Der „Wasserkrieg“ in Bolivien im Jahr 2000 gilt als erster erfolgreicher Versuch der sozialen Bewegungen, den Ausverkauf öffentlicher Betriebe an multinationale Konzerne zu stoppen. Dass nach wochenlangen Straßenkämpfen und massivem Militäreinsatz die Regierung am Ende nachgab, schien manchen ein kleines Wunder. Fünf Jahre später meldet sich der damalige General der siebten Heeresdivision, José Antonio Gil, mit einem Roman (Con la llanta pinchada – Mit plattem Reifen) zu Wort. „Dieser Krieg um das Wasser – absurd wie alle Kriege – war ein Ergebnis von Intoleranz und Korruption“, schreibt der während des Konflikts im Zwielicht stehende Gil im Vorwort. Auch in den Dialogen macht der General keinen Hehl aus seinen Sympathien für die Bevölkerung von Cochabamba und daraus, dass er die Schuld bei den Politikern sieht. Wer weiß, ob seine damaligen Telefongespräche mit Regierungsvertretern und Vorgesetzten genauso stattgefunden haben, wie er sie in Romanform wiedergibt. Aber demnach wäre es das Militär gewesen, das durch seine Befehlsverweigerung am Ende ein großes Blutbad verhindert und den Rückzug des Bechtelkonzerns besiegelt hat.
Eine Rechtfertigungsschrift? Ganz gewiss – die Romanform ein geschickter Schachzug, Vorwürfen des Geheimnisverrates vorzubeugen, und, obwohl sicher nicht nobelpreisverdächtig, dennoch gefällig erzählt. Obwohl die historischen Ereignisse Dramatik genug geboten hätten, baut Gil sie in eine Rahmenhandlung ein: Eine Überlandfahrradtour gibt genügend Zeit für fiktive Dialoge, in denen er weiter unzensiert seine Meinung äußern kann und gleich noch ein paar andere militärgeschichtlich brisante Geheimnisse verarbeitet: Die Ermordung des sozialistischen Politikers und Schriftstellers Marcelo Quiroga Santa Cruz im Jahr 1980 und das Verschwinden des Tagebuchs von Che Guevara.
Aber anders als jene Ereignisse, über die er nur vom Hörensagen berichten kann, war Gil beim Wasserkrieg einer der Protagonisten. Dass er wenig später auf einen Posten in die USA abgeschoben wurde, wie er selbst schreibt, kann man nach Lektüre von „Mit plattem Reifen“ nachvollziehen. Um so überraschender, dass die Veröffentlichung des Romans in Bolivien nur auf ein geringes Echo gestoßen ist. Strategie des Todtschweigens? Die in Bolivien übliche geringe Resonanz auf Literatur? Vielleicht hatte 2005 im Vorfeld der Wahlen die kleine bücherlesende Mittel- und Oberschicht, aber auch die Politiker kein Interesse an der Verbreitung der Sichtweise des Generals: Schließlich werden die sozialen Bewegungen, die Evo Morales gerade zum Präsidenten machen wollten, im Roman in einem weniger heroischen Licht dargestellt, als es ihrer eigener Mythenbildung entsprach. Und Tuto Quiroga, wichtigster Gegenkandidat von Morales und während des „Wasserkrieges“ Vizepräsident Boliviens, käme noch viel schlechter weg.
José Antonio Gil, Con la llanta pinchada. Novela sobre la guerra del agua y otras estupideces, Plural Editores, La Paz 2005, 141 Seiten