Wie hat sich die Situation in Honduras seit deinem Aufenthalt im letzten Jahr verändert?
Die Situation hat sich sehr stark zum Negativen verändert. Die Drohungen gegen JournalistInnen, AktivistInnen, MenschenrechtsverteidigerInnen haben extrem zugenommen. Ausnahmslos alle Menschen, die ich dort getroffen habe, sind bedroht worden, indem sie komische SMS erhalten haben oder ein Auto ohne Kennzeichen vor ihrem Haus parkte. Ein Praktikant wurde zwei Tage von einem Auto verfolgt; eine Studentin, die eine Masterarbeit schreibt, wurde für ein paar Stunden entführt – eine Warnung, ihre Masterarbeit über das von ihre geplante Thema nicht fortzuführen. Honduranische JournalistInnen werden als AusländerInnen bezeichnet, um ihnen die Legitimität zu entziehen. Einzelne Personen werden herausgepickt und über Facebook und Twitter diffamiert.
Kannst du schildern, wie es zu der Bedrohung gegen dich kam?
Ich habe gemeinsam mit mehreren internationalen BeobachterInnen eine Kundgebung von COPINH begleitet. COPINH hat mit 100 Delegierten aus verschiedenen Gemeinden vor dem Präsidentenpalast demonstriert, um ihre Forderungen dort direkt vorzubringen. Innerhalb von zwei Stunden haben die Militär und Polizei mit Tränengasbomben, mit Wasserwerfern und mit einem unglaublichen Aufmarsch von Uniformierten die Kundgebung beendet. Nachmittags gab die Regierung eine Pressemitteilung heraus und erklärte, die AusländerInnen, die an dieser Demonstration teilgenommen haben, hätten die Gewalt geschürt. Es wurde zum Ziel erklärt, sie zu identifizieren und gegen sie vorzugehen. Da haben bei uns zum ersten Mal die Alarmglocken geklingelt.
Die Medien, die der Regierung nahe stehen, griffen die Pressemitteilung sofort auf und brachten Schlagzeilen wie: „Was machen AusländerInnen in Honduras? Was haben sie hier zu suchen? Sie führen gewalttätige Demonstrationen an!“ Am nächsten Abend wurden dann über den rechten Blog nosquedaclaro.com falsche Informationen über mich verbreitet, mit Fotos und Videos von mir, mit vollem Namen, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und der Behauptung, ich sei in Honduras, um Gewalt zu schüren und käme aus einer anarchistischen europäischen Gruppe. Ab dem Zeitpunkt bin ich nicht mehr alleine unterwegs gewesen. Über Facebook und Twitter wurde das ziemlich schnell und intensiv verbreitet, auch bei Youtube gibt es ein Video über mich. Viele meinten, dass sich die Aufregung nach ein paar Tagen geben würde, aber nach drei, vier Tagen wurde immer noch über mich geschrieben.
Diese Kampagne hat richtig gut funktioniert für sie. Es haben mich Leute auf der Straße erkannt, die durch den Blog wussten, wer ich bin. Es ist einfach, einen Blog aufzumachen, Artikel zu schreiben und Fotos zu veröffentlichen, und schwer, herauszufinden, wer dahinter steckt. Ich habe Anzeige erstattet, damit das herausgefunden wird.
Am dritten Tag von dem Treffen Berta Cáceres Vive wurde eine Karawane zum Rio Gualquarque organisiert, an der über 300 Leute teilnahmen, rund 100 von ihnen waren AusländerInnen. Diese Karawane wurde angegriffen. Niemand hat damit gerechnet, dass es zu dieser Eskalation käme, weil so viel internationale Präsenz und Presse vor Ort war. Damit wurde eine weitere wichtige Linie überschritten, nachdem bereits mit dem Mord an Berta Cáceres eine Grenze überschritten wurde, von der bis dahin angenommen worden war, dass sie nicht überschritten würde. Im Nachhinein finde ich, dass es hier einen Zusammenhang gibt: der Angriff auf die Karawane und die Verbreitung der Behauptung, dass die honduranische Bevölkerung das Wasserkraftwerk Agua Zarca befürworte und die Aufwiegelung nur von den Internationalen komme.
Über den Blog wurden viele Daten über dich veröffentlicht. Es wurde ein Foto eingestellt und dein Name sowie deine Staatsbürgerschaft genannt. Wie kommen die Betreiber des Blogs an solche Informationen und wie hast du reagiert?
Von den internationalen BegleiterInnen war nur ich betroffen, ich vermute, weil ich am ehesten als Europäerin identifiziert werde. Ich habe einen Facebookaccount, da kommen Hacker leicht ran. Vielleicht auch über andere Wege, darüber kann ich nur spekulieren.
Ich habe Kontakt zur Deutschen Botschaft aufgenommen, aber sie hat die Lage nicht als besonders gefährlich eingeschätzt. Nach der Kampagne gab es ein Ausreisebegehren gegen mich. Ich habe zwei Staatsbürgerschaften, und da ich mit italienischem Pass eingereist bin, habe ich auch Kontakt zum italienischen Konsul in Honduras aufgenommen. Er hat mich unter Druck gesetzt, sofort auszureisen. Er hat mich angerufen und gesagt, er komme am folgenden Tag nach Tegucigalpa und werde mich zum Flughafen begleiten, weil ein Ausreisebeschluss gegen mich vorliege. Er habe nichts Schriftliches, er wisse das nur über Gespräche und am Flughafen würden mir die formellen Papiere übergeben. Daraufhin haben meine FreundInnen in Deutschland beim Auswärtigen Amt angerufen und dieses hat Kontakt zur Botschaft aufgenommen. Ich weiß bis heute nicht, ob der Konsul dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat, um Druck auf mich auszuüben und damit das Problem, das ich ihm erzeugt habe, so schnell wie möglich abzuschließen.
Später habe ich einen weiteren Anruf vom Konsul bekommen, dass ich bei der Einwanderungsbehörde vorgeladen sei. Mir werde vorgeworfen, ich sei mit einem Touristenvisum eingereist. Es wurden noch drei weitere AusländerInnen von der Behörde vorgeladen – eine ist wie ich am gleichen Tag ausgereist und die anderen haben die Einladung nicht rechtzeitig erhalten und sind deswegen nicht erschienen. Es ist klar, dass das eine weitere Einschüchterung war, ein anderer Weg, gegen uns vorzugehen. Es läuft jetzt also noch ein Prozess in Honduras gegen mich, weil ich gegen das Migrationsgesetz verstoßen haben soll.
Was bedeutet das für die internationale Menschenrechtsbeobachtung?
Es gab einen ähnlichen Fall in Guatemala vor ein, zwei Jahren mit zwei Freiwilligen eines PBI-Teams (Peace Brigades International, anerkannte Begleitorganisation für bedrohte AktivistInnen; Anm.d.Red.), das eine Kundgebung gegen ein Bergwerk begleitet hatte. Den beiden BegleiterInnen wurde in dem Bescheid eine Frist von zehn Tagen gesetzt, um auszureisen. In dieser Zeit ist PBI aktiv geworden, an die Öffentlichkeit gegangen und konnte erreichen, dass der Ausreisebescheid zurückgezogen wurde. Bei mir war nicht klar, ob es ein Gerücht ist oder tatsächlich ein Bescheid vorliegt. Wir als Begleitgruppe wollten zunächst nicht so viel Aufmerksamkeit schaffen, um nicht noch mehr zu provozieren. Daher haben wir bislang kaum mit anderen Organisationen zusammen analysiert, was das bedeutet. Es gab nur interne Überlegungen dazu: Viele wollen nicht mehr so öffentlich auftreten, vor allem in der Hauptstadt. Es macht aber immer noch Sinn, in den Gemeinden zu begleiten, in denen Konflikte vorliegen. Für diese sind die Präsenz und die Begleitung ein Schutz, aber wir fragen uns, ob es sinnvoll ist, eine Kundgebung mit öffentlichem Auftritt zu begleiten. Das wird von der Regierung als Provokation gewertet.
Was sagen Organisationen wie COPINH dazu? Wollen sie weiter begleitet werden, sehen sie darin weiterhin einen Schutz?
Ich glaube, für sie persönlich ist die internationale Aufmerksamkeit durch die Begleitung ein Schutz. Aber für mich als Beobachterin ist es schwierig, weil sich die Situation umkehrt. Eigentlich sind wir da, um sie zu schützen, aber dann müssen sie uns schützen.
Ich würde keine Kundgebung mehr begleiten, aber in einer anderen Form dennoch wieder Begleitarbeit machen. Wir brauchen mehr politische Analyse und eine bessere Strategie. Die Kampagne richtete sich ja in Wirklichkeit nicht gegen mich, sondern den Forderungen und Aktivitäten von COPINH soll ganz klar die Legitimität entzogen werden: „Ausländische Menschen kommen nach Honduras, um die Kundgebungen zu organisieren und anzuschüren.“ Als ob COPINH und alle anderen sozialen Organisationen nicht in der Lage wären, selbstständig ihre Forderungen aufzustellen und Aktivitäten umzusetzen. Das ist sehr rassistisch.
Sollen auch angesichts der Wahlen nächstes Jahr kritische Stimmen delegimiert werden?
Juan Orlando Hernandez setzt alles dran, wiedergewählt zu werden. Die Wahlkampagne hat inoffiziell schon angefangen. Es will sich so präsentieren, als ob er viel geschafft hat und Stimmen, die ihn kritisieren, einschüchtern. Dazu gehört auch, die soziale Bewegung zu spalten, damit sie nicht stark auftreten kann. Felix Molina, der Journalist, auf den Anfang Mai mehrfach geschossen wurde, ist nun im Ausland und wird nicht so schnell nach Honduras zurückkehren. Er ist einer der kritischen Journalisten in Honduras und viele Menschen haben seine Sendungen gehört. Berta war auch eine wichtige kritische Stimme. Der Koordinator des Movimiento Amplio MADJ, Martín Fernández, der jeden Tag im Radio Dignidad eine Sendung hat, wird sehr stark bedroht, sogar während seiner Sendung.
Der Mord an Berta Cáceres hat ja erst die internationale Aufmerksamkeit auf Honduras gelenkt. Die Ermordung einer Person, die gerade den Goldmann-Preis gewonnen hat, macht gar keinen Sinn aus Sicht der Regierung. Es war vorhersehbar, dass das weltweite Empörung hervorrufen würde. Berta Cáceres war im Vatikan und hat dort gesprochen, sie war in ganz Lateinamerika und weltweit auch sehr gut vernetzt – sogar auf den Philippinen wurden Solidaritätsaktionen für sie durchgeführt.
Danach haben sich die Banken aus dem Agua-Zarca-Projekt zurückgezogen, mit der Forderung, den Mord an Berta aufzuklären. Die fünf Verdächtigen sind nur festgenommen worden, damit die Regierung sagen kann: „Wir tun etwas“, und um den Forderungen der Banken und der InvestorInnen gerecht zu werden. Die honduranische Regierung will sich als lohnendes Investitionsland präsentieren. Daher kommen die Auftraggeber des Mordes an Berta vielleicht aus Bereichen, auf die Juan Orlando keinen Einfluss hat. Die intellektuellen Täter werden nicht angetastet.