Recherchen auf heißem Pflaster: Reißerisch klingt das neue, von Brot für die Welt bezuschusste Buch des in Guatemala lebenden Journalisten Andreas Boueke im Untertitel. So müssen Buchtitel heutzutage offenbar lauten, um Aufmerksamkeit zu erregen. Doch die lohnt sich, denn der Autor begibt sich an die Orte der Verbrechen der Militärdiktatur und untersucht Konflikte zwischen übermächtigen Konzernen oder Großgrundbesitzern und den „kleinen Leuten“. Das ist doppelt spannend, weil er nicht nur das Ergebnis seiner Recherchen darbietet, den fertigen Text, sondern der LeserInnenschaft einen Einblick gewährt, unter welchen Bedingungen er arbeitet. Boueke lässt nie einen Zweifel daran, auf welcher Seite seine Sympathien liegen.
Es ist ein düsteres Bild, das die – in Teilen schon andernorts publizierten – Reportagen zeichnen: Ausbeutung, Drogen, Elend, Gewalt, Hunger, Korruption, Missbrauch, Umweltfrevel, Unrecht, Unterdrückung der Frauen. Immer wieder schildert der Autor dramatische Lebensumstände, vielleicht auch, weil er meint, den Erwartungen der LeserInnen entsprechen zu müssen. Denn er könne „nicht ignorieren, welche Geschichten sich in Deutschland ,verkaufen lassen’“ (S. 274). Dabei wiederholt sich manches, vor allem im Kapitel über die Maras, die gefürchteten Jugendbanden in den USA.
Doch gibt es, so erlebte der Rezensent Guatemala, nicht nur schwarz und weiß. Manches ist grau und noch mehr bunt. Auch wenn es vielleicht paradox anmutet: Hätte das Buch ein Kapitel über eine „normale“ und deshalb vielleicht „langweilige“ Familie enthalten, so wäre gerade dies spannend gewesen, weil es ein „anderes“ Guatemala gezeigt hätte. So wird das Buch von einem Reigen des Unglücks beherrscht.
Das Glück des Lesers und der Leserin im gelesenen Unglück sind jene beeindruckenden Persönlichkeiten, die Boueke vorstellt: die Frauen (vor allem die starken Frauen bleiben im Gedächtnis!), die Jugendlichen und die Männer, die tapfer gegen das Böse angehen, so beispielsweise die Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu (Hiltruper Schwestern) in einer Schlucht am Rande von Guatemala-Stadt, die für misshandelte Frauen und deren Kinder da sind. So die Bauern, die sich wehrten, als eine zum kanadischen Bergbaukonzern Goldcorps gehörende Firma deren Land an sich riss, und das Menschenrechtsbüro des Bistums San Marcos, das sich schützend vor die Bauern stellte. So der Arzt Aroldo Ixcot, der in der schlichten Clínica Maxeña die LandarbeiterInnen der Kaffeeplantagen rund um Santo Tomás behandelt. Bei der Einrichtung dieses Gesundheitspostens hatte Adveniat geholfen. Wichtig ist auch sein Hinweis auf das Potenzial zur Neuausrichtung ihres Lebens, das viele Pfingstkirchen in ihren Gläubigen freisetzen – ohne deren Schattenseiten zu übersehen.
Auch KennerInnen Mittelamerikas werden dieses Buch mit Gewinn lesen. Nicht zuletzt ist zu rühmen, dass Andreas Boueke sorgfältig recherchiert und der Horlemann Verlag das Buch gut lektoriert hat (nur Kleinigkeiten sind in der folgenden Auflage zu berichtigen. So wurde Guatemala nicht „im 15. Jahrhundert“ von den Spaniern erobert, sondern 1524/1525).
Was also bleibt zu tun? Als Erstes dies: losgehen und das Buch kaufen, und zwar möglichst in Ihrer örtlichen, kleinen Buchhandlung und nicht vermeintlich bequem per Internet bei jenem bekannten Buchvertriebskonzern, dessen Marktübermacht die kleinen und engagierten Verlage auspresst und bei dem die Arbeitsbedingungen in Deutschland eben nicht so sind, wie Andreas Boueke sie sich wünschen würde. Ein zweiter Schritt des Lesers/der Leserin könnte sein, sich zu engagieren. Achtmal ist den Reportagen eine ganze Seite nachgestellt, auf der Boueke je drei Zeitschriften, Filme und Seiten im Internet über Guatemala vorstellt bzw. Nichtregierungsorganisationen, die in und für Guatemala arbeiten. Darunter finden sich AMES („Vereinigung von Frauen in Solidarität“), die Christliche Initiative Romero (CIR) aus Münster, der Christliche Friedensdienst Eirene aus Neuwied, das Welthaus Bielefeld, Misereor und das von P. Franz von Tattenbach SJ (1910-1992) gegründete Instituto Guatemalteco de Educación Radiofónica (IGER), dessen „Radioschulen“ Abertausenden GuatemaltekInnen halfen, Lesen und Schreiben zu lernen und – ebenso wichtig – Selbstwertschätzung.
Andreas Boueke, Guatemala. Recherchen auf heißem Pflaster, Horlemann Verlag, Berlin 2013, 331 Seiten, 16,90 Euro