Frieden von unten aufbauen

Die Anfänge von SUIPPCOL als Schweizer Friedensprogramm in Kolumbien fallen mit der Zeit der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FARC-Guerilla um die Jahrtausendwende zusammen. Damals wurde viel über eine „Kooperation für den Frieden“ diskutiert. Ist SUIPPCOL in diesem Zusammenhang entstanden?

Dem Entstehungsmythos von SUIPPCOL zufolge soll eine Konversation zwischen unserem damaligen Bundesrat und Außenminister Flavio Cotti mit Nelson Mandela den Prozess in Gang gebracht haben. Das war 1998. Auf die Frage von Cotti an Mandela, wie man erfolgreich Frieden schaffen kann, meinte dieser, mit möglichst breiten Friedensallianzen zwischen Regierungsorganen und der Zivilgesellschaft. Cotti nahm die Idee auf und wandte sich an die großen Schweizer Hilfswerke mit der Frage, in welchem der Länder, in denen sie tätig waren und akute bewaffnete Konflikte herrschten, ein ziviles Friedensprogramm in Kooperation mit dem Schweizer Außenministerium (dem Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten – EDA) aufgebaut werden könnte. Zur Diskussion standen Afghanistan, Sri Lanka und Kolumbien. Da in Kolumbien die meisten Hilfswerke und anerkannte Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ask) aktiv waren und der Friedensprozess zwischen FARC und Pastrana-Regierung 1998 begann, fiel die Wahl rasch auf Kolumbien. 

Das Konzept für SUIPPCOL stammt ursprünglich aus zivilgesellschaftlicher Feder. Wie verlief der Prozess, dass diese Initiative zu einem offiziellen Schweizer Friedens- und Entwicklungsprogramm in Kolumbien wurde? 

Das EDA erteilte der damaligen Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke (heute Alliance Sud) den konkreten Auftrag, ein Friedensprogramm zur Förderung der Zivilgesellschaft in Kolumbien auszuarbeiten, welches deren Stimme und Anliegen in die Verhandlungen FARC-Regierung einbringen sollte. Es sollte ein komplementärer Beitrag zum diplomatischen Engagement der Schweiz im offiziellen Friedensprozess sein. SUIPPCOL wurde als erstes großes Multitrack- und Multistakeholderprogramm in der zivilen Friedensförderung quasi als Versuchsballon gestartet, ohne groß auf andere Erfahrungen mit einem solchen whole of system approach zurückgreifen zu können.[fn]Der whole of system approach strebt die möglichst koordinierte Zusammenarbeit verschiedenster Akteure im System Friedensförderung an, um durch kohärentes, koordiniertes und komplementäres Handeln die angestrebten Ziele nachhaltig zu erreichen. Als Multitrackansatz wird die Einbindung der gesamten Gesellschaft in einen Friedensprozess verstanden.[/fn] Alliance Sud baute ein Konsortium von Hilfswerken, Menschenrechts- und Friedensorganisationen auf, um in enger Diskussion mit kolumbianischen Partnerorganisationen ein zivilgesellschaftliches Friedensprogramm zu entwickeln. 

Es wurde ein qualifiziertes kolumbianisches Team in Bogotá zusammengestellt, um das Programm mit direkten Akteuren partizipativ zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Die Rolle des Schweizer Konsortiums bestand darin, das Programm kritisch zu begleiten und für eine nachhaltige Finanzierung zu sorgen. In der Schweiz sollten regelmäßige Informationskampagnen durchgeführt werden, um die Öffentlichkeit für Kolumbien und die Friedensförderung zu sensibilisieren. Zur Koordination wurde eine Gesamtleitung mit Sitz in der Schweiz eingerichtet. Aufgrund meiner langjährigen Tätigkeit zu und in Kolumbien seit 1983 und als Mitarbeiter der ask in der Planungsgruppe wählte mich das Konsortium zum Gesamtleiter. 

Die Leitlinien von SUIPPCOL sind (oder waren) es, den Frieden „von unten“ aufzubauen. Was ist darunter zu verstehen? 

Ende 2001 begannen wir SUIPPCOL mit einer recht offenen Strategie. Wir unterstützten die Frauenfriedensbewegung Ruta Pacífica de las Mujeres in ihrer Entwicklungsstrategie und ihren Mobilisierungen zugunsten der Frauen in Kriegsgebieten.[fn]www.rutapacifica.org.co[/fn] Eine unserer Strategielinien war „Frauen für den Frieden“, denn uns war klar, dass die Frauen eine zentrale Rolle spielen, aber wenig in die Friedensförderung einbezogen werden. Um zivilgesellschaftliche Friedensinitiativen zu unterstützen, begannen wir mit einem Fonds für entsprechende Projekte. In den ersten drei Jahren förderten wir circa 50 unterschiedliche Aktionen und Projekte mit dem Ziel, auf die Friedensverhandlungen FARC-Regierung Einfluss zu nehmen. Im Februar 2002 wurden aber diese Verhandlungen aufgrund völlig unvereinbarer Positionen der Konfliktparteien abgebrochen. Das Pendel zwischen Krieg und Frieden schlug wieder auf die Seite des Krieges. 

Der neu gewählte Präsident Álvaro Uribe (2002-2010) erklärte der Guerilla den offenen Krieg, den er in dem Rahmen des von den USA weltweit erklärten Antiterrorkriegs seit Nine-Eleven-2001 gut positionieren konnte. Es stellte sich für unser Programm die Frage: Wie weiter? Unsere kurzen Erfahrungen hatten uns bereits Erkenntnisse über Stärken und Schwächen der Friedensarbeit verschafft. Die Friedens-NRO in Bogotá gerieten damals in eine große Krise, denn ihr Fokus war auf die Verhandlungen FARC-Regierung beschränkt. Sie hatten kaum Beziehungen zu Organisationen in Regionen, in denen in aller Stille interessante Prozesse abliefen. Eine durch unseren Fonds in Auftrag gegebene Studie über zehn Erfahrungen von indigenen, afrokolumbianischen und Bauerngemeinschaften in verschiedensten Regionen des Landes dokumentierte, wie Friedensinitiativen regionaler Organisationen und lokaler Gruppen im gewaltlosen Widerstand gegen die Kriegslogik aktiv wurden. Sie waren wenig untereinander vernetzt und die großen finanziellen Mittel der internationalen Gemeinschaft erreichten sie kaum. In der strategischen Planung für die zweite Phase von SUIPPCOL ab 2004 fokussierten wir unsere Strategie neben der Unterstützung der Frauenorganisation Ruta Pacífica auf die Stärkung der Prozesse von Friedensprojekten „von unten“. Neue lokale und regionale Prozesse sollten vernetzt und einbezogen werden. Daraus entstand das „Friedensnetzwerk von unten“ (Red de Iniciativas y Comunidades de Paz desde la Base) und eine Allianz dieses Netzwerks mit der Ruta Pacifica.

Welche Prozesse wurden angestoßen? 

Der Aufbau des „Friedensnetzwerks von unten“ wurde durch Sozialisierungsseminare angekurbelt, an denen die zehn Friedensinitiativen der erwähnten Studie teilnahmen. Dabei entstand die Idee des Netzwerks. Die Gründerorganisationen definierten Kriterien für die Mitgliedschaft. Sie einigten sich auf vier Punkte: Erstens Mitglieder können Organisationen, Gemeinschaften oder Netzwerke sein, die inmitten des bewaffneten Konfliktes einen Beitrag zur Konfliktbewältigung und zum Frieden mit Gerechtigkeit leisten wollen, zweitens Unabhängigkeit von jeglichen bewaffneten Akteuren; drittens Einsatz für gewaltlose, politische Verhandlungen zur Lösung des bewaffneten und der sozialen Konflikte; viertens, Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Organisationen mit dem Ziel, durch gemeinsame Aktionen mehr Einflussnahme auf politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen zugunsten eines gerechten Friedens zu erreichen. 

Wie und in welchen Themen wurden sie gefördert?

Heute bilden rund 30 Gemeinschaften, Organisationen und regionale Netzwerke das „Friedensnetzwerk von unten“. Bei nationalen und regionalen Seminaren wurden Delegierte in gewaltfreien Selbstschutz-, Verhandlungs- und Konfliktbearbeitungstechniken, in Humanitärem Völkerrecht, Staatskunde und Menschenrechte aus- oder weitergebildet und in die Lobby- und Medienarbeit eingeführt. Das Team in Bogotá begleitete die Partnerorganisationen durch regelmäßige Präsenz im Feld. Es half bei administrativen Problemen, vermittelte bei internen Konflikten, rannte, wenn es brannte. Organisationen, die direkt in Land- und Territoriumskonflikte verwickelt waren, erarbeiteten gemeinsame Strategien, um zu Landtiteln zu kommen. SUIPPCOL stellte einen erfahrenen Juristen als Begleitperson ein. 

Der Erfolg blieb nicht aus. Tausende Hektar Land von Partnern wurden tituliert. Das Basisfriedensnetzwerk in Allianz mit der Ruta Pacifica erarbeitete einen „Friedensvorschlag von unten“ und legte ihn der Öffentlichkeit und allen bewaffneten Akteuren vor. Es forderte von der Regierung das verfassungsmäßige Recht ein, Gespräche mit illegalen bewaffneten Gruppen wie Guerilla und Paramilitärs führen zu dürfen, um Entführungen, sexuellen Missbrauch, Rekrutierungen von Kindern und Verstöße gegen die territoriale Autonomie direkt verhandeln zu können. In einigen Gebieten wurden regionale Friedensschwerpunkte aufgebaut. Die Ruta Pacifica de las Mujeres ist mittlerweile zu einer der wichtigsten nationalen Frauenfriedensbewegungen geworden. Sie konnte das Thema „Frauen, bewaffneter Konflikt, (sexuelle) Gewalt“ auf die Friedensagenda setzen und das Recht der betroffenen Opfer einklagen.

Welche Rolle spielten die Schweizer staatlichen Instanzen? Beschränkte sich diese auf die finanzielle Unterstützung des Programms oder haben sie auch (friedens-)politisch interveniert?

Neben der Finanzierung von SUIPPCOL war die offizielle Schweiz durch ihre Friedens- und Menschenrechtsdelegierte während der Verhandlungen zwischen FARC und Pastrana-Regierung (1998-2002) in der Begleitgruppe der internationalen Gemeinschaft aktiv. Danach engagierte sie sich bei – ebenfalls gescheiterten – Gesprächen der Regierung mit der kleineren Guerillagruppe ELN. Im Rahmen des partiellen Demobilisierungsprozesses der Paramilitärs unterstützte sie die Arbeit der offiziellen Grupo de Memoria Histórica (Gruppe zur Aufarbeitung des historischen Gedächtnisses), die emblematische Kriegsverbrechen untersucht und aufarbeitet. 

Für die Partnerorganisationen von SUIPPCOL und ihre Anliegen diente die Botschaft in Bogotá bei nationalen oder internationalen Behörden oft als „Türöffnerin“. Auch organisierte oder beteiligte sie sich an humanitären Besuchen von Regionen oder Dörfern von Partnern, wo Menschenrechtsverletzungen, Morde oder Massaker stattgefunden hatten. Sie war präsent bei schwierigen Verhandlungen über Landrückgaben und/oder -titulierungen. Ihre Delegierten nahmen auch an Seminaren der Partner teil und hatten so direkten Zugang zu Informationen und Einschätzungen aus Kriegsregionen, die meist nicht bis ins Zentrum der Macht gelangen oder bewusst verschwiegen werden. Bekanntlich ist die Wahrheit das erste, was in bewaffneten Konflikten stirbt. 

Das Programm läuft nun schon über zehn Jahre. Aus friedens- und menschenrechtspolitischer Sicht gesehen, welche Bilanz ziehst du? 

Zusammen mit drei externen Evaluationen im Laufe meiner über zehnjährigen Koordinationszeit ziehe ich eine durchaus positive Bilanz. Aufgrund des Programms wurden bestehende Prozesse durch Aus- und Weiterbildungszyklen und demokratische Diskussionsprozesse heterogener Akteure gestärkt, was sich an den vielen Solidaritäts- und Protestaktionen, Mobilisierungen und politischen Vorstößen der Partnerorganisationen gegen die Kriegslogik und zugunsten des Friedens aufzeigen lässt. Sie haben die Vision eines friedlichen und besseren Kolumbiens auch gegen den langjährigen Mainstream aufrecht erhalten. Auch haben sie die bleierne Zeit unter der rechtsextremen Uribe-Regierung soweit heil überlebt, obwohl ihnen permanent der Krieg von oben und von allen Bewaffneten gemacht wurde. 

Leider wurden auch einige Führungspersonen von SUIPPCOL-Partnern ermordet, fast alle mussten schweren Bedrohungen, Einschüchterungen und Verleumdungen standhalten. Bestimmt hat ihnen auch unsere Arbeit geholfen, sich in solch rauen Zeiten zu behaupten und weiterzuarbeiten. Die Unterstützung und Begleitung durch ein internationales Programm hatte für alle Partnerorganisationen auch eine Schutzfunktion. Kurz: SUIPPCOL hat einen Beitrag für eine soziale, politische und gesellschaftliche Infrastruktur für den Frieden „von unten“ in Kolumbien geleistet und wesentlich dazu beigetragen, dass dieser Friedensfokus heute wahrgenommen wird. Wichtig für die Gesamtbilanz ist auch unsere Informations- und Sensibilisierungsarbeit in der Schweiz, zum Beispiel mithilfe einer mobilen Ausstellung des kolumbianischen Fotografen Jesús Abad Colorado, die an den „vergessenen“ Krieg in Kolumbien erinnert, und durch viele Besuche und Rundreisen von VertreterInnen der Partnerorganisationen. 

Trotz deiner positiven Bilanz wurde dieses Jahr euer Friedensprogramm nach mehr als zwölf Jahren beendet. Wie kam es dazu?

Aus meiner Sicht haben verschiedene Faktoren zur Beendigung von SUIPPCOL geführt. Die vierte Phase von SUIPPCOL ab 2012 stand im Zeichen von Veränderungen, da einige prägende Personen ausschieden. Die Koordinationsstelle in der Schweiz wurde nach Kolumbien verschoben. Eine Arbeitsortveränderung kam für mich nicht in Frage, also beendete ich mein Engagement Mitte 2012. Eine neue Koordinationsstruktur mit neuen Leuten entstand, ausgenommen das Team in Bogotá, das quasi seit 2001 konstant geblieben war. Die neuen Verantwortlichen übernahmen ein komplexes Programm mit einer ebenso komplexen Geschichte. Wir hatten im Programm immer viel Wert auf horizontale und partizipative Arbeitsbeziehungen gelegt. Die neuen Verantwortlichen konnten oder wollten diese Prinzipien nicht verstehen und haben vertikale Entscheidungsstrukturen eingeführt. 

Dies führte notwendigerweise zu Konflikten mit dem Team in Kolumbien, da es ja wirklich degradiert wurde. Die Konflikte eskalierten, schließlich trat das Team in Bogotá zurück. Was übrig blieb, ist ein Scherbenhaufen. Der Schweizer Trägerkreis mit der offiziellen Schweiz ist zur Zeit zwar daran, ein neues, kleineres Friedensförderungsprojekt aufzubauen. Wie und ob das durch SUIPPCOL Aufgebaute wenigstens finanziell weiterhin berücksichtigt wird, ist noch offen, aber aus meiner Sicht sehr zu wünschen. Inzwischen engagieren sich die ehemaligen SUIPPCOL-Partnerorganisationen aktiv in Allianz mit anderen Institutionen für den Aufbau eines breiten Nationalpakts für den Frieden (Pacto Nacional por la Paz)[fn]Vgl. www.arcoiris.com.co/2013/11/convocatoria-a-la-construccion-de-un-pacto-nacional-por-la-paz/[/fn], der dem neuen Präsidenten zu seinem Amtsantritt am kommenden 7. August präsentiert werden wird.