Was können wir von einem CSU-Mann im BMZ erwarten?

Was wir bisher von dem neuen Minister Gerd Müller gehört und gelesen haben, lässt darauf schließen, dass er mit einem konstruktiven und wertschätzenden Ansatz auf uns und die Arbeit der NRO zugeht. Er hat mehrere Male gesagt, dass für ihn die Zusammenarbeit mit den NRO wichtig sei. Nach persönlichen Begegnungen lässt sich auch bestätigen, dass der neue Minister die EZ durchaus breit definiert, nämlich als Friedens- und Zukunftspolitik. Über das Betätigungsfeld und die Begrifflichkeiten der EZ hinaus spricht er Themen wie Wachstum an und scheint diese auch hinterfragen oder sogar neu definieren zu wollen. 

Außerdem hat er die Rolle und die Verantwortung der Wirtschaft angesprochen: Wirtschaft brauche Grenzen. Planetarische Grenzen und Grenzen des Wachstums sind Fakten, mit denen sich Entwicklungspolitik befassen muss. Auch im Koalitionsvertrag steht, dass Entwicklungspolitik globale Strukturpolitik ist. Das macht deutlich, dass hiermit mehr gemeint ist als nur die Finanzierung von Projekten. Das, was wir bis jetzt gehört haben, entspricht dem, was auch wir denken. Jetzt müssen wir abwarten, ob den Worten Taten folgen werden. Aber als frischen Wind nehmen wir diese Veränderungen schon wahr. 

Im Hinblick auf den ehemaligen BMZ-Minister Dirk Niebel werden die letzten Jahre auch als „verlorene Jahre“ bezeichnet. Welche Schritte müssen aus Ihrer Sicht unternommen werden, um den Dialog zwischen dem Ministerium und der Zivilgesellschaft wieder zu beleben?

Der neue Minister hat einen Dialogprozess initiiert, den er Zukunfts-Charta nennt. Dort soll gemeinsam über die zukünftige Orientierung von EZ nachgedacht werden. Dieser dialogorientierte Ansatz ist genau das Gegenteil von dem, was wir in den letzten vier Jahren erlebt haben.

Im aktuellen Koalitionsvertrag wird die Stärkung der Außenwirtschaft bzw. ihr Ineinandergreifen mit der EZ betont. Entwicklungspolitik scheint hier zuallererst deutsche Unternehmen bei ihren Absatzstrategien zu unterstützen. Wie bewerten Sie diese Aussagen? 

Was im Koalitionsvertrag im engeren Sinne zur EZ und zur Humanitären Hilfe steht, bewerten wir als positiv. Wenn man den Koalitionsvertrag jedoch insgesamt liest, z.B. die Punkte zu der Außenwirtschaftsförderung, den Rohstoffstrategien und der Sicherheitspolitik, passt dies aus entwicklungspolitischer Perspektive nicht zusammen. Wir nennen das fehlende Kohärenz. Auf der anderen Seite sind wir nicht diejenigen, die gegen Wirtschaft und Wirtschaften an sich sind, ganz im Gegenteil: Entwicklung hat auch damit etwas zu tun. Aber die Frage ist, wie es um die Verantwortung deutscher und internationaler Unternehmen bestellt ist. 

Alle kennen zum Beispiel die desaströsen Verhältnisse in Fabriken der Bekleidungsindustrie in Bangladesch. Menschenrechtliche Verantwortung darf nicht vergessen werden. Es kann nicht nur darum gehen, Märkte auf Teufel komm ‘raus zu erschließen. Vielmehr muss es aus entwicklungspolitischer Perspektive auch darum gehen, was den armen Menschen nützt. Wenn man sich vor Augen führt, dass wir an ökologische Belastbarkeitsgrenzen stoßen, muss sich auch die deutsche Wirtschaft fragen, wie sie in diesem Kontext noch agieren kann. Das ist eine große Herausforderung, die guten entwicklungspolitischen Ansätze im Koalitionsvertrag mit dem zu verbinden, was an anderen Stellen sehr traditionell und rückwärtsgewandt formuliert wurde. 

Gerd Müller hat bereits mehrere Male betont, wie wichtig Werte – womit vor allem christliche gemeint sind – auch für die EZ seien. Bloße Rhetorik oder neue Werteorientierung? 

Ich finde es gut, dass von Werten und nicht nur von Interessen geredet wird. Beides spielt eine Rolle. Wir haben nun mal einen christlichen Hintergrund. Sich darauf zu beziehen, finde ich in Ordnung. Hier wird die Frage gestellt, wie wir alle gemeinsam überleben können und wie Chancengleichheit sichergestellt werden kann. Wir wissen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Das ist bereits die erste wertende Frage. Dass er sie stellt, finden wir gut. Unser Eindruck ist, dass es ihm ernst zu sein scheint. Natürlich passt das nicht mit den Vorgaben aus anderen Politikfeldern zusammen. Wenn er damit aber Fragen aufwirft, die an anderen Stellen am Regierungstisch erneut diskutiert werden, dann hat er unsere volle Unterstützung. Derzeit lässt sich lediglich feststellen, dass er eine verbale Steilvorlage abgeliefert hat. Entwicklungspolitik ist Zukunftspolitik. Diese Fragen, die unsere Zukunft bewegen, müssen als Impuls aus dem BMZ in andere Politikfelder einfließen. 

Die Abkehr vom Wachstumsparadigma scheint, wenn überhaupt, nur schleppend in Gang zu kommen. Gibt es in der EZ aktuell Visionen, auch mit Blick auf die Post-2015-Agenda, um nachhaltiges Wirtschaften zu fördern?

Da haben Sie ja schon zwei Worthülsen benutzt, über die man streiten kann. Was ist nachhaltige Entwicklung? Alle behaupten, sie betrieben nachhaltige Entwicklung. Die erste und größte Herausforderung ist meines Erachtens anzuerkennen, dass es um einen Prozess geht, der nicht nur mit Armutsbekämpfung zu tun hat, sondern der uns alle betrifft. Aktuell gibt es die Idee im Hinblick auf die Millenniumsziele (MDG – Millennium Development Goals) Ziele für den Norden und für den Süden zu definieren. 

Wenn wir alle so weiterleben wollen wie bisher, ist völlig klar, dass wir die Welt an die Wand fahren. Deswegen geht es beim Wachstum nicht nur um die Frage, „ja oder nein“, sondern „für wen“. Wenn ich mit den armen Leuten im Süden rede, wollen sie natürlich Wachstum, und zwar auch quantitatives. Das sei ihnen zugesprochen, aber das geht nur, wenn auch die Grenzen des Planeten berücksichtigt werden. Das ist nur möglich, wenn an anderen Stellen – bei uns – heruntergefahren wird. Das heißt dann aber nicht nur „nachhaltiges Wachstum“ im Sinne von ein bisschen ressourceneffizienter wirtschaften. Vielmehr bedeutet das mitunter auch Verzicht und Rückbau. 

Die Herausforderung besteht darin, diese Perspektiven bei der Post-2015-Agenda umfassend zu diskutieren. Allerdings verschreckt man viele Leute mit Begriffen wie degrowth oder „Ende des Wachstums“. Es muss gesagt werden für wen, wo und warum. Aus der Perspektive des Südens gibt es immer wieder Modelle, die ich nicht idealisieren würde, aber wo Partner von uns eine andere Definition von gutem Leben haben. Diese Modelle definieren sich nicht über materiellen Wohlstand. In Deutschland hat sich zum Beispiel in den letzten vier Jahren die Enquête-Kommission mit der Frage beschäftigt, wie man außerhalb des Bruttoinlandprodukts Wohlstand messen kann. 

Das Konzept der „Vernetzten Sicherheit“, also die Zusammenarbeit von GIZ und Militär, wird von vielen NRO scharf kritisiert. Zwischen der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und MitarbeiterInnen der GIZ gibt es einen regen Austausch. Wie sehen Sie diese Zusammenarbeit? 

Sehr schwierig. Wir waren vor zwei Wochen bei Außenminister Minister Frank-Walter Steinmeier und haben deutlich gemacht, dass sicherheitspolitische Interventionen durch präventive Politik überflüssig gemacht werden sollten. Trotzdem hat es stets Bereiche gegeben, in denen deutsches Militär im Einsatz war. Um die Arbeit der NRO aber gut durchführen zu können, ist es nicht sinnvoll, dass nichtstaatliche und militärische Interventionen zusammen ablaufen. Das gefährdet die Leute vor Ort. Militär, auch deutsches, ist Teil des Konflikts und wird immer parteiisch wahrgenommen. 

Wenn wir als NRO im humanitären Bereich oder auch in der EZ arbeiten, sind wir zunächst für alle neutral. Wir würden zum Beispiel nicht in deutschen Militärfahrzeugen durch die Gegend fahren oder in deutschen Militärcamps Präsenz zeigen. Dadurch wird die Situation eher gefährlicher, nicht sicherer. Viele Politiker haben in der Hinsicht ein Wahrnehmungsproblem. Sie argumentieren, dass deutsches Militär vor Ort sein muss, um die Arbeit der EZ abzusichern. Das stimmt nicht. Wir führen dazu einen konstruktiven Dialog mit dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium, um deutlich zu machen, wo wir die Schwierigkeit dieses Ansatzes sehen. 

Die German Food Partnership ist ein Zusammenschluss von 35 Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft unter der Schirmherrschaft des BMZ. Mit diesen Projekten sollen vornehmlich kleinbäuerliche Betriebe gefördert werden, um Nahrungsmittelsicherheit gewährleisten zu können. Diese „Leuchtturmprojekte“ sollen laut dem neuen Staatsekretär im BMZ, Dr. Friedrich Kitschelt, massiv ausgebaut werden. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit?

Zunächst finde ich die Aussage des Ministers gut, dass einer der Schwerpunkte ländliche Entwicklung und Hungerbekämpfung sein wird. Außerdem hat er gesagt, dass die Verwertungsketten vor Ort aufgebaut werden sollen. Als NRO haben wir die Erfahrung gemacht, dass vor allem die produzierenden Bauern und die familiären Betriebe unterstützt werden müssen. Dafür braucht man auch Wissenstransfer oder neue Technologien. Allerdings muss dies nicht unbedingt von der deutschen Industrie durchgeführt werden, die oft ihre eigenen Interessen vertritt. Was an großen ausländischen Investitionen in den letzten Jahren unter dem Stichwort „Landwirtschaft und Ernährungssicherheit“ getätigt worden ist, hat eigentlich eher problematische Auswirkungen gehabt, Stichwort Landkonzentration, Landgrabbing und Monokulturen. Insofern haben wir diese German Food Partnership bereits in der letzten Legislaturperiode kritisch gesehen. Meines Wissens wollte man ihre Effektivität evaluieren, um zu bewerten, wie man diese Partnerschaft weiterführt und ob diese Form der EZ wirklich Sinn ergibt.