Am weitesten fortgeschritten ist die Privatisierung der Wasserversorgung und der Wasserressourcen in Chile. Vergleichbar mit Großbritannien unter Margaret Thatcher wurde in Chile in den 1980er Jahren eine Reform der nationalen Wassergesetzgebung durchgezogen, die der Auslieferung nicht nur der Dienstleistungen, sondern auch der Wasserrechte an den Privatsektor gleichkommt. Grundlage für diese umfassende Privatisierung war die Reform der Wassergesetzgebung im Jahr 1981. Dabei wurde das Wasser zum „Nationalgut des öffentlichen Gebrauchs“ erklärt, eine Trennung von Wasser- und Bodenrechten vorgenommen und ein Konzessionssystem eingeführt. In einem befristeten Zeitraum konnte jedermann und jedefrau Konzessionen bzw. Wasserrechte beim Staat beantragen, die kostenlos und unbefristet vergeben wurden. Alles weitere bleibt „dem Markt“ überlassen, das heißt die Konzessionsinhaber können ihre Wasserrechte verkaufen oder neue dazu kaufen, ohne weitere Einmischung vom Staat.
Die chilenische Ökologiegruppe „Chile Sustentable“ berichtet, dass bis 2002 rund 83 Prozent der Trinkwasserversorgung in Chile von privaten Unternehmen übernommen worden war. Im Bereich des Nutzwassers herrscht zu 100 Prozent das privatwirtschaftliche Regime. Die stärkste Kontrolle übt hier das Energieunternehmen ENDESA aus, gefolgt von anderen Energie- und Bergbauunternehmen. Auf der Strecke blieben die Interessen und Lebensgrundlagen der Kleinbauern und Indígenas, ebenso wie ökologischer Schutz der Wasservorkommen. Demgegenüber abgesichert wurde der privilegierte Wasserzugang der Bergbauindustrie und exportorientierten Plantagenlandwirtschaft. Auch die städtische Versorgung gilt als vorbildlich für Privatisierungsbefürworter, denn hier wurden sogar auch die Armen wahr genommen: Der Staat verteilt auf Antrag „Wasser-Gutscheine“ an städtische Arme und subventioniert auf diese Weise die Gewinne der Wasserunternehmen auch in den Armenvierteln.
Chile Sustentable kommt zu einer verheerenden Bilanz dieser Politik in sozialer und ökologischer Hinsicht. Anders die Weltbank und offizielle Entwicklungszusammenarbeit, die das „chilenische Modell“ gern als Vorbild und Prototyp für erfolgreiche Privatisierung im Wassersektor vorstellen. Der internationale Vergleich zeigt, dass es dabei nicht nur um Wortgeklingel geht. Denn die Weltbank verordnet mit ihrer neuen „Sektorstrategie Wasserressourcen“ den Entwicklungsländern eine Politik, die auf den Grundpfeilern des chilenischen Modells aufbaut: Privatisierung der städtischen Wasserversorgung, Einführung von Konzessionsmechanismen, Rückzug der öffentlichen Verantwortung im ländlichen Raum, Aufbau von „Wassermärkten“ auf der Grundlage „handelbarer Wasserrechte“ (tradable water rights). Entsprechende Gesetzesreformen mit fast identischen Begrifflichkeiten und Konzepten sind auf dem Weg in Sri Lanka, Ghana, Kenia, El Salvador, Guatemala oder Honduras. Ebenfalls global wiederholt sich die treibende Rolle der regionalen Weltbank-Töchter hinter dieser Politik, im Falle Lateinamerikas der Interameri- kanischen Entwicklungsbank (IDB oder BID) (vgl. Beitrag in diesem Heft).
Nach Angaben der US-amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Public Citizen hält die IDB Kredite im Umfang von 58 Milliarden US-Dollar in Lateinamerika, davon soll gegenwärtig eine Milliarde im Wassersektor vergeben sein. Die Konditionierung dieser Kredite an die Privatisierung städtischer Wassersysteme ist vielfältig belegt, ebenso wie der Widerstand dagegen. So haben zum Beispiel die Stadtregierungen von São Paulo und Bogotá Ende der 90er Jahre hartnäckigen Widerstand gegen die Privatisierungsauflagen von Weltbank/IDB geleistet und schließlich erreicht, dass die Kredite für die Reform der kommunalen Wasserversorgungsunternehmen freigegeben wurden. Beide Städte führten umfassende Reorganisierungen ihrer Wassersysteme in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften durch und sind wichtige Referenzen für den Widerstand gegen Privatisierungen geworden.
Gegenwärtig scheint der Privatisierungsprozess in Lateinamerika und weltweit in eine Art Warteschleife gegangen zu sein. Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen lösten viele Privatisierungsvorhaben heftigen Widerstand aus. Zum anderen sind zahlreiche Modellvorhaben wie in Manila oder Buenos Aires (vgl. ila 263) kläglich gescheitert. Weder wurden durch private Konzessionsnehmer in großem Maßstab die Armen erreicht, noch haben die internationalen Wasserkonzerne die erhofften Profite erwirtschaftet. Auch sind die privaten Investitionen ausgeblieben, die unter anderem das BMZ für unverzichtbar hält, um Millenniumsziele zu erreichen. In dieser Situation begannen die transnationalen Wasserunternehmen ihre Investitionsstrategien zu überdenken und sich weltweit aus „risikoreichen“ Ländern mit geringen Aussichten auf überdurchschnittliche Profite zunächst zurückzuziehen. So ist seit dem Höhepunkt 1997 der Zufluss privaten Kapitals in den Wassersektor der Entwicklungsländer um 50 Prozent zurückgegangen. Sowieso hatte die Privatwirtschaft in den meisten Fällen kaum eigenes Kapital, sondern staatlich abgesicherte Weltbankkredite umgesetzt.
Eine Weltbankstudie über mehr als 300 ihrer Projekte der Wasserver- und Abwasserentsorgung kommt zu dem Ergebnis, dass „ein großer Teil der untersuchten Projekte, insbesondere in Städten, keinen wirksamen Beitrag zur Umsetzung von Maßnahmen, durch die die Versorgung der Armen verbessert worden wäre, leisteten“. Ganz ähnlich äußert sich das UN-Generalsekretariat in seinem Bericht zur 12. Sitzung der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung, in dem es feststellt, „dass eine Bilanz der Privatisierung von Basis-Infrastruktur in Lateinamerika zum Ergebnis kommt, dass die Privatisierung im allgemeinen dabei versagt hat, die Interessen der Armen hinsichtlich Zugang und Bezahlbarkeit von Wasseranschluss zu berücksichtigen“.
Trotzdem ist keine Entwarnung angesagt. Vielmehr verschieben sich im Moment die Gewichte des Privatisierungsdrucks vom Süden zurück in den Norden und in die Schwellenländer (EU-Binnenmarkt, USA, Mexico, China). Gleichzeitig arbeitet die Europäische Kommission daran, die Risiken für das Agieren der Wasserkonzerne in Entwicklungsländern mit „flexiblen Instrumenten“ abzufedern. So soll eine neue „EU-Water Facility“ zunächst in den AKP-Staaten Projekte im Bereich der Wasserver- und -entsorgung finanzieren und finanzielle „Katalysator-Dienste“ für Kofinanzierungen vor allem im Bereich von Public-Private-Partnerships leisten. Denn es bleibe „eine große Herausforderung“, „den Privatsektor stärker einzubeziehen“ und diesem „angesichts unsicherer Gewinnraten“ Alternativen zu „teuren kommerziellen Krediten“ anzubieten für Investitionen in Bereichen, die als nicht gewinnbringend gelten. Dies ist eine verblüffende Umkehrung bisheriger Konzepte – die Wasserindustrie als Zuwendungs- empfänger statt als Finanzierungsquelle, deren Investitionen angeblich unverzichtbar für die Erreichung der von den UN formulierten Millenniumsziele sind (bzgl. Wasser soll bis zum Jahr 2015 die Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, halbiert werden).
Auch die Weltbank bastelt an neuen Instrumenten zur Risikoabsicherung des Engagements der internationalen Wasserunternehmen. Denn künftigen Investoren soll erspart bleiben, was zum Beispiel dem US-amerikanischen Unternehmen Bechtel nach der gescheiterten Wasserprivatisierung in Cochabamba widerfuhr: Auf der Suche nach „Entschädigung“ für die entgangenen Gewinne durch den Hinauswurf aus Bolivien suchte das Unternehmen rechtliche Hintertürchen, um Ansprüche anmelden zu können. Schließlich fand es eines, in Form einer in den Niederlanden registrierten Briefkasten-Tochterfirma des Unternehmens. Da zwischen Bolivien und den Niederlanden ein bilaterales Investitionsschutzabkommen existiert, klagt Bechtel nun vor einem niederländischen Gericht gegen den bolivianischen Staat auf einen Schadenersatz von 25 Mio. US-Dollar. Das Verfahren ist noch nicht entschieden. Einen anderen Weg fand das französische Unternehmen Suez nach dem Scheitern in Argentinien. Es beantragte Verlustentschädigung beim so genannten MIGA, das der Weltbank angeschlossen ist. Die Abkürzung steht für Multilateral Investment Guarantee Agency (Multilaterale Agentur für Investitionsgarantien) und springt seit den 80er Jahren neben der privaten Versicherungswirtschaft in Fällen „politischer Risiken“, Enteignungen, Strafzöllen etc. ein. Auch dieses Verfahren ist noch in der Schwebe.
Auch auf anderer Ebene sollen Risikolücken für eine künftige zweite Privatisierungswelle geschlossen werden, weltweit und auch in Lateinamerika. Dort sind in vielen Ländern Gesetzesreformen im Wassersektor unterwegs, deren Ursprung in allen Fällen auf die Weltbank bzw. die IDB zurückzuverfolgen ist. Ziel ist die gesetzliche Vorbereitung und Absicherung von Privatisierung und Teilprivatisierung sowohl der Wasserversorgungsdienstleistungen als auch von Wasserzugangsrechten. Damit soll „Rechtssicherheit“ als Grundlage für den stärkeren Einstieg regionaler und internationaler privater Wasserunternehmen geschaffen werden. Gleichzeitig werden damit die notwendigen Vorarbeiten für die eventuell anschließende Liberalisierung im Rahmen der GATS-Verhandlungen geleistet. Aus Mexico, aus Guatemala, Nicaragua und El Salvador wird über entsprechende Reformprozesse berichtet, die bisher weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die „Berater“ der Interamerikanischen Entwicklungsbank IDB verzichten dabei weder auf finanziellen Druck noch auf Ignorierung nationaler Parlamentsbeschlüsse. So wollte die IDB im vergangenen Sommer in Nicaragua einen „Beratungsprozess“ in Privatisierungs- vorbereitung finanzieren und durchsetzen, obwohl das Parlament im vergangenen Jahr ein Moratorium über Privatisierungsmaßnahmen im Wasserbereich beschlossen hatte. In Honduras war die IDB erfolgreicher. Sie brachen kurzerhand den gewerkschaftlichen Widerstand in der Hauptstadt Tegucigalpa dadurch, dass sie in den Kredit für die „Wassergesetzreform“, sprich die Einleitung der Wasserprivatisierung, großzügige Mittel für Abfindungen für von Entlassung bedrohte Wasserwerker einbezogen.
Noch in den 80er Jahren während der Strukturanpassungsprogramme war die Anerkennung des Rechtes jedes Menschen auf ausreichendes Trinkwasser und die vorrangige Verantwortung des Staates für seine Verwirklichung eine selbstverständliche Annahme der internationalen Diskussion. Dies änderte sich in den 1990er Jahren, als Weltbank und IWF den Paradigmenwechsel der offiziellen Diskussion in Richtung Kommerzialisierung und Ökonomisierung des Wassersektors einleiteten. Neben der Kreditbindung an Privatisierung drängten sie in den Ländern des Südens auf den Abbau von öffentlichen Subventionen und die Einführung kostendeckender Tarife. Gleichzeitig schuf die Weltbank in enger Kooperation mit den globalen Wasserversorgungsunternehmen internationale Foren außerhalb des UN-Systems, denen es gelang, den Ton der internationalen Wasserpolitik anzugeben und die Kommerzialisierung und Privatisierung als Königsweg für die Lösung der globalen Wasserprobleme zu propagieren. Das bekannteste Instrument dafür ist der World Water Council, eine private Vereinigung namhafter Persönlichkeiten vor allem der französischen Wasserindustrie und der multilateralen Finanzinstitutionen. Im Zusammenhang mit den im Jahre 2000 neu aufgenommenen Verhandlungen über das Dienstleistungsabkommen GATS der WTO drohen sich die geschilderten Prozesse zu einem Generalangriff auf die Wasserversorgung als eine der letzten Bastionen öffentlicher Verantwortung und Daseinsvorsorge zu verdichten.
Auch wenn das GATS-Abkommen selbst keine Privatisierungsmechanismen enthält, so erhöht es doch enorm den Druck in diese Richtung, bzw. macht nur Sinn bei erfolgter Privatisierung. Konkret fordert die EU die Einbeziehung der Wasserversorgung in die GATS-Liberalisierungsmechanismen von Nicaragua, Belize, Bolivien, Kolumbien, Cuba, Dominikanischer Republik, Guatemala, El Salvador, Ecuador, Honduras, Jamaica, Paraguay, Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Mexico, Panama, Trinidad & Tobago, Uruguay und Venezuela. Die Vereinten Nationen wurden von diesen Entwicklungen teilweise an den Rand gedrängt, nahmen aber Ende 2002 deutlich gegen die weitere Erosion des Rechtsansatzes in der internationalen Wasserdiskussion Stellung. Der Rat für wirtschaftliche und soziale Fragen (ECOSOC) veröffentlichte einen Rechtskommentar zum Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte, in dem der Zugang zu Wasser als grundlegendes Menschenrecht aufgewertet wurde, das Voraussetzung für die Verwirklichung jedes anderen Menschenrechtes sei. Der Rechtskommentar, der gemäß geltendem Völkerrecht die nationale Gesetzgebung aller Vertragsstaaten leiten sollte, macht präzise Aussagen zu den staatlichen Verpflichtungen gegenüber Individuen und Gemeinschaften, bringt die individuellen Ansprüche mit ökologischen Notwendigkeiten in Zusammenhang und stellt erstmals Bezüge zum multilateralen Handelsregime her. Damit setzten die Vereinten Nationen einen wichtigen Meilenstein und trugen dazu bei, die Diskussion von betriebswirtschaftlichen und finanzpolitischen Detailfragen zurück auf die grundlegenden Fragen einer sozial und ökologisch zukunftsfähigen Wasserversorgung zu lenken.
Der kürzliche Volksentscheid in Uruguay über eine Verfassungsänderung zum Thema Wasser ist bisher der erfolgreichste und weitreichendste Anlauf zur Umsetzung des Menschenrechtsansatzes mit weltweiter Signalwirkung. (vgl. Beitrag in diesem Heft) Für das kommende Weltsozialforum in Porto Alegre hat eine breite Koalition vereinbart, auf der Grundlage der uruguayischen Erfahrung die Diskussion über eine mittelfristige Perspektive zu beginnen, die den vielfältigen Widerstand in Nord und Süd zur Verteidigung des Wassers als öffentliches Gut und Menschenrecht unter einer gemeinsamen Zielrichtung positiv in die Zukunft richten könnte. In diesem Zusammenhang wird an eine Frischwasserkonvention gedacht, die die Prinzipien des Menschenrechtsgebots und der Ökologie vereinbaren, öffentliche und traditionelle Rechte schützen und völkerrechtliche Instrumente für Konfliktfälle enthalten könnte. Zunächst aber soll diese Perspektive helfen, dass die neuen lokalen und globalen Allianzen zwischen Basisgruppen, Umweltbewegung, Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften und GlobalisierungskritikerInnen, die wie in Uruguay, Honduras oder Guatemala weltweit entstehen, den Widerstand zum „glokalen“ Thema Wasser wirkungsvoller bündeln können.