Am Tag der Amtseinführung Donald Trumps traf ich in einem meiner beiden Bonner Lieblingsbuchläden meinen alten Bekannten Winfried Brenner. Natürlich kam unser Gespräch bald auf den neuen US-Präsidenten und die von diesem zu erwartende Politik. Winfried erzählte, er habe kürzlich ein Buch Leo Löwenthals aus dem Regal geholt und dessen Analyse „Falsche Propheten“ über die Argumentationsmuster US-amerikanischer Rechtsradikaler aus dem Jahr 1949 wieder gelesen. Er sei erstaunt gewesen, wieviele Passagen darin auch auf Donald Trump zuträfen.
Da mich Texte von Exil-AutorInnen, also solchen, die vor dem Terror der Nazis aus Deutschland fliehen mussten, immer interessieren, besorgte ich mir Löwenthals Buch „Zur politischen Psychologie des Autoritarismus, in dem die Abhandlung „Falsche Propheten – Studien zur faschistischen Agitation“ 1981 auf Deutsch erstmals veröffentlicht worden ist (das Original war auf Englisch verfasst).
Der 1900 als Sohn nichtreligiöser jüdischer Eltern geborene Leo Löwenthal gehörte ab 1930 zu den festen Mitarbeitern des „Instituts für Sozialforschung“ an der Universität Frankfurt. Die aus unterschiedlichen Disziplinen kommenden und größtenteils marxistisch wie auch psychoanalytisch geschulten Wissenschaftler des Instituts, zu denen Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Erich Fromm und Friedrich Pollock gehörten, wurden als „Frankfurter Schule“ international bekannt. Viele der Arbeiten der von ihnen begründeten „kritischen Theorie“ gehören heute zu den Klassikern der Gesellschaftswissenschaften.
Wegen seiner politischen Ausrichtung und vor allem weil die meisten seiner Mitarbeiter Juden waren, musste das Institut 1933 die Arbeit in Deutschland einstellen. Doch sein Wirken wurde längst weltweit geschätzt, und so stellte die Colombia University in New York den vertriebenen Wissenschaftlern Räume und Mittel zur Verfügung, um in den USA weiterarbeiten zu können. Leo Löwenthal blieb als letzter seiner Kollegen in Frankfurt, um das Institut abzuwickeln und den Transport der Forschungsunterlagen in die Vereinigten Staaten zu organisieren, ehe auch er 1934 Deutschland verließ.
Im US-amerikanischen Exil setzten sich die Frankfurter Sozialforscher unter anderem sehr intensiv mit den sozialpsychologischen Grundlagen des Nationalsozialismus auseinander und entwickelten ihre Theorie des durch repressive Erziehung und erzwungene Triebunterdrückung geformten „autoritären Charakters“, der für die nationalsozialistische Propaganda und Ziele äußerst empfänglich war.
Mit diesem theoretischen Handwerkszeug ausgerüstet, setzte sich Leo Löwenthal nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit der Agitation faschistischer Gruppen in den USA auseinander, die überwiegend während der durch zahlreiche progressive Maßnahmen geprägten Präsidentschaft Franklin Roosevelts entstanden waren. Auch wenn die damaligen Rechtsextremisten in den USA keine breite Basis aufbauen konnten, wurden sie wegen ihrer aggressiven Propaganda gegen Flüchtlinge, Juden und Linke von jüdischen Organisationen und den EmigrantInnen aus Europa, die erlebt hatten, dass die NSDAP in Deutschland zunächst auch nur vergleichsweise wenige von der Republik Enttäuschte und Frustrierte anziehen konnte, als langfristige Bedrohung der US-amerikanischen Demokratie gesehen.
Löwenthal interessierten bei seiner Arbeit vor allem die Fragen, welche Argumentationsmuster die faschistischen Agitatoren benutzten, wen sie damit ansprachen bzw. erreichten und welche Gefühle und Erwartungen sie zu mobilisieren suchten.
Er stellte fest, dass sich die faschistischen Prediger zwar wortreich über die Unfähigkeit und Blindheit der RepräsentantInnen des Systems ereiferten, dabei aber die bestehende Ordnung keineswegs in Frage stellten. Anders als reformistische oder revolutionäre Kritiker des Kapitalismus formulierten sie keine politischen Alternativen, um Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu beheben, sondern blieben in ihren Vorschlägen äußerst vage. Sie forderten immer wieder von neuem einen „Marsch auf Washington“, um mit den dort herrschenden Eliten „aufzuräumen“. Denn die seien an allem schuld, weil sie eine schlechte Politik machten, aber mehr noch, weil sie nichts gegen diejenigen unternähmen, die tatsächlich für die ganzen Probleme verantwortlich seien, nämlich die KommunistInnen, die Flüchtlinge aus Europa und ganz besonders die Juden und Jüdinnen.
Die Besucher (Löwenthal merkt an einer Stelle an, dass es ganz überwiegend Männer waren) der von den Faschisten organisierten Veranstaltungen kamen auch nicht dorthin, weil sie Lösungsvorschläge für konkrete Problem erwarteten, sondern weil sie hofften, dass die Agitatoren die an den Pranger stellen würden, die schuld seien an allem, was sie nervt. Die Anhänger der faschistischen Gruppen entstammten der unteren Mittelschicht, teilweise waren sie auch arbeitslos oder beruflich gescheitert und hielten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Was sie alle vereinte war, dass sie unzufrieden und frustriert waren und einen Groll gegen all jene hegten, denen es besser ging. Löwenthal nannte dieses diffuse Unwohlsein „Malaise“.
Genau an diesen Gefühlen setzten die faschistischen Agitatoren an. Sie erklärten, die arroganten und korrupten Eliten in Washington kümmerten sich nicht um die Sorgen und Nöte der schlichten Amerikaner. Stattdessen interessierten sie sich nur für ihre Geschäfte und für die Belange der Juden, Kommunisten und Immigranten. Dass Kapitalisten und Kommunisten grundsätzlich verschiedene Ziele verfolgen, ignorierten sie. Vielmehr konstruierten sie eine geheime Allianz gegen das amerikanische Volk. Sowohl die Banker in der Wallstreet als auch die Kommunisten wären mehrheitlich Juden, und die trieben ihr perfides Spiel. Wie die Nazis in Deutschland zwischen dem (bösen) raffenden und (guten) schaffenden Kapital, also den jüdischen Bankiers und Händlern und den arischen Unternehmen unterschieden, sahen auch die faschistischen Agitatoren in den USA zwei Arten von Kapitalisten. Nur die eine, nämlich die jüdischen Bankiers, saugten das amerikanische Volk aus, wobei ihnen die Kommunisten, Flüchtlinge und die damalige US-Regierung zur Seite stünden.
Die faschistischen Agitatoren brüsteten sich damit, dass sie die einzigen seien, die diese teuflische Allianz durchschauten und den Mut besäßen, die Wahrheit auszusprechen. Wie die heutigen Rechten und ihr Geschwätz von der Lügenpresse behaupteten auch die US-Rechten, es gäbe ein mediales Meinungsmonopol, das dafür sorgte, dass vieles nicht bekannt würde. Alle, die sich dem entgegenstellten – also vor allem sie –, lebten angeblich gefährlich.
Weil sie sich aber nicht einschüchtern ließen, seien sie berufen, die Bewegung anzuführen. Ihren ZuhörerInnen stellten sie keine Verbesserungen ihrer Lebenssituation in Aussicht, sondern versprachen ihnen, dabei sein zu dürfen, wenn mit den oben genannten Volksfeinden aufgeräumt würde. Sie versuchten also letztlich, eine Pogromstimmung zu erzeugen. Dass sie ihre AnhängerInnen letztlich als von Frust und Neid gesteuerte gewaltbereite Loser mit wenig Durchblick und Verstand charakterisierten, die ohne starken Führer gar nichts auf die Reihe bekämen, ist mehr als zynisch.
Nach dem Motto „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ forderten sie bedingungslose Unterstützung. Wer sich ihren Prinzipien und ihrer Führung nicht vollständig unterwerfe, habe keinen Platz in der Bewegung oder wie es einer der faschistischen Agitatoren in einer Rede artikulierte: „If any of you don‘t agree with the principles of America First and don‘t care to contribute to our cause, this is the time for you to get up and walk out.“ (S. 139)
So stellen wir fest, dass die Parolen Trumps und der heutigen US-Rechten, die sich zeitgemäß „Alternative Right“ nennen, keineswegs neu sind, nicht einmal der Slogan von Trumps Kampagne stammt von ihm.
Auch wenn die Parallelen allgegenwärtig sind, gibt es auf den ersten Blick einige auffällige Unterschiede in den Äußerungen des heutigen US-Präsidenten Trump und der damaligen Rechten. Der Antisemitismus, in den dreißiger und vierziger Jahren das Kernstück der Verschwörungstheorien, scheint bei Trump keine Rolle zu spielen. Vielmehr unterstrich er in seinen antimuslimischen Tiraden mehrfach seine Verbundenheit mit der israelischen Rechten. Doch wer sich die Polemik des Milliardärs Trump gegen die Verbindungen Hillary Clintons zur Wallstreet und zu Hollywood vergegenwärtigt und sich dann in Erinnerung ruft, wer im Weltbild der US-Rechten in der Wallstreet und der Medien-/Filmwirtschaft das Sagen hat, könnte schon bezweifeln, ob Trump tatsächlich ohne Antisemitismus auskommt.
Ein anderer Unterschied besteht in der Sicht auf die Sexualität. Hatten die Agitatoren der dreißiger Jahre ihren Gegnern sexuelle Ausschweifungen unterstellt und einem Puritanismus gehuldigt, präsentiert sich Trump als Super-Macho. Die von ihm implizierte Botschaft an seine AnhängerInnen lautet: Ich mag zwar alt und hässlich sein und eine alberne Frisur haben, trotzdem kann ich jede Frau haben, von der ihr nur träumt, weil ich nämlich reich und mächtig bin.
Auch wenn zwischen dem Puritanismus der alten Faschisten und dem Potenzgebaren Trumps Welten zu liegen scheinen, setzen beide bei den aggressiven erotischen Phantasien und der realen sexuellen Frustration ihrer männlichen Anhänger an. Deshalb haben Trump seine vor der Wahl bekannt gewordenen sexistischen Sprüche auch keineswegs geschadet. Dass er auch viele Wählerinnen mobilisieren konnte, bietet interessanten Stoff für weitergehende Studien und Analysen. (Trump wurde zwar mehr von Männern gewählt, schaut man aber nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf die Hautfarbe, fällt auf, dass er bei den weißen Frauen eine Mehrheit erzielt hat.)
Auffällig in der Analyse Leo Löwenthals ist, dass die AfroamerikanerInnen bei den US-Faschisten kaum vorkamen. Dass sie keine Anhänger der Rechten waren, liegt auf der Hand. Aber dass sie nicht zu ihren bevorzugten Feindbildern gehörten, mag angesichts des rassistischen Charakters der US-Gesellschaft überraschen. Offensichtlich aber brauchen die Agitatoren dafür soziale Gruppen, die wegen ihres ökonomischen Erfolgs den Neid der tatsächlichen und vermeintlichen Verlierer auf sich ziehen können. Damals die Juden, heute die erfolgreichen asiatischen ImmigrantInnen oder die neue Latino-Mittelschicht. Außerdem konnte und kann man die AfroamerikanerInnen nun wirklich nicht der illegalen Einwanderung bezichtigen, sie sind schließlich nicht freiwillig in die USA gekommen.
Die Lektüre des Buches von Leo Löwenthal aus dem Jahr 1949 ist eine wichtige Handreichung für alle, die die jüngsten Erfolge der extremen Rechten verstehen wollen und gleichzeitig ein intellektueller Genuss. Wie bei allen KlassikerInnen von Karl Marx bis zu Simone de Beauvoir bietet deren Lektüre noch keine Lösungen für die heutigen Herausforderungen an. Aber sie geben uns das theoretische Rüstzeug in die Hand, um die heutigen Konfliktlagen zu begreifen und entsprechende politische Antworten darauf geben zu können.