Es war Anfang 2012, als Manfred Etscheid uns einen Artikel zur Veröffentlichung zuschickte und am selben Tag anrief, ob er kurz in der ila vorbeikommen könnte, er sei gerade in Bonn. So trafen wir uns zum ersten Mal und ich erfuhr, dass Manfred die ila länger kannte als ich. Er gehörte nämlich zu ihren Mitgründern. „Ja klar“, meinte Werner Rätz, das einzige Mitglied der heutigen Redaktion, das schon bei der ila-Gründung im November 1975 dabei war, als ich ihm von Manfreds Besuch erzählte. „Manfred war einer der Dominikanerpadres aus Walberberg (bei Bonn), die wegen ihres entschiedenen Auftretens gegen lateinamerikanische Militärdiktaturen und der sie unterstützenden Kirchenkreise mit der Ordensleitung in Konflikt geraten waren und den Orden schließlich verlassen hatten. Drei von ihnen waren dann beim Anfang der ila mit dabei.“
Manfred zog sich aber nach wenigen Monaten aus der ila zurück, weil er nach seinem Austritt aus dem Dominikanerorden ein Lehramtsstudium absolviert hatte und mit dem stressigen Referendariat beginnen musste. Da er seine Arbeit in der Schule sehr ernst nahm, sich bald auch in der LehrerInnengewerkschaft GEW engagierte, eine Familie hatte und zudem in Köln lebte, blieb ihm auch nach dem Referendariat keine Zeit, wieder bei der ila einzusteigen. Aber sein Interesse an Lateinamerika blieb bestehen, mit SchülerInnengruppen unternahm er mehrfach Exkursionen nach Paraguay, das Land, das ihm am Herzen lag, seit er sich in den siebziger Jahren für die Unterstützung der christlichen Bauernbewegung Ligas Agrarias engagiert hatte, die von der Stroessnerdiktatur brutal verfolgt und schließlich zerschlagen wurde.
Als Manfred dann vor einigen Jahren in den Ruhestand trat, wollte er sich wieder intensiv mit Lateinamerika beschäftigen. Er begann ein Dissertationsprojekt an der Bonner Uni über die lateinamerikanische Kolonialgeschichte und nahm den erwähnten Kontakt zur ila auf. Ich lud ihn bei seinem ersten Besuch ein, doch in der Redaktion mitzumachen. Er sagte spontan zu. Bei der nächsten Redaktionssitzung war er schon dabei und wurde bald einer unser emsigsten Autoren. Er schrieb vor allem über kirchenpolitische Themen (die Highlights waren sicher seine kritischen Analysen zum neuen Papst, die in Kreisen fortschrittlicher ChristInnen intensiv diskutiert wurden), über verschiedene (kolonial)geschichtliche Themen und natürlich über Paraguay. Es waren Artikel, die unsere Zeitschrift sehr bereichert haben, auch wenn wir im Büro mitunter etwas gestresst waren, weil seine Texte fast immer länger waren als abgesprochen und meistens auch erst nach Redaktionsschluss eintrudelten.
Im letzten Sommer erzählte Manfred auf einer Redaktionssitzung, man habe bei ihm ein fortgeschrittenes Krebsleiden festgestellt, das nicht mehr operabel oder therapierbar sei. Es sei nur noch eine Palliativbehandlung möglich, um Schmerzen zu lindern und die letzten Lebensmonate erträglich zu machen. Die Ärzte meinten, dass ihm maximal sechs bis zwölf Monate bleiben würden.
Für die Novemberausgabe hatte er einen Artikel über Militarisierung und Repression in Paraguay angekündigt. Als der am 27. Oktober eintraf, waren wir mit dem Layout bereits fertig und ich sagte ihm am Telefon, für diese Ausgabe sei es zu spät, aber im Dezember sei der Text fest eingeplant. Er war etwas enttäuscht, vielleicht hat er gespürt, dass es sein letzter Beitrag in der ila sein würde. Er sagte, er wisse, dass er viel zu spät sei, aber er läge mit einer Magenblutung im Krankenhaus, habe den Artikel jedoch unbedingt fertigstellen wollen. Für Dezember müsse er den Text wahrscheinlich etwas aktualisieren, es passiere gerade so viel in Paraguay.
Manfred hätte es auch nicht mehr erlebt, wenn der Artikel im November erschienen wäre. Er starb am 2. November in Köln. Sein letzter Artikel ist nun in der aktuellen Ausgabe veröffentlicht. Als ich die Nachricht von seinem Tod über unseren Redaktionsverteiler schickte, kamen viele traurige Reaktionen. In den zwei Jahren, in denen Manfred wieder in der ila mitmachte, haben wir ihn als solidarischen Menschen kennen und schätzen gelernt. Er, sein Sachverstand und seine Artikel werden uns fehlen.