Dreizehn Jahre ist es her, dass der Bürgerkrieg in El Salvador beendet wurde. 13 Jahre Zeit also, den militärischen Frieden in einen sozialen und politischen Frieden zu transformieren. Ist dies gelungen? Haben sich die Bürgerkriegsparteien – FMLN-Guerilla auf der einen und die herrschende Oligarchie samt ihrer politisch-militärischen Gruppierungen auf der anderen – seitdem zu Friedensparteien gewandelt? Gelingt die Umsetzung der Bestimmungen des Friedensabkommens? Und schließlich die zentrale Frage: Konnten die Ursachen des Krieges behoben oder mindestens gemildert werden?
Diesen Fragen geht die Politologin Heidrun Zinecker in ihrem Buch „El Salvador nach dem Bürgerkrieg“ nach. Sehr detailliert und kenntnisreich schildert sie die politische, soziale und ökonomische Entwicklung der letzten 13 Jahre. Die Ambivalenzen und Unklarheiten der jeweiligen Prozesse stehen im Mittelpunkt ihrer Analyse; genau das macht dieses Buch, trotz der teilweise sehr wissenschaftlichen Sprache, lesenswert und wichtig. Und das obwohl die Länder Mittelamerikas in genau diesen 13 Jahren aus dem Blickfeld der Weltpolitik und der Medien verschwunden sind.
Nach einer kurzen Analyse der Bestimmungen des Friedensabkommens überprüft Zinecker, inwieweit diese tatsächlich eingehalten bzw. umgesetzt wurden. Im Hauptteil zeichnet die Autorin die Schwierigkeiten bei der Einführung des neuen politischen und sozioökonomischen Systems nach und versucht dieses gleichzeitig einzuschätzen sowie die ihm eigenen Stärken und Schwächen zu analysieren. Für den deutschsprachigen Raum ist dies die erste umfassende Bilanz der Nachkriegszeit in El Salvador und sie erscheint notwendig, da die dortigen Entwicklungen bei aller Einzigartigkeit eine gemeinsame Tendenz in lateinamerikanischen Gesellschaften aufweisen: die Abkehr von despotischen oder diktatorischen Regierungsformen und die Implementierung demokratisch legitimierter Regime bei gleichzeitiger Absicherung der bestehenden sozioökonomischen Verhältnisse. Die Anpassung der salvadorianischen Eliten an die weltweiten Vorgaben des politischen Projekts der Globalisierung (neoliberale Wirtschaftsreformen und demokratische Legitimierung der Herrschaftsform) ermöglichte es ihnen die nationale Macht- und Güterverteilung weitgehend zu festigen und sogar noch auszuweiten.
Nicht etwa die ökonomisch und politisch seit dem letzten Jahrhundert dominierende Oligarchie wurde im Zuge der Befriedung abgelöst, vielmehr kam es innerhalb der Oligarchie zu einem personellen und dann auch inhaltlichen Wechsel, welcher dem tradierten, oft brutalen Führungsstil der salvadorianischen Eliten gegenüber der verarmten Bevölkerungsmehrheit ein demokratisches Antlitz verlieh, ohne jedoch an der Verteilungsungerechtigkeit ökonomischer Güter zu rütteln. Dieser Wechsel basierte vornehmlich auf einem Wechsel der ökonomischen Ausrichtung der Oligarchie. Aufgrund der sinkenden Weltmarktpreise verloren Anbau und Verarbeitung des Hauptexportgutes Kaffee an Bedeutung. Demgegenüber wuchs die Bedeutung des Finanzsektors durch die Öffnung der salvadorianischen Märkte sprunghaft an. Gewinner dieser Entwicklung waren diejenigen Mitglieder der Oligarchie, die frühzeitig in Banken und Aktien investiert hatten. Somit entstand jedoch keine neue Oligarchie, da zu solchen Anlagen nur die Mitglieder der alten Kaffeeoligarchie fähig waren, aber immerhin verschob sich die Macht innerhalb der Oligarchie von den Traditionalisten, die im Kaffeeexport verhaftet blieben, zu den Modernisten, die das Land liberalisieren und wirtschaftlich öffnen wollten und erkannt hatten, dass dafür auch ein Mindestmaß an demokratischer Legitimation notwendig ist.
Zineckers Analyse zeichnet diese Entwicklung detailliert nach, wobei sie einen deutlichen inhaltlichen Schwerpunkt auf die spezifischen Besonderheiten El Salvadors legt. Hier liegt mithin eine Schwäche der Untersuchung. Dass die internationalen Rahmenbedingungen während des untersuchten Zeitraums zu wenig berücksichtigt wurden, erscheint vor dem Hintergrund der immensen Abhängigkeit El Salvadors von internationalen Institutionen zu kurz gegriffen. Bei aller Einzigartigkeit der internen Verhältnisse des Landes hätten die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorgaben der Institutionen des kapitalistischen Zentrums (Weltbank, IWF etc.) stärker berücksichtig werden müssen. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Zinnecker die nationalen Entwicklungen und Besonderheiten fundiert untersucht und gerade im Hinblick auf die Problematik der hohen Nachkriegsgewalt (vgl. dazu den Beitrag von Beat Schmidt in dieser ila) eine gelungene Analyse bietet. Nicht um Schuldzuweisungen geht es ihr hierbei, sondern um die Suche nach den Ursachen und Gründen der jeweiligen Entwicklungen.
Nicht die so oft von offizieller Seite behauptete hohe Gewalttradition des Landes steht im Zentrum der Argumentation Zinneckers, sondern die sozioökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse; denn trotz der politischen und wirtschaftlichen Neuausrichtung der Eliten hat der Friedensschluss in El Salvador nicht zu einer Befriedung der Gesellschaft führen können, da die extreme Ungleichverteilung der nationalen Reichtümer und der politischen Teilhabe fortgeschrieben und mitunter noch vertieft wurde. Zinneckers Analyse trägt dazu bei den scheinbaren Widerspruch des friedlosen Friedens aufzulösen und zu erklären.
Heidrun Zinecker: El Salvador nach dem Bürgerkrieg. Ambivalenzen eines schwierigen Friedens, Campus Verlag; Reihe: Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt/M. 2004, 241 Seiten, 34,90 Euro