Exil in der Dominikanischen Republik

Als Kurt Ludwig Hess am 25. Juni 1939 in der dominikanischen Hafenstadt Puerto Plata von Bord des Frachters Bretagne ging, hatte er bereits eine Odyssee hinter sich. „Luis“, wie er später auf der Insel genannt wurde, stammte aus einer jüdischen Familie in Erfurt und hatte Nazi-Deutschland 1933 verlassen. Er schlug sich als Teilhaber einer Strumpffabrik in Barcelona, als Barbesitzer auf Ibiza und nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs als Handelsvertreter in Paris durch. Schließlich kam er mit einem Visum für die Dominikanische Republik in die Karibik, wo er sich im Juni 1940 als Dolmetscher dem Siedlungsprojekt in Sosúa anschloss. Hier heiratete er Ana Julia, „das Glück seines Lebens“, hier blieb er und hier starb er im Alter von 101 Jahren am 10. Februar 2010. Sosúa, diese in vielerlei Hinsicht einzigartige jüdische Exil- und Siedlungskolonie, erforscht und in gut lesbarer Form dargestellt zu haben ist das Verdienst des Buches Fluchtpunkt Karibik von Susanne Heim und Hans-Ulrich Dillmann, das eine Lücke in der Exilforschung schließt. 

Als 1938 auf der internationalen Flüchtlingskonferenz von Evian 31 der anwesenden Länder den von den Nazis bedrängten Juden die Türen verschlossen, war es ausgerechnet ein Massenmörder und Rassist, der sich als Einziger bereit erklärte, einige Tausend Flüchtlinge aufzunehmen: Rafael Trujillo, der Diktator der Dominikanischen Republik. Erst ein Jahr zuvor hatte er ca. 20 000 haitianische Wanderarbeiter in einem mehrtägigen Pogrom massakrieren lassen. Er, der dem Gedankengut des europäischen Faschismus durchaus nahestand, versprach sich von der Ansiedlung jüdischer Siedler eine Aufbesserung seines Images, eine „Aufhellung“ der dominikanischen Bevölkerung sowie wirtschaftliche Vorteile. Es spricht für die entsetzliche Zwangslage, in der sich die jüdischen Flüchtlinge befanden, dass ihre Fürsprecher keine andere Wahl hatten, als auf dieses Angebot einzugehen. So übernahm die jüdische Hilfsorganisation in den USA, der Joint, die Federführung für das Projekt und gründete zu seiner Umsetzung die Dominican Republic Settlement Association (DORSA). Die Siedlung wurde schließlich in Sosúa, einer von Ödland umgebenen ehemaligen Bananenplantage der United Fruit Company an der Nordküste der Insel, angelegt. 

Die Anwerbung der Siedler war auf bereits von den Nazis vertriebene deutsche und österreichische Juden beschränkt, welche die körperlichen Voraussetzungen für die anstrengende landwirtschaftliche Arbeit aufwiesen. Zudem mussten die Hilfsorganisationen die Finanzierung übernehmen. „Wir mussten entscheiden, wer Häuser, Sonnenschein und eine Chance zum Leben haben wird“, war der bittere Kommentar Solomon Trones, der im Auftrag der DORSA nach Europa entsandt wurde, um unter den Flüchtlingen geeignete Siedler auszuwählen. 

Es dauerte bis Mai 1940, ehe die ersten Siedler aus Europa in Sosúa eintrafen. Geleitet wurde das Projekt anfangs von Joseph Rosen, einem vor zaristischer Verfolgung in die USA geflüchteten Menschewiken, der in den 20er Jahren als Vertreter des Agro-Joint bereits Erfahrungen mit der Unterstützung jüdischer Agrarkolonien auf der Krim gemacht hatte. Nun schwebte ihm ein „karibischer Kibbuz“ mit einer Mischung aus Individual- und Kollektivwirtschaft vor. Chronische Finanzengpässe und die mangelnde Eignung vieler Stadtmenschen für die Arbeit als Pionier-Landwirte setzten dem Projekt jedoch früh Grenzen. Mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg kam die Einwanderung praktisch zum Erliegen. Insgesamt 750 rassistisch Verfolgte fanden während des Zweiten Weltkriegs eine Zuflucht auf der Karibikinsel, das geplante Großprojekt aber kam nicht zustande. 

Obwohl Trujillo 1945 sein Ansiedlungsangebot erneuerte, verließen mehr Siedler die Insel – meist in Richtung USA – als nachzogen, unter Letzteren einige Emigranten aus Shanghai. Die, die blieben, gaben das Kollektivmodell auf und privatisierten die Betriebe. Heute leben nur noch wenige Nachfahren der ehemaligen Siedler in Sosúa, das seit den 80er Jahren als Touristenhochburg bekannt geworden ist. 
Die AutorInnen haben die Geschichte Sosúas minutiös rekonstruiert, den Kontext der NS-Verfolgungspolitik klar dargestellt und die migrationspolitischen Interessen Trujillos und der USA beleuchtet. Bei aller Sympathie für die Verfolgten, denen einige liebevolle Porträts gewidmet sind, setzen sie auch kritische Akzente, wenn sie z.B. die übergroße Nähe einiger DORSA-Repräsentanten zu dem Tyrannen Trujillo oder das herabsetzende Verhalten mancher Siedler gegenüber den einheimischen Arbeitern erwähnen. 

Hilde Palm, die mit ihrem Mann 1940 über England in die Dominikanische Republik emigrierte, resümiert die Zwangslage der jüdischen Flüchtlinge unter dem zweifelhaften Schutz des Despoten so: „Viele Flüchtlinge verdanken ihm das Leben. Man konnte dem Diktator nicht dankbar sein, man konnte ihm nicht undankbar sein, er war ein furchterregender Lebensretter.“ Nach ihrer Rückkehr 1954 wurde sie unter dem Namen als Lyrikerin bekannt, den sie der Insel ihres Exils entlehnte: Hilde Domin. (Vgl. das Lebenswege-Interview mit ihr in ila 180

Hans-Ulrich Dillmann, Susanne Heim: Fluchtpunkt Karibik. Jüdische Emigranten in der Dominikanischen Republik,  Ch. Links Verlag, Berlin 2009, 192 Seiten, 24,90 Euro