Fluchthilfe und Widerstand – gelebte Solidarität

Lisa Fittko wurde noch zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt. In dem französischen Küstenort Banyuls-sur-Mer steht ein Gedenkstein, in dem ihr Name und der ihres Mannes Hans Fittko eingraviert sind. Die Erinnerungsstätte ehrt die am 12. März 2005 in Chicago Verstorbene. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten hat sie, beide selbst politische Flüchtlinge, von den Nazis Verfolgten die Flucht über die Pyrenäen nach Spanien ermöglicht.

60 Jahre später sitzt Lisa Fittko in ihrem Wohnort Chicago der Bühnenbildnerin Hanne Eckart und derem Mann, dem Regisseur Hubert Eckart – „geboren als Hubert Kross in Leipzig“ – gegenüber und erzählt von ihrem Leben als politisch Verfolgte. Während im Hintergrund manchmal startende und landende Flugzeuge zu hören sind, Tassen klappern und das Telefon klingelt, berichtet die damals 91-Jährige über mehrere Tage verteilt von Stationen ihres bewegten Lebens. 14 Stunden Ton- und Filmaufnahmen sind dabei entstanden, die auszugsweise und auf wichtige Episoden redigiert in digitalisierter Form jetzt als Hörbuch publiziert wurden.

Vieles von dem, was Lisa Fittko in der Küche ihres Wohnhauses den HerausgeberInnen der CD berichtet, ist bekannt, da schon in ihren Lebenserinnerungen veröffentlicht. Besonders „Mein Weg über die Pyrenäen“ hat die 1909 im ungarischen Ungvár Geborene einem größeren Publikum Ende der 80er Jahre bekannt gemacht. Während die Linke in der Schweiz, Österreich und Deutschland über Migration, illegale Einwanderer und Fluchthilfe diskutierte, schildert Fittko, wie sie monatelang Flüchtlinge „professionell“ über die staatliche Trennungslinie zwischen Frankreich und Spanien geschleust hat, finanziert von einer US-amerikanischen Hilfsorganisation, dem Emergency Rescue Committee (ERC – Nothilfe Rettungskomitee).

„Über die Pyrenäen-Geschichte wird gerne berichtet, weil es eine Sensation war“, sagt Lisa Fittko noch im Nachhinein mit hörbar verwunderter Stimme, „eine mittelmäßige Sensation, aber doch eine Sensation.“ Besonders die Geschichte über die letzten Stunden des jüdisch-deutschen Philosophen Walter Benjamin hat Aufsehen erregt, denn Lisa Fittko war jene Person, die Benjamin nachts über „die Berge schleuste“.
Man spürt in ihrer Erzählung die Distanz zu dem Intellektuellen. Auf der einen Seite sie, die linke Praktikerin, die von sich sagt, dass sie nicht nur reden kann, sondern die Dinge anpacken muss. Auf der anderen Seite Benjamin, der Theoretiker, der sich in feinem Pariser Zwirn und Straßenschuhen auf einen Grenzübertritt abseits des Schlagbaums bei Nacht und Nebel begibt. Und dabei eine schwere, hinderliche Tasche mitschleppt. Mit seinem letzten Manuskript, wie er sagt. Man hört es noch heute, wie sie sich geärgert haben muss, dass der durchaus auch von ihr geschätzte Linksintellektuelle Gepäck mit sich führte, mit dem sich wegen des für ihn sehr anstrengenden Weges dann andere abschleppen mussten. Das Schlimmste waren „Emigranten, die keine Disziplin halten konnten“.

Lisa Fittko wuchs in Wien auf. Ihr Vater, Ignaz Ekstein, ein jüdischer Intellektueller, war seit 1916 Mitherausgeber und später Eigentümer der kulturpolitischen Zeitschrift „Die Waage“. Ihre Mutter, Julie „Teriko“ Ekstein, war die Schwester der Wiener Malerin Malvina Schalek. „Religion hat für uns keine Rolle gespielt, wir waren nicht religiös“, erinnert sie sich. Im Jahre 1922 zog die Familie nach Berlin. Lisa, die Tochter aus wohlhabendem Hause, wird Mitglied des „Sozialistischen Schülerbundes“. Seit der nationalsozialistischen Machtübernahme lebt sie im Untergrund, muss fliehen. In der Tschechoslowakei lernt sie ihren späteren Mann Hans kennen. Beide gehen in die Schweiz, wechseln nach Frankreich. Danach pendelt Lisa Fittko zwischen Paris und den Niederlanden, schmuggelt politisches Material und Menschen über die Grenzen. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht wird sie nach Südfrankreich deportiert, flieht und beginnt mit ihrem Mann Dutzende von Flüchtlingen auf einer festen Fluchtroute in das sicherere Spanien zu schleusen. Ihr 1967 verstorbener Mann Hans wurde für seine „Rettung von Juden“ später in Israel mit der Yad Vaschem-Medaille geehrt.

Als die Gruppe auffällt, gelingt dem Ehepaar Fittko die Flucht. Mit Hilfe des Emergency Rescue Committee erhalten sie Asyl in Kuba und gehen 1948 in die USA. Leider erzählt sie fast gar nichts über die Zeit bis in die 70er Jahre, als sie sich in der Anti-Vietnam-Bewegung engagiert. Es wäre spannend gewesen, zu erfahren, warum die Fittkos ins „innere Exil“ gingen, sich aus dem „politischen Leben“ zurückgezogen hatten.

Chronologisch erzählt die „stille Heldin“ Lisa Fittko ihr Leben. Die einzelnen Takes sind mit Musik aus der Zeit oder dem inhaltlichen Zusammenhang verknüpft. Den digitalisierten Bericht über ihr Leben auf drei Compact Discs verstehe sie, so sagte Lisa Fittko Hanne und Hubert Eckart, „als eine Verbeugung vor all jenen, über deren Einsatz für eine bessere Welt niemals berichtet wurde“.

Lisa Fittko – Hörbuch (3CD). Meine Biographie liegt in der Weltgeschichte. Lisa Fittko (1909-2005) erzählt aus ihrem Leben, ein Hörbuch von Hanne und Hubert Eckart, Abacus Medien, Quedlinburg 2006, ISBN 3-9811255-0-9