Der rote Faden des Buches ist die Frage, wie sich bei der MLN-T (Movimiento de Liberación Nacional – Tupamaros) Avantgardedenken und Militarismus durchsetzen konnten, die letzten Endes zur Niederlage geführt haben. Der Organisation ging zunehmend der Kontakt und das Vertrauen zur Bevölkerung verloren, ein Aspekt, der in der Geschichtsschreibung der Tupamaros meist unterschlagen wird. So standen sich in der letzten Phase zwei Apparate gegenüber, der Staat und die politisch-militärische Organisation der Tupamaros. Diesen Kampf konnte die Guerilla nur verlieren. Zabalza betreibt den Rückblick ausdrücklich im Hinblick auf zukünftige Aufstände. In denen wird zwar vermutlich keine Guerilla im Stil der 70er-Jahre agieren, aber die aufgeworfenen Fragen zum Verhältnis von politischer Organisation und Selbstorganisierung oder zur Rolle von AktivistInnen sind auch in heutigen Bewegungen hochaktuell.

Die Bedingungen für revolutionäre Politik waren in Uruguay mit seiner Tradition von „Stoßdämpferpolitik“ nicht einfach. Der Erfinder des uruguayischen Sozialstaats, José Battle y Ordóñez (Präsident von 1903-1907 und 1911-1915), hatte zu Zeiten der Kommune in Paris gelebt. Einem solchen Klassenkampf wollte er mit seinen Reformen zuvorkommen. Zu große soziale Polarisierungen wurden in der „Schweiz Amerikas“ abgefedert, Forderungen von ArbeiterInnen auf parlamentarische und andere Vermittlungsinstanzen umgelenkt.

Aber mit dem Preisverfall bei Agrarexportgütern und der Durchsetzung der IWF-Politik verschärften sich in den 60er-Jahren die Lebensbedingungen und die Konflikte nahmen zu. Besonders die LandarbeiterInnen, für die die Reformen noch nie gegolten hatten, machten mit militanten Aktionen mobil, Fabriken wurden besetzt und die ArbeiterInnen des Elektrizitätswerks stellten in Montevideo den Strom ab. LandarbeiterInnen wurden verhaftet und gefoltert.

Gegen faschistische Schlägerbanden und den beginnenden Staatsterrorismus bildeten sich Selbstverteidigungsgruppen, die erste bewaffnete Aktionen durchführten. Aus diesem losen Zusammenschluss „El Coordinador“ entstanden die Tupamaros. Sie machten Aktionen, die ihnen große Sympathie einbrachten, wie das Klauen von LKWs mit Lebensmitteln, die sie in Armenvierteln verteilten. Der Sieg der cubanischen Revolution war auf dem ganzen Kontinent eine Motivation, den bewaffneten Kampf aufzunehmen.

Im „Land der Stoßdämpfer“ achteten die Tupamaros jedoch sehr darauf, die Spielregeln nicht zu weit zu übertreten und den Einsatz von Gewalt so zu dosieren, dass sie sich nicht isolierten. Es gab eine enge Verbindung zu den LandarbeiterInnen, deren Camps in der Hauptstadt ein Ort ständiger Diskussion und Schulung waren und die ihre Demonstrationen nach einem der späteren Gründer der Tupamaros benannten: „Für Land und mit Sendic.“

Wie die anarchistischen Bankräuber wollten sich auch die Tupamaros selbst finanzieren. Bei einem Banküberfall im Juni 1964 wurden drei Anführer der Landarbeitergewerkschaft UTAA verhaftet. An dieser Aktion gab es schon damals die Kritik, dass wichtige Gewerkschafter nicht ihre Freiheit in einer solchen Aktion riskieren sollten, weil damit die Interessen der politischen Organisation über die der Selbstorganisierung der ArbeiterInnen gestellt würden, ein Einwand, der sich in der Geschichte der MLN bestätigen sollte: Tupamaro-nahe BasisaktivistInnen wurden durch den militärischen Apparat absorbiert.

In dem gut funktionierenden Netz kam schließlich die Diskussion über die Notwendigkeit einer neuen Organisation mit Führung und Statut auf. Der Entwurf, der bei der Gründung im Mai 1965 angenommen wurde, stammte von dem späteren Verteidigungsminister „Ñato“ Fernández Huidobro. (Zabalza kritisiert immer wieder Fernández Huidobro und auch den späteren Präsidenten „Pepe“ Mujica, er betont aber, dass die von ihm heute kritisierte allgemeine Entwicklung der Organisation eine kollektive war.) Die MLN wurde als erklärte Avantgarde gegründet, mit einem leninistischen Konzept von BerufsrevolutionärInnen und demokratischem Zentralismus, gegen das sich Raúl Sendic nicht durchsetzen konnte.

Guerillamethoden erfordern die Zentralisierung militärischer Entscheidungen und eine effiziente Befehlskette. In militärischen Situationen können keine Versammlungen abgehalten werden. Durch die Ausweitung der Guerillaaktionen wurde die Struktur vertikaler und anfälliger für Apparatedenken und Militarismus, wie es bei vielen revolutionären Bewegungen der 70er-Jahre passierte. Eine grundsätzliche politische Diskussion wurde unter dem Motto „Uns eint die Aktion“ zurückgestellt. Die Widersprüche explodierten dann später in den Knästen und im Exil mit sehr harten und wenig brüderlichen Auseinandersetzungen.

In den folgenden Jahren verschärften sich die Konflikte, es kam zu Verhaftungen und Razzien mit Toten, immer häufiger wurde der Ausnahmezustand erklärt. Als Gruppe im Untergrund geriet die MLN in die Gefahr des Sektierertums. Bis 1968 gelang es ihr, die Aktionen zu vermitteln und den Kontakt zu den Bewegungen zu halten. Aber danach ging diese Verbindung verloren. Montevideo hatte eine lange Tradition von Selbstorganisierung in den Arbeitervierteln. Anfang der 70er-Jahre gab es vielfältige Widerstandsaktionen: Strompreisboykott, selbstorganisierte Schulen im öffentlichen Raum, Protestcamps von Arbeitslosen, Streiks von GesundheitsarbeiterInnen, die kostenlose Behandlung anboten. Für Zabalza war die Organisierung in Betrieben und Stadtteilen die revolutionärste Entwicklung der damaligen Zeit. Die Tupamaros wollten „auf die Karte der Massen setzen“ und riefen zur Bildung von Unterstützungskomitees für die MLN-T auf.

Während sie oft mit Aktionen soziale Bewegungen und Streiks unterstützt hatten, riefen sie nun die Bewegungen dazu auf, sich dem militärischen Apparat anzuschließen. Zabalza sieht es als zentralen Fehler, der politisch-militärischen Organisation die Hauptrolle zuzuweisen, aber er merkt an dieser Stelle zu Recht an, dass es heute einfacher ist, über andere Formen der Selbstorganisierung nachzudenken, über Selbstverteidigung und Gegenmacht in den Stadtteilen. Sie hätten damals eben mit den zur Verfügung stehenden theoretischen Mitteln versucht, eine politische Antwort auf die Veränderung der Stimmung im Land zu finden, in der eine Ausweitung der Kämpfe möglich schien.

Es wurden mehrere städtische Guerillakolonnen gegründet, die spektakuläre Enteignungsaktionen durchführten. Der Versuch, im Oktober 1969 die Stadt Pando einzunehmen, scheiterte zwar, brachte der MLN aber trotzdem weiteren Zulauf. Ende 1969 gehörten 3000 KämpferInnen zum militärischen Apparat der MLN, bei nur drei Millionen EinwohnerInnen eine enorme Zahl.

1970 war für die MLN ein intensives Jahr erfolgreicher Aktionen, mit einer Massenflucht aus dem Frauengefängnis und Entführungen, u.a. des CIA-Agenten und Folterspezialisten Dan Mitrione. Durch die Weigerung des Präsidenten Pacheco Areco, mit „der Subversion“ zu verhandeln, wurde die Auseinandersetzung härter. Raúl Sendic und das Führungskomitee wurden verhaftet, Dan Mitrione von der MLN getötet. Auf Vorschlag von Fernández Huidobro wurden Bomben in Reichenvierteln gelegt. Damit hatten die MLN zum ersten Mal die goldene Regel verletzt, ihre Aktionsformen an der Stimmung im Land zu orientieren. Nach einer Kritik von Sendic an den unkontrollierbaren Bombenanschlägen wurden diese eingestellt, aber der negative Effekt blieb.

Angesichts der Gefahr eines Bürgerkrieges wurde der Wunsch nach einer Rückkehr zum sozialstaatlichen Frieden laut. Diesmal waren es verschiedene Gruppen der Linken, die sich daran machten, „die Stoßdämpfer zu reparieren“ und das parlamentarische System wieder attraktiv zu machen. Im Februar 1971 gründeten sie zusammen mit Fraktionen aus den traditionellen Parteien das Wahlbündnis Frente Amplio. Die Basisbewegungen wurden zu Basiskomitees der Frente Amplio, die Selbstorganisierung in eine Wahlbewegung umgeleitet. Die MLN sprach sich mehrheitlich für „kritische Unterstützung“ aus und setzte gleichzeitig auf Eskalation. Sogar der Plan, Montevideo militärisch einzunehmen, wurde diskutiert, wenn auch nicht angenommen. Aber die Idee, den militärischen Apparat so zu stärken, dass eine solche Aktion möglich würde, setzte sich durch.

Im September gelang 111 gefangenen Tupamaros die Flucht. Barrikaden in La Teja, die als Ablenkung gedacht waren, führten zu einem spontanen Aufstand in diesem Arbeiterviertel. Die MLN war jedoch nicht mehr in der Lage, dieses Potenzial zu erkennen und sich darauf zu beziehen. Drei Tage später wurde das Militär ermächtigt, den „Krieg gegen die Subversion“ zu führen. In der Eigendynamik des Kampfes „Guerilla gegen Militär“ gingen den Tupamaros weitere Sympathien verloren, als sie unter nie ganz geklärten Umständen vier einfache Soldaten erschossen und vor allem als bekannt wurde, dass sie einen Arbeiter getötet hatten, der auf ein Versteck gestoßen war. Mitte 1972 war die MLN durch Polizei und Militär praktisch zerschlagen.

Fernández Huidobro hatte im Knast schon 1971 ein Papier vorgelegt, das einen weiteren fatalen politischen Schwenk einleitete. Mit Bezug auf die linke Militärregierung in Peru wurde nun die These vertreten, es gebe in der Armee „peruanistische“ Fraktionen, mögliche Verbündete, und das Militär könne insgesamt eine fortschrittliche Rolle spielen. Die Militärs waren durch Beschlagnahmungen und Aussagen von Verrätern darüber unterrichtet und schlugen Mitte 1972 mehreren Gefangenen der MLN vor, Kontakt zu Sendic herzustellen und Verhandlungen aufzunehmen. Die MLN sollte sämtliche Aktionen einstellen und das Militär würde Verhaftungen und Folter aussetzen. Mehrere führende Tupamaros wurden in der Kaserne Batallón Florida zusammengelegt. Fernández verließ die Kaserne mehrfach in Begleitung des Folterers Carlos Calcagna, den er sich selbst als Begleiter ausgesucht hatte, um Kontakt zur MLN aufzunehmen.

Die MLN lehnte die Forderung der Militärs nach bedingungsloser Aufgabe ab und antwortete mit einem politischen Forderungskatalog. Sendic akzeptierte aber schließlich die Gespräche, um die Folter zu stoppen und die Lage seiner gefangenen GenossInnen zu erleichtern. Tatsächlich wurden aber auch in dieser Zeit ein Genosse zu Tode gefoltert und mehrere bei Razzien ermordet. Sendic brach daraufhin nach drei Besuchen in der Kaserne die Gespräche ab und wurde kurz darauf verhaftet.

Ein weiteres düsteres Kapitel war die Antikorruptionskampagne der Militärs, mit der sie kurz vor dem Militärputsch die Parteien delegitimieren wollten. Die Tupamaros hatten 1969 beim Finanzinstitut Monty Papiere mit umfangreichen Informationen über Korruptionsfälle erbeutet. Im Batallón Florida schlugen Militärs den Gefangenen vor, die Papiere gemeinsam auszuwerten. Tupamaros nahmen daraufhin an Verhören wegen Finanzdelikten teil und einzelne beteiligten sich sogar an Folterungen. Trotzdem erklärten die später regierenden Tupamaros die Verhandlungen mit den Militärs und die gemeinsame Kampagne gegen Korruption auch im Nachhinein zum Erfolg.

Nach dem Ende der Diktatur und der Freilassung der Gefangenen bauten die Compañer@s die MLN als legale Partei wieder auf. Sie organisierten Mate-Runden in Parks als öffentliche Diskussionsveranstaltungen mit offenem Mikrofon, und gründeten verschiedene Medien als Sprachrohr für die Bewegungen (Zeitungen, Radio, Verlag). Bei dem Treffen zur Selbstkritik betonten die einen vor allem Schwächen der eigenen Konzeption, andere verwiesen auf Fehler bei der Konspiration oder die Rolle von AnführerInnen aus dem Uni-Milieu, denen Militarismus vorgeworfen wurde, sowie auf die drei VerräterInnen. Laut Zabalza haben dies Aspekte zwar eine Rolle gespielt, aber sie sind keine Erklärung. Ausschlaggebend war seiner Meinung nach vielmehr die Trennung der MLN von ihrer Basis, da sich die Guerilla mit einer Geschwindigkeit entwickelt hatte, die für die Massenbewegung unerreichbar war. Durch diese Isolierung der Militanten war die Zerschlagung der Organisation dann nur noch eine Frage militärischer Technik.

Zabalza berichtet eine weitere wenig bekannte Episode aus dieser Zeit, an der er selbst beteiligt war. Sendic kam mit einem Programm zu Landreform und Bankenverstaatlichung aus dem Knast und wollte sofort mit der Straßenagitation beginnen. Andere wollten sich aber zunächst nur dem Wiederaufbau der Organisation widmen (die in den ersten Jahren nach der Diktatur auch weiterhin eine klandestine Struktur pflegte). Im Mai 1985 gab es ein konspiratives Treffen, bei dem Sendic für unzurechnungsfähig erklärt und abgesetzt werden sollte. Für Zabalza ein weiteres schlimmes Beispiel dafür, wie eine vertikale Struktur Bürokraten und Apparatschiks hervorbringt, die im Kampf um die Kontrolle der Organisation jegliche Solidarität und revolutionäre Haltung fallen lassen. Der Stalinismus ist dafür das bekannteste Beispiel, aber nicht das einzige.

Abgesehen von der allgemeinen Kritik an der „Stoßdämpferpolitik“ der Frente Amplio, ihrem „Neoliberalismus mit Sozialpolitik“, ist vor allem die Verlängerung der Straffreiheit der Militärs immer wieder auf Unverständnis gestoßen. Wie kann es sein, dass Pepe Mujica, ein Tupamaro-Präsident, der selbst Folter und jahrelange Kasernenhaft erlitten hat, weniger unternimmt, die Menschenrechtsverbrechen zu ahnden, als die peronistische Präsidentin im Nachbarland? Die Antwort liegt vermutlich in den Ereignissen im Batallón Florida. Als die Richterin Mariana Mota 40 Jahre später ein Verfahren wegen des Verschwindenlassens von zwei Militanten gegen Calcagno, seinen damaligen Begleiter führte, wurde sie von Fernández Huidobro heftig kritisiert. Diese Haltung des Ministers war auch eine Unterstützung für die skandalöse Maßnahme des Obersten Gerichtshofes, die Richterin 2013 vom Straf- zum Zivilgericht zu versetzen und damit die hauptsächlich von ihr geführten Strafverfahren gegen Militärs auszubremsen.

Schon zu Beginn seiner Präsidentschaft hatte Pepe Mujica eine Lobrede auf die Tugenden des Militärs gehalten. Eine seiner letzten Amtshandlungen war 2015 die Unterzeichnung des Dekretes, eine Gedenkskulptur aus eingeschmolzenen Waffen von Tupamaros und Militärs aus den 70er-Jahren in Auftrag zu geben – womit der Verbrüderung von ehemaligen Guerilleros mit Militärs und dem Vergeben der von diesen begangenen Menschenrechtsverbrechen auch noch ein Denkmal gesetzt wird.