Krieg bedeutet Zerstörung, aber – meistens – auch Wiederaufbau. Warum also keinen bewaffneten Konflikt mit den USA herbeiführen, um nach den Kämpfen von den finanziellen Zuwendungen der internationalen Gemeinschaft zu profitieren? Diese Überlegung ist der Ausgangspunkt von Georges Anglades amüsantem kleinen Roman „Und wenn Haiti den USA den Krieg erklärt?“ Angesichts einer desolaten ökonomischen und sozialen Lage entscheiden sich Haitis Präsident (unschwer als Jean-Bertrand Aristide zu erkennen) und seine engsten Mitarbeiter während des Irak-Krieges zu einem politischen Bubenstück. Die seiner Regierung feindlich gesonnenen Vereinigten Staaten sollen zu einem militärischen Eingriff zugunsten seiner Regierung genötigt werden. Dazu bedarf es natürlich eines realen Grunds und eines politischen Vorwands.
So gibt die Regierung bekannt, durch ein Seebeben unweit der Küste Haitis sei eine gigantische Felsscholle verschoben worden, wodurch die Förderung von umfangreichen, bisher unzugänglichen Ölvorkommen möglich würde. Die damit ausbeutbaren Ölreserven Haitis würden die des Iraks noch übertreffen. Gleichzeitig wird das Gerücht gestreut, oppositionelle Kräfte wollten den Irak-Krieg nutzen, um die größte bisher erlebte Fluchtbewegung von Haiti nach Florida zu organisieren. Seit Wochen würden Boote und Flöße gebaut, damit 500 000 HaitianerInnen in einer einzigen Nacht in Richtung USA aufbrechen können.
Nach Bekanntwerden der Ölfunde setzen umgehend wilde diplomatische Aktivitäten ein. Die Regierungen Frankreichs und Kanadas sowie verschiedene politische Kräfte in den USA beschwören historische Bande zu Haiti oder verweisen auf die großen haitianischen Gemeinden in ihren Ländern, um sich den Zugriff auf das haitianische Öl zu sichern. Derweil bereiten die USA die Militärinvasion des Landes vor, um den Massenexodus der haitianischen Flüchtlinge zu verhindern und damit die Küsten Floridas zu „schützen“.
Im Stil der traditionellen Geschichtenerzähler Haitis entwickelt Anglade eine abenteuerliche Story, in der Politiker aller Couleur, Agenten, abgehalfterte Militärs und die Madan Saras, die mit allen Wassern gewaschenen haitianischen Geschäftsfrauen, ihre Auftritte haben. Mit dem Material hätten Lateinamerikas Krimigrößen Paco Ignacio Taibo II oder Daniel Chavarría problemlos 300-400 spannende Seiten gefüllt. Anglade genügen gerade mal knapp 100 Seiten, auf denen er meisterhaft die Realität der internationalen Politik karikiert: das ganze hohle Geschwätz von historischen Beziehungen, Menschenrechten und Selbstbestimmung, was immer aufgefahren wird, um zu kaschieren, dass es einzig um die wirtschaftlichen Interessen einiger weniger geht. Genauso persifliert er die politische Kultur seines eigenen Landes, wo „Flexibilität“ und Bauernschläue überlebensnotwendige Eigenschaften sind.
Der Autor weiß, wovon er spricht: Der 1944 in Port-au-Prince geborene Anglade war selbst einige Jahre in der Politik Haitis aktiv, war 1995 sogar Minister für öffentliche Arbeiten in der Regierung von Jean-Bertrand Arisitide, nach dessen Rückkehr aus dem ersten Exil. Vor und nach diesem Intermezzo unterichtete er Sozialgeographie an der Universität von Quebec in Montreal. Kommt es nun zur US-Militärintervention und kommt Haiti in den Genuss der Hilfen der sich selbst so bezeichnenden „internationalen Gebergemeinschaft“? Wer’s glaubt…
Georges Anglade, Und wenn Haiti den USA den Krieg erklärt?, Übersetzung: Peter Trier, Verlag litradukt, Kehl 2007, 98 Seiten, 9,90 Euro