Der Kern der Gruppe entstand als Hausfrauenclub. Nachdem 1998 der Hurrikan Mitch über das Land gefegt war und sie mit dem Wenigen, was ihnen geblieben war, kein Auskommen mehr hatten, traten sie die Flucht nach vorn an. „Zuerst waren wir eine Gruppe von Frauen und haben immer ein wenig Brot gebacken. Dann aber haben wir uns zusammengetan für den Kampf um Land“, sagt Marta Gómez. Sie suchten eine eigene und sichere Ernährungsgrundlage. „Wenn wir das Wichtigste haben, das Land, dann kann ich die Familie ernähren“, begründet Lucila Martínez ihre Aktion.
Die meisten von ihnen haben Kinder und die meisten von ihnen sind alleinerziehend. Sie wussten, wo es in ihrer Nähe brachliegendes Staatsland gab. Sie bereiteten sich dank der Beratung durch erfahrene Bauernführerinnen auf den Einsatz vor. Zunächst hatten sie sogar die Unterstützung des nationalen Agrarreforminstituts. Doch schon bald blies ihnen der Wind ins Gesicht, die erste gewaltsame Räumung fand am 6. Februar 2002 statt. Die einfachen Hütten der Frauen wurden niedergerissen, der darin befindliche Hausrat verbrannt. Juristisch haben sie den Fall verloren, den Mut haben sie deswegen nicht aufgegeben. Im Oktober letzten Jahres und zuletzt im Februar drohten ihnen weitere Vertreibungen. Doch sie haben sich nicht beirren lassen und haben derzeit durchaus Chancen, das umkämpfte Landstück übertragen zu bekommen.
Das Land, das die Frauen besetzt halten, gehört der nationalen Universität. Die hatte die 69 Hektar, die sie von der staatlichen Agrarreformbehörde INA 1992 zu Forschungs- und Bildungszwecken zugewiesen bekam, nie genutzt. So kam es, dass die landlosen Frauen für das brachliegende Terrain mit guter Bodenqualität einen entsprechenden Antrag bei der Agrarreformbehörde stellten. Das Landstück liegt in der Gemeinde San Juan Pueblo im Bezirk La Masica, Departement Atlántida, im Norden von Honduras. Um den Anspruch zu untermauern, besetzten sie postwendend das Land, wie es in Honduras seit Jahrzehnten üblich ist. Die Agrarreformbehörde entschied zu ihren Gunsten. Doch in der Folgezeit entschieden die übergeordneten Instanzen bis hin zum Obersten Gerichtshof für die Universität. Zwar ist es nicht leicht zu erklären, warum sich die regionale Zweigstelle der Universität an der Atlantikküste (Centro Universitario Regional del Litoral Atlántico) so vehement für ein Landstück einsetzt, das sie nie genutzt hat. Nicht nur das INA, auch das honduranische Parlament hatte sich mit dem Fall befasst und bestätigt, dass das Land an die Agrarreformbehörde zurückfallen und dann an die Frauengruppen übertragen werden sollte. Doch die Uni schaltete auf stur und setzte sich gegen die juristisch nicht optimal beratenen Frauengruppen durch.
Theoretisch wären sie längst vertrieben. Aber sie haben sich nicht entmutigen und verjagen lassen. Eine wichtige Unterstützung haben sie aus der Landarbeiterzentrale CNTC erhalten. Die CNTC (Central Nacional de Trabajadores del Campo) ist eine der kämpferischen Gruppierungen im Land, wenn es um die Durchsetzung der Agrarreformgesetze geht. Einige Frauen, die in der CNTC eine Schlüsselrolle spielten und eine nicht konfliktlose, wichtige Gender-Debatte in die Organisation hineingetragen hatten, kommen aus der Region Atlántida. In ihnen hatten die Frauen vom movimiento 10 de junio erfahrene Begleiterinnen gefunden. Was aber nicht heißen soll, dass es nicht auch ordentlich Zoff mit den eigenen compañeros gegeben hätte. Im Fall der anderen anfangs involvierten Bauernorganisation, der ANACH, kam es zu einem so heftigen Konflikt über die Machtfrage, dass die Führung der Organisation schließlich „ihre“ Mitglieder aufforderte, sich von der Besetzung zurückzuziehen. Die meisten der ANACH-Frauen sahen das aber nicht ein und wechselten zur anderen Organisation.
Interessant an diesem Fall ist, dass die ausschließlich von Frauen geleitete Besetzung keineswegs nur aus Frauen besteht. Einige ihrer Ehemänner sind ebenfalls mit von der Partie und die Kinder, insgesamt etwa 200 Personen. Die Männer arbeiten zum Teil mit, aber sie haben politisch nichts zu sagen. Das ist für eine Teilgruppe einer aus Frauen und Männern gemischten Organisation wie der CNTC, bei der auf nationaler Ebene traditionell die Männer das erste und letzte Wort haben, ungewöhnlich und auch provozierend, wie auch die Devise, dass, wenn sie am Ende das Land bekommen sollten, die Landtitel ausschließlich zugunsten der Frauen ausgestellt werden. Dennoch hat sich die nationale Organisation damit arrangiert und die Frauen im Großen und Ganzen unterstützt. Sicher hat dabei geholfen, dass der regionale CNTC-Vorstand in Atlántida mehrheitlich in Frauenhand ist.
Eine andere Beobachtung ist, dass es in Honduras nicht an Landfrauenorganisationen mangelt. Deren gibt es gleich mehrere, einige haben sich von den traditionellen gemischten, männerdominierten Organisationen abgespalten, andere sind aus innerem Zwist der Landfrauenbewegung entstanden. Auf nationaler Ebene nehmen sie am Koordinationsrat der Bauernorganisationen (COCOCH) teil und haben gleichzeitig eine eigene Konföderation der Bäuerinnen gegründet. Darin gilt aber ihr Hauptaugenmerk nicht so sehr dem Landkampf, sondern dem Organisationsaufbau, der Fortbildung und Erlangung von Kleinkrediten für ihre Projekte. Frauenlandbesetzungen wie in diesem Fall sind äußerst selten. Die Landfrauenorganisationen haben bisher kaum Erfahrung mit dieser Art des Landkampfes, und bei den gemischten Organisationen haben fast immer die Männer das Sagen.
Zur nationalen Lage setzt die Frauenlandbesetzung einen wichtigen Kontrapunkt: Nach offiziellen Angaben besitzen in Honduras 44 Prozent der bäuerlichen Bevölkerung gar kein Land oder zu wenig, um davon zu leben. Die Lage der armen Bäuerinnen ist noch viel schwieriger. Sie wurden selbst im Rahmen des Agrarreformprozesses diskriminiert. Nur vier Prozent aller Personen, die im Rahmen der Agrarreform zwischen 1962 und 1991 Landtitel bekamen, waren Frauen. Auch wenn heute die Gesetzeslage die traditionelle Diskriminierung der Frauen bezüglich der Landrechte formal überwunden hat, ist es in der Realität weiterhin außerordentlich schwierig für Bäuerinnen, Land und eine gültige Urkunde darüber zu bekommen.
Auch international hat die Besetzung auf sich aufmerksam gemacht. Eine der Sprecherinnen der Bewegung reiste auf Einladung hiesiger Organisationen durch Europa. Mehrere internationale Aktionen, zuletzt die Übergabe von 3500 Postkarten aus acht Ländern Europas, Asiens und Lateinamerikas durch die honduranische FIAN-Sektion, haben bei der Regierung und der Universität Beachtung gefunden. Im vergangenen August haben die Leitung der Universität und das Agrarreforminstitut versichert, dass die Frauen „bis auf weiteres“ keine Vertreibung zu befürchten hätten, sondern sie an einer Tauschlösung arbeiten, nach der die Frauen das besetzte Uniland und die Uni stattdessen ein anderes Terrain der Agrarreformbehörde übertragen bekommen würden. Der Teufel steckt aber auch hier im Detail: Das movimiento 10 de junio musste zuletzt erneut darauf aufmerksam machen, dass sie nicht sieben oder dreizehn, sondern sechzig Frauen sind, die nicht einfach mit einem Viertel des Landstücks abgefertigt werden können.
Derzeit besteht Hoffnung unter den Frauen. Und es herrscht eine gewisse Ruhe, die ihnen erlaubt, Gemüse, Mais und Bohnen anzubauen, auch einen Fischteich und ein Hühnerprojekt erfolgreich zu betreiben. Eine Basis für eine zukünftige selbständige Ernährungssicherung jedenfalls haben sie bereits gelegt, auch wenn sie noch mitten im Konflikt stecken. Einen gewissen Respekt für ihren Einsatz haben sie sich bei den Behörden ertrotzt, wachsende Anerkennung und Unterstützung in der Landarbeiter- und Landfrauenbewegung gewonnen. Ein baldiges Feiern einer für sie günstigen Konfliktlösung wäre ihnen zu wünschen.