Gemeinsam gegen Kohle

Ashcayra Arabadora ist einer von nur noch dreitausend Barí-Indígenas, die im Nordosten von Kolumbien leben. Ihre Heimat ist die Catatumbo-Region, die zum Departement Norte de Santander gehört, an der Grenze zum Nachbarland Venezuela. Nur knapp hat die Ethnie der Motilón-Barí den Genozid überlebt. Ab den 30er Jahren wurde auf ihrem traditionellen Siedlungsgebiet nach Erdöl gebohrt und die Indios dafür zum Freiwild erklärt. Tausend Pesos setzte man damals auf einen Barí-Indígena aus. Die Ethnie wurde fast ausgerottet, ihr heutiges Territorium umfasst nur noch zehn Prozent ihres ursprünglichen Lebensraums.

Welch ein Schreck für das kleine indigene Volk, das noch seine eigene Sprache, Bari-Ara, spricht, als sich Anfang des Jahrtausends das Staatsunternehmen Ecopetrol anschickte, auf seinem Land erneut nach dem „schwarzen Gold“ zu forschen. Diesmal wurde kein Kopfgeld auf die Indigenen ausgesetzt, sondern ihre Existenz negiert. Wenn Indigene oder Afros auf einem Gebiet mit Bodenschätzen leben, müssen sie bei Abbauvorhaben konsultiert werden. Dank Korruption bei der Indígena-Behörde, die zum Innenministerium gehört, wurden auf dem beantragten Bohrgebiet in der Catatumbo-Region weder Indígenas noch für sie kulturell wichtige Stätten gesichtet. 

Die Motilón-Barí wehrten sich und legten Rechtsmittel ein. Mit Hilfe der Menschenrechtsorganisation Colectivo de Abogados Luis Carlos Pérez ging ihr Anliegen durch mehrere Instanzen und wurde schließlich vom Verfassungsgerichtshof behandelt. Er entschied, dass die Rechte der Indigenen verletzt wurden und verfügte detaillierte Bestimmungen für den Konsultationsprozess mit den Barí-Gemeinschaften. Bis der staatliche Konzern diese Auflagen erfüllt hat, bleibt die Erdölförderung gestoppt. Kaum war die Erdölgefahr gebannt, zog eine noch größere am Horizont auf: Im Catatumbo-Gebiet lagern nicht nur geschätzte 1,7 Mrd. Fass Öl, sondern auch 300 Mio. Tonnen hochwertige Steinkohle. Diese Kohle soll abgebaut werden, wofür derzeit noch die Infrastruktur fehlt, unter anderem eine 300 Kilometer lange Eisenbahntrasse. Denn die Kohle ist für den Export und muss zur Verschiffung nach Venezuela oder an Kolumbiens Karibikhäfen transportiert werden. Um die Förderlizenzen bewerben sich kanadische, mexikanische und kolumbianische Firmen, aber auch usbekische, südkoreanische, russische und andere wollen in das Geschäft „rund um die Kohle“ einsteigen. Damit nicht genug, werden derzeit auch die Silber-, Gold- und Uranerzvorkommen im Catatumbo erschlossen. Außerdem sind auf 22 000 Hektar Ölpalmen für Agrodiesel gepflanzt. Ein Rohstoff- und Energiepotpourri also, das Unternehmerherzen höher schlagen lässt, aber für die indigene und bäuerliche Bevölkerung ein Fluch ist. 

Auf diese komplexe Situation, die ihre Zukunft prägen wird, machte eine Delegation aufmerksam, die im Oktober und November durch sieben europäische Länder reiste. Einige Tage war sie auch in Deutschland. Ihr gehörten Ashcayra Arabadora, Vertreter von ASOCBARI, der Vereinigung der Motilón-Barí-Gemeinschaften Kolumbiens an, sowie Juan Carlos Quintero von der regionalen Bauernorganisation ASCAMCAT. Judith Maldonado, Direktorin des Anwaltskollektivs Luis Carlos Pérez, war die dritte im Bunde. Bei den Veranstaltungen vervollständigte sie die Informationen der Basisvertreter über die dramatische Menschenrechtssituation im Catatumbo-Gebiet und über komplizierte Rechtsfragen in Bezug auf Bergbau. 

Zehn Prozent der 2007 in Kolumbien insgesamt geförderten Steinkohle wurde nach Deutschland exportiert, insgesamt 6,9 Mio. Tonnen, fast doppelt so viel wie 2006. Nach Prognosen des Vereins der deutschen Kohleimporteure, dem Konzerne wie RWE, ThyssenKrupp und Vattenfall angehören, hat Kolumbien gute Chancen, in den nächsten Jahren Spitzenreiter für den atlantischen Steinkohlemarkt zu werden. (Weitere wichtige Importländer für Deutschland sind Südafrika, Russland und Polen.) Über 90 Prozent der abgebauten Kohle hat Kolumbien 2007 exportiert, der Eigenbedarf ist unbedeutend. Die Fördermenge soll in den nächsten Jahren stark erhöht, die Infrastruktur dafür ausgebaut werden. „Die Regierung unterstützt den Ausbau der Kohleproduktion. Die hohen Weltmarktpreise machen den Kohleexport Kolumbiens immer bedeutender“, verlautbaren die deutschen Kohleimporteure in ihrem Jahresbericht 2008. In diesen Kontext sind die Kohle-Pläne im Grenzgebiet Catatumbo einzuordnen.  

Davon zu sprechen, dass „Kolumbien“ Kohle exportiert, ist allerdings irreführend, denn Kohleförderung und -export sind überwiegend in ausländischer Hand. Bereits im Jahr 2000 privatisierte die kolumbianische Regierung das Staatsunternehmen Carbocol und verkaufte seinen Anteil an die Cerrejón-Gesellschaft, die damals aus dem Multi-Konsortium BHP Billiton, Anglo American und Glencore bestand. Die Cerrejón-Gesellschaft betreibt den größten Kohletagebau auf der Welt in der nordöstlichen La Guajira-Region. Sie exportierte 2007 30 Mio. Tonnen Kohle, fast die Hälfte des Gesamtexports. Die Kohle im Departement César wird vor allem vom US-Konzern Drummond gefördert. Dieser führte 2007 22,5 Mio. Tonnen Kohle aus. 

Auf die vielfältigen Menschenrechtsverletzungen im Zuge des Kohleabbaus – von Morden an Gewerkschaftern, Umgehen von Arbeitnehmerrechten bis hin zur Vertreibung der indigenen und der Afro-Bevölkerung – weisen kolumbianische Organisationen und auch solidarische NRO aus der Schweiz und Nordamerika seit Jahren hin (siehe Beitrag in ila 268/2003). Deshalb ist es verwunderlich, dass die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Oktober ausgerechnet der Cerrejón-Gesellschaft den Preis Emprenderpaz verliehen haben. Er wurde erstmals an Unternehmen mit besonderem Friedensengagement vergeben. (Auch der Holzmulti Smurfit Kappa und Microsoft waren unter den Preisträgern.)

Wie kommt man als deutsche Einrichtung auf die Idee, in Kolumbien einen Kohlekonzern mit einem Friedenspreis zu dekorieren? Hängt dies vielleicht mit unserer (der deutschen) Energiepolitik zusammen? Denn bekanntermaßen setzt die Bundesregierung trotz der negativen Klimabilanz auf Energie aus Kohle. „Während der deutschen G8-Präsidentschaft haben Sie sich auf internationalem Parkett für den Klimaschutz stark gemacht. (…) Doch in Deutschland kommt der Klimaschutz unter die Räder der Kohlebagger“, kritisiert BUND-Vorsitzender Hubert Weiger in einem Schreiben an Kanzlerin Angela Merkel. „Klima schützen, Kohle stoppen“, heißt eine Kampagne, die der BUND, sonstige Umwelt- und viele andere deutsche NRO durchführen, sie sind in der Klima-Allianz zusammengeschlossen. 
Aus Kolumbien kommt vor allem Kesselkohle, die in den hiesigen Kohlekraftwerken verfeuert wird. Für die „schmutzige Energie“ aus Kohle sind bei uns 30 neue solcher Anlagen vorgesehen. Je mehr neue Kraftwerke, desto mehr Kohleimporte: Kolumbien ist für Deutschlands Energiekonzerne ein Schlüsselland.

Bei ihrer Stippvisite in Deutschland lernte die „Catatumbo-Delegation“ auch Bürgerinitiativen kennen, die sich gegen den Bau neuer Kraftwerke in ihrer Stadt oder Gemeinde wehren. Bei den „Bürgerinitiativen Saubere Energie“ stießen sie mit ihren Informationen und Anliegen auf offene Ohren. Im ostfriesischen Emden will der dänische Dong-Konzern das Kraftwerk bauen, in Dörpen – ebenfalls im Emsland – bewerben sich die Berner Kraftwerke um die Genehmigung. Der ganze Ort dort ist mit Plakaten „BKW – Go home“ und ähnlichen Sprüchen gepflastert. Die BürgerInnen sind aufgebracht, weil sie sich von der Politik nicht ernst genommen fühlen. 

Bei den Dörpener Aktionstagen vom 7. bis 9. November sprach auch die Delegation aus Kolumbien. Sie veranschaulichte ihre Informationen durch ein Zehn-Minuten-Video und viele Detailkarten und Fotos: wie die Barí am 12. Oktober in traditioneller Bemalung und Bekleidung im regionalen Zentrum Cucutá „bewiesen“, dass sie existieren; wie der kleinbäuerliche Maisanbau durch Herbizideinsätze im Rahmen des Drogenkriegs zerstört wird; wie die Paramilitärs ab 1999 in der Region wüteten und Tausende von Opfern hinterließen. Mindestens 30 000 Campesinos/as wurden vertrieben, viele wanderten unbemerkt ab. An Beispielen des gigantischen Kohletagebaus des Nord-Cerrejón und in Venezuela zeigten sie, welche Ausmaße diese Art der Kohleförderung in der ökologisch sensiblen Grenzregion haben wird, die zum Teil Naturpark ist. 

Im Catatumbo-Gebiet haben sich die indigene und die Bauernorganisation zu einer gemeinsamen Kampagne für die Verteidigung von Territorium, Natur und Kultur ihrer Heimat zusammengeschlossen, die Menschenrechtsorganisation unterstützt sie dabei. „Wir sind gegen die Förderung, denn von Kohle und Erdöl werden wir nicht satt. 75 Jahre Rohstoffabbau haben uns keine Entwicklung gebracht. Im Gegenteil, für uns hat es den Tod bedeutet“, erklären sie. Die Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland nahm die zwei Basisvertreter und ihre Menschenrechtskollegin als neue Mitglieder auf, auch in Dörpen wurde weitere Zusammenarbeit vereinbart. Die Bürgerinitiativen in Ostfriesland werden ein Auge darauf haben, was in der Catatumbo-Region passiert. Devise: Die Wirtschaft und die Probleme sind globalisiert, aber auch die Kämpfe: In Kolumbien gilt es, den menschenrechtswidrigen Kohleabbau zu stoppen, bei uns gilt der Widerstand der „schmutzigen“ Energie aus Kohle und dem Bau neuer Kraftwerke. Die Globalisierung von unten wird beide Seiten stärken.