Binationale Beziehungen zwischen europäischen und lateinamerikanischen Menschen gibt es schon sehr lange. Sieht man aber einmal ab von den unsäglichen Zwangspartnerschaften mit durchweg dubiosen Zielen in der Kolonialzeit, dürften sie in spürbarem Umfang erst mit den Solidaritätsbewegungen ab den späten 70er-, eher 80er-Jahren aufgekommen sein. Erasmusstudien und ökonomisch motivierte Migrationsbewegungen von zumeist jüngeren Frauen und Männern mit doppelter Staatsangehörigkeit taten seither ihr Übriges. Oft, aber lange nicht immer, spielten und spielen sich erotische Anbahnungen und eher nüchterner Alltag im studentischen und poststudentischen Milieu ab., im intellektuellen Prekariat also oder wo dieses um die Ecke lauert. Konfliktlinien sind gleichsam vorgezeichnet. Immer wieder das gleiche Schema, und doch immer wieder anders. Schuldzuweisungen und Schuldkomplexe schöpfen aus den gleichen, lang bekannten Quellen und sind doch nicht einfach abstellbar.

Bettina Bremme, selbst binational liiert, kann ein Lied davon singen und hat stattdessen einen Roman darüber geschrieben: „Nie derselbe Horizont“, soeben erschienen im Berliner KLAK-Verlag.

Bremme kann beobachten und schreiben. Das hat sie mit ihren Filmkritiken und insbesondere mit ihren Bänden zum lateinamerikanischen Kino, „Moviemientos“ und „Moviemientos II“ aus den Jahren 2000 und 2008 unter Beweis gestellt. Mit dem dort gezeigten Sinn für das Plakative und Nachvollziehbare hat sie nun einen eigenen Film der schriftlichen Art vorgelegt. In ihrem Roman leuchtet sie rund ein Jahr des binationalen Paars Andrea und Daniel aus. Sie ist Fotoreporterin mit Wahlheimat Berlin, ursprünglich aus der Gegend von Hannover. Er ist Psychologe aus Argentinien. Gemeinsam haben sie die vierjährige Tochter Laura, die bald ein Geschwisterchen bekommen wird. Es kriselt nicht wegen der Gefühle, es kriselt wegen des Wetters. Der graue Himmel über Berlin lässt den als Sprachlehrer untergekommenen Psychologen seine Andrea überreden, das nicht unerfolgreiche Leben als freie Kreative erst einmal hinzuschmeißen und in die Sonne Barcelonas zu ziehen. Nach einer Schnupperreise im Spätherbst wird im Frühjahr im gemieteten Laster voller Kisten umgezogen. Der Ernst des Lebens und die Suche nach einer neuen Existenz können beginnen.

Der Roman spielt kurz nach der Jahrtausendwende, der Crash in Argentinien steht vor der Tür. So ist es die dortige katastrophale Wirtschaftskrise, die Daniel seine geschiedene Mutter aus Buenos Aires mit zu nichts zerrinnenden Ersparnissen in ihre provisorische, scheußlich möblierte Wohnung in der Innenstadt der katalanischen Metropole holen lässt. Ebenso ließen sich kürzlich Daniels Bruder samt Familie in einem katalanischen Dorf nieder. Der findige Bürgermeister wollte dem nahen Untergang des Örtchens durch Bevölkerungsschwund zuvorkommen und hatte existenzbedrohte Argentinier*innen mit Geldgeschenken angeworben. Die kamen und unterschrieben Verweilmindestdauerverträge nur zu gern. Daniel und Andrea besuchen von Barcelona aus die Städter*innen tief im katalanischen Hinterland. Eine gute Gelegenheit, um eine wahre Geschichte in einen Roman zu hieven.

Man ahnt es bereits: Katalanische Kultur und Sprache spielen eine erhebliche Rolle. Aber wenn die Einigung auf eine verständliche Sprache schon alles an Konfliktstoff wäre! Streits entzünden sich am Vorwurf: „Du bist typisch deutsch!“ und „Du bist typisch lateinamerikanisch!“ und werden weiter geschürt mit dem Selbstvorwurf: „Habe ich ein Recht auf…“ oder „Müssen nicht gerade Deutsche alles tun, um Nazianklänge zu verhindern?“ oder „Wieso darf meine arme jüdische Mutter nicht bei uns wohnen, wenn wir Jahr für Jahr Weihnachten bei Deinen Eltern mit dieser ganzen Verwandtschaft verbringen müssen?“ Irgendwann knallt’s. Und dann sucht einer oder eine das Weite – das auch in einem anderen Land liegen kann. Man kennt diese Art von Beziehungsstressfaktoren zur Genüge, wenn man aus den genannten Zusammenhängen kommt. Wiedererkennungsmomente machen zweifellos einen zentralen Reiz des Romans aus.

Bettina Bremme gewährt einen weitreichenden Einblick in die besser situierte Immigrantenszene Barcelonas, insbesondere aus dem Künstlermilieu, in das sie nicht wirklich einen Fuß bekommt. Anders, aber mit dem gleichen Effekt, geht es ihr in Berlin, wo Agenturen und Zeitungsredaktionen die ehedem feste Freie schnell vergessen. Und bei vielen Leser*innen werden sicher eigene oder erzählte Erinnerungen wach, wenn Kreuzberger Wohngemeinschaften mit ihren keineswegs durchgängig pflegeleichten Bewohner*innen und ihren Macken ins Spiel kommen oder wenn Andrea sich in der dortigen, weit gefächerten Kneipenszene verabredet. Das Pendant hierzu ist, ebenso mit realem Hintergrund, das Kneipenprojekt eines zunächst noch gut auskömmlichen Migrantenkindes, dessen Eltern in die Strudel der Immobilienfinanzblase in Spanien gerieten.

Eine bevorstehende Geburt, wie bei der schwangeren Andrea, ist ein untrügliches Anzeichen dafür, dass sich die Gewitterwolken am Beziehungshimmel der Romanprotagonist*innen zumindest zeitweise verziehen und Trennungen nicht ewig dauern. Frau könnte auch sagen: „Die Klügere gibt nach.“ Ganz sicher ist auf jeden Fall, dass bei binationalen Partnerschaften auf der Suche nach einem stabilen Lebensmittelpunkt der Horizont nicht nur nie derselbe ist, wie hier in Berlin, Buenos Aires und Barcelona, sondern auch nie der gleiche, wenn man unter Horizont Denkweisen und Prägungen versteht.