Leser_innen.

Luis Hernández Navarro: Wer Beton sät, wird Zorn ernten. Mexikos Umweltbewegung von unten, Übersetzung: Britt Weyde & Katja Rameil, Unrast-Verlag, Münster 2012, 200 Seiten, 14,- Euro