Schon auf der Strecke vom Flughafen in die Innenstadt Limas hießen großflächige Plakate die ankommenden Abgeordneten der EU und Lateinamerikas zu ihrem „Gipfel“ im Vorfeld des Gipfels der Staatschefs willkommen (ihre KollegInnen aus der offenbar für unwichtig befundenen Karibik blieben unerwähnt). Die Regierung hatte das Eurolat genannte bikontinentale Abgeordnetentreffen Ende April im Vorfeld zu einem wichtigen Ereignis hochstilisiert. Alan García hatte Großes mit den europäischen Abgeordneten vor, doch dann gab es einen Regiefehler. Bei seiner Eröffnungsrede im Abgeordnetenhaus wollte der Staatschef den MEPlerInnen danken für ihre Unterstützung bei seinem Kampf gegen den Terrorismus. Sein Außenministerium hatte dafür sorgen sollen, dass das Europaparlament drei Tage zuvor bei seiner Straßburger Plenarsitzung in seine Entschließung zur Position zum Limagipfel einen Passus aufnimmt, der die MRTA zur Terrorgruppe erklärt.
Doch dann wurde ein entsprechender Antrag der konservativen PPE-Fraktion mit 271 zu 275 Stimmen abgelehnt. Alan García schäumte und sagte seine Eröffnungsrede vor Eurolat im peruanischen Kongress ab. Auch das im erlauchten Club Nacional vorgesehene Diner mit den ParlamentarierInnen fiel aus. Die Minister waren beleidigt. Der peruanische Parlamentspräsident ließ mit 79 Stimmen aus allen Fraktionen eine Verurteilung (!) des Europaparlaments vornehmen und rüpelte bei seiner Eröffnungsrede heftigst gegen die Europäer. Sie hätten ja keine Ahnung, die MRTA könne jeden Tag wieder auferstehen, man habe auch schon gehört, dass… Im Namen der nationalen Ehre kündigte er eine hochrangige Reise nach Brüssel an, um die Europäer mit Belegen über die wahre terroristische Gefahr in Peru zur Revision ihrer Entscheidung zu bewegen. Eurolat-Präsident Salafranca von der PPE musste eingestehen, dass im EP nun einmal Mehrheiten entscheiden (leider Gottes), und sagte eine erneute Abstimmung und dazu alle Hilfe bei einer künftigen Abgeordnetenkonversion zu. Danach schritt man zur mit Pisco Sour und Schnittchen garnierten Kranzniederlegung vor der Büste des Gründers der Regierungspartei APRA, Haya de la Torre, um das Zeitloch zu überbrücken, das mit dem Ausfall der Rede Alan Garcías entstanden war.
So weit, so amüsant. Wenn die peruanische Regierung nicht gleichzeitig zur Hexenjagd aufgerufen hätte. Schuld am europäischen Übel sei APRODEH, die nationale Menschenrechtsorganisation, und zwar in Gestalt ihres Vorsitzenden Francisco Soberón. Ihn nämlich hatten die Grünen im EP nach der in Form und Inhalt merkwürdigen Bitte seitens Perus Regierung angemailt und um Aufklärung gefragt. Denn erstens ist das EP die falsche Instanz, wenn es um Entscheidungen über EU-Terrorlisten geht. Und zweitens wird die MRTA nicht einmal in der durchaus großzügigen Terrorliste des US-State Departments geführt. Soberón gab umgehend so wertvolle Auskunft, dass die Grünen ihn baten, diese Informationen in einem Brief doch allen Abgeordneten zukommen zu lassen. Was auch kurz vor der Abstimmung geschah. Wer Zeit hatte und Spanisch lesen konnte, erfuhr, dass APRODEH zwar ausdrücklich gegen jedwede Terrorgruppe ist und auch immer gegen sie gearbeitet hat, aber Zweifel hat, die MRTA als seit langem nicht mehr agierende Gruppierung in eine aktuelle Terrorliste aufzunehmen. Würde dieser Bitte der peruanischen Regierung entsprochen, würde dies der Verfolgung sozialer Proteste Vorschub leisten.
Tatsächlich trat die MRTA zuletzt 1996 mit der spektakulären Besetzung der japanischen Botschaft in Lima in Erscheinung. Als die letzten Besetzer aufgaben, wurden sie noch in der Botschaft von peruanischen Sicherheitskräften erschossen. Würde die MRTA nachträglich zur Terrororganisation erklärt, hätten die Auftraggeber dieser illegalen Erschießungen aus der Fujimori-Partei, dem jetzigen Regierungspartner Alan Garcías, wohl kaum mehr Verurteilungen wegen Menschenrechtsverbrechen zu befürchten. Desgleichen würde von den eigentlich anstehenden Prozessen wegen Massenerschießungen in Gefängnissen unter der ersten Alan-García-Regierung 1986 sowie etlichen Massakern abgelenkt, die Garcías Vize Giampetri und andere fujimoristische Regierungsmitglieder weiterhin fürchten müssen.
Menschenrechtsorganisationen wie APRODEH und andere haben diese Prozesse immer gefordert. Und sie stehen auf Seiten der wachsenden sozialen Bewegungen gegen Alan Garcías ultraneoliberales Regierungsprogramm zum Ausverkauf sämtlicher Rohstoffe Perus, von Holz bis zu Edelmetallen, ohne irgendwelche ökologischen Rücksichten.[fn]Ende 2007 legte Alan García in einer Artikelserie in El Comercio ein Wirtschaftsprogramm dar, das selbst gestandene Neoliberale in den Schatten stellt, vgl: www.elcomercio.com.pe/edicionimpresa/html/2007-10-28/el_sindrome_del_perro_del_hort.html
www.elcomercio.com.pe/edicionimpresa/html/2007-11-25/receta_para_acabar_con_el_perr.html
www.elcomercio.com.pe/edicionimpresa/html/2008-03-02/el-perro-hortelano-contra-pobre.html[/fn] Indígenas und Bauern, die Straßen blockieren oder Referenden gegen den desaströsen Bergbau anzetteln, werden zunehmend kriminalisiert. 35 AktivistInnen aus der Bergbauzone Piura sitzen seit März unter Terroranklage (!) im Gefängnis. Sieben junge Leute, die Ende Februar an einem offenen und legalen Seminar der CCB (Coordinadora Continental Bolivariana) in Quito teilnahmen, wurden bei ihrer Rückkehr an der Grenze wegen Terrorismusapologie verhaftet. Lediglich zwei von ihnen wurden nach über zwei Monaten freigelassen – mangels Beweisen. Wer in Peru ALBA sagt und sich auf die Alternativa Bolivariana bezieht, ein von Venezuelas Präsident Chávez ins Leben gerufene Alternativmodell zur gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA, steht schon mit einem Fuß im Gefängnis. Elf im Juli 2007 verabschiedete Dekrete schaffen die rechtliche Grundlage für eine verfassungsmäßig höchst bedenkliche Verfolgung jedweder Opposition. Sicherheitskräfte etwa, die in Ausübung ihrer Pflicht DemonstrantInnen erschießen, bleiben straffrei (Dekret 932)!
All das prangern Francisco Soberón und die APRODEH an. Daher war dessen Brief – ob er für das EP-Votum ausschlaggebend war oder (wahrscheinlich) nicht – ein gefundenes Fressen für Alan García. „Matemos a Soberón“ (Soberón sollte umgebracht werden), fasst ein Editorial des (linken) Radio- und Fernsehkommentators César Hildebrandt am 26. April die regierungsgeschürte Lynch-Stimmung in Peru zusammen. Ende April gab es in Perus Medien kein anderes Thema als den Brief von APRODEH, den in Peru niemand gesehen hat, und MRTA. Traurig dabei, dass sich auch KollegInnen aus der Menschenrechtsszene unter dem Druck des SympathisantInnenvorwurfs von Soberón distanzierten. Dennoch wurde die Nationale Menschenrechtsplattform postwendend vom Nationalen Menschenrechtsdialog mit der Regierung ausgeschlossen. APRODEH solle geschlossen werden, hieß es zuerst, dann sollten „nur“ deren Konten eingefroren werden. Schließlich stöberte die staatliche Entwicklungsagentur APCI drei Tage lang bei APRODEH nach Nachweisen für Geldzuflüsse über die Schiene MRTA-FARC-Chávez – natürlich erfolglos(!).
Obwohl der Coup mit dem EP letztlich scheiterte, ist Alan García, der aufgrund von Korruptionsaffairen und seiner Hau-Drauf-Politik in Umfragen ständig sank, wieder obenauf. Sein Schattenkampf gegen den Terror macht’s möglich. Francisco Soberón, der am 13. Mai in San Francisco einen Menschenrechtspreis bekam, steht inzwischen unter dem Schutz der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Er ist optimistisch, dass er mit einem blauen Auge davon kommt. Zudem hat die hochgekochte Debatte in den letzten Wochen auch das Thema der rasanten Uribisierung der Politik in Peru in den Vordergrund geholt: Alan García gleicht seinen Regierungsstil immer mehr dem Autoritarismus des kolumbianischen Präsidenten Uribe an, der auf die Ausschaltung jedweder Opposition setzt. Nun hat sich der EP-Präsident und Fraktionskollege Salafrancas, Pöttering (CDU), bei seinem Besuch in Lima während des „richtigen“ Gipfels davon überzeugen lassen, dass die MRTA-Frage unbedingt zurück auf die EP-Tagesordnung muss. Bleibt zu hoffen, dass eine Mehrheit der EP-Abgeordneten den Instrumentalisierungsversuch begreift und ablehnt, wenn jene ominöse peruanische Delegation in Brüssel vorspricht.