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Gibt es schulfrei?

Panama: Fragen zum Tod des Ex-Diktators Manuel Noriega

Die 70er- und 80er-Jahre waren in Panama vom Militär geprägt, vor allem von General Omar Torrijos Herrera, Namensgeber für die berühmten Torrijos-Carter-Verträge zwischen Panama und den USA, die den Abzug aller in Panama stationierten US-Truppen bis Ende des Jahrhunderts vorsahen und die schließlich zur vollständigen Übergabe des Panamakanals, der Kanalzone sowie sämtlicher Einrichtungen der USA auf dem Isthmus an Panama führen sollten. Die nordamerikanische Enklave in Panama endete nach fast 100 Jahren am 31.12.1999 um 12 Uhr mittags. Im Gegenzug verpflichteten die Kanalverträge die Regierung Panamas zur Entmilitarisierung des Landes, zur Kasernierung und schrittweisen Entmachtung der Guardia Nacional sowie zu der per Verfassungsänderung geregelten Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen: unabhängige Justiz, Pressefreiheit, Zulassung von Parteien, Konstituierung eines Parlaments und eine (alle fünf Jahre) aus freien Wahlen hervorgegangene Zivilregierung. Die noch von Omar Torrijos gegründete Partido Democrático Revolucionario hatte trotz eines unaufhaltsamen Erosionsprozesses überlebt, allerdings ohne einen ideologisch-politischen „torrijistischen“ Unterbau bilden zu können, der sie heute von anderen Parteien wesentlich unterscheiden könnte.

In Washington waren die Alternativen im Denken von Torrijos für die Zukunft von Panama bekannt, einschließlich der militärischen Varianten, die im Falle des Scheiterns der Verhandlungen hätten eintreten können. Die Militärdoktrin von Torrijos war auf einen zentralen Punkt kondensiert: „Der Panamakanal kann nicht verteidigt werden.“ Was Torrijos nicht sagte: dass der Kanal erfolgreich angegriffen und er, Torrijos, diese Möglichkeit für sich in Betracht ziehen und anwenden könnte. Die Verwundbarkeit des Kanals ist seine größte Schwäche. Seine größte Stärke ist seine Eigenschaft als Landbrücke zwischen dem Norden und Süden des Kontinents und als Transit vom Pazifik zum Atlantik, was von globaler Bedeutung ist.

Unter der Diktatur von Torrijos gab es eine rege, von intensiver Neugierde geprägte „Beziehung“ zwischen den Militärs und Organisationen der Zivilgesellschaft. Eine Person, deren Neugierde als suspekt galt, war Raúl Leis. Leis, praktizierender Katholik, Wissenschaftler und Journalist, untersuchte in Anlehnung an fortschrittliche Kreise der katholischen Kirche die sozialen Bewegungen Lateinamerikas. In Panama riskierte er es – zusammen mit dem Ökonomen und Jesuiten Xavier Gorostiaga –, Elemente der Befreiungstheologie und der Sozialwissenschaft mit der Herausgabe der Zeitschrift Diálogo Social zu verbinden und die Militärdiktatur unter Torrijos aus ratsamer Distanz „empfindend und forschend“ (sentipensante) zu begleiten. Die Führung der katholischen Kirche war kein Freund der Diktatur. Die Nähe des Jesuiten Gorostiaga als Berater des inneren Führungskreises um Torrijos in den Verhandlungen mit Washington gefiel ihr überhaupt nicht. Diálogo Social wurde von zwei Seiten argwöhnisch beobachtet: von der Führung der katholischen Kirche (mittels Zensur) und von Seiten des Militärregimes (das zum Gedankenaustausch einlud). Es war nicht ratsam, die Einladung in die Kommandantur des Diktators auszuschlagen. Die Gehorsamspflicht Gorostiagas, den Weisungen von Erzbischof Monseñor McGrath zu folgen, führte zu Reibungen. Dem Kirchenvolk war die Nähe einiger seiner Pastoren zur Diktatur nur schwer zu vermitteln.

Leis und Gorostiaga betrachteten das Denken von Torrijos als Strategie mit einem sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Ansatz: „(Torrijos zufolge) sind die Alternativen für die Zukunft von Panama zwei: entweder Kampf für die sofortige Rückgabe des Kanals und Freiheit von Fremdbestimmung, aber unter einstweiligem Verzicht auf Fortschritt für die mehrheitlich unterprivilegierten Klassen, oder besseres Leben sofort, aber Freiheit von Fremdbestimmung und Rückgabe des Kanals zu einem späteren Zeitpunkt“. Die falsche Alternative des bürgerlich konservativen Lagers – „erst Entwicklung und dann Freiheit“ – war paradoxerweise der entscheidende Punkt für das Ergebnis der Verhandlungen mit den Nordamerikanern gewesen. Torrijos hatte die Position des konservativen Gegners strikt abgelehnt. Wie weit die Verinnerlichung der Fremdbestimmung reichte, belegt die damals vorherrschende Überzeugung „Wer, wenn nicht die USA kann die Verantwortung für den Panamakanal übernehmen?“ Torrijos stimmte mit Aktivist*innen wie Leis und Gorostiaga darin überein, dass diese fatale Überzeugung überwunden werden musste. Dazu benötige es jenes „neuen Menschen“, den die Kirche schon lange gefordert hatte.

Carter hatte Torrijos verstanden. Er leitete die Übergabe des Panamakanals an. Carter ermöglichte Panama den Schritt zur Demokratie in einem souveränen Staat. Torrijos hatte gewonnen: Freiheit und Selbstbestimmung vor Befriedigung von Bedürfnissen. Carter erhielt den Friedensnobelpreis, Torrijos ging leer aus. Die Opfer unter seinem Regime waren zu zahlreich, als dass er mit dem Nobelpreis hätte geehrt werden können. Für die Forschung wäre es sinnvoll, die Opfer des Torrijismus festzuhalten – so wie die Opfer der Invasion der USA im Jahr 1989 untersucht wurden und deren Ergebnisse im Archiv des Ombudsman deponiert und zugänglich sind.

Die von Torrijos eingefahrene Ernte war indes schnell verzehrt. Keiner seiner Nachfolger war persönlich, ideologisch und politisch für das Amt eines Staatschefs vorbereitet gewesen. Außer ihm hatte niemand die Erfahrungen im Umgang mit den USA oder seine mit strategischer Begabung gesegnete Intellektualität, um auf die damals neuen Interessen Washingtons in Lateinamerika angemessene Antworten zu haben: um beispielsweise die Sandinistische Revolution im Juli 1979 in Nicaragua effektiv unterstützen zu können, um gegen die von den USA betriebene Konterrevolution der Contras gegen die neuen Machthaber rund um Daniel Ortega in Managua vorzugehen, der die Langzeitdiktatur der Familie Somoza gestürzt hatte. Der Niedergang des internationalistisch-solidarischen Engagements Panamas beginnt mit dem unerwarteten Tod von Torrijos beim Absturz seines Flugzeugs im Landesinneren und der Machtübernahme von Noriega im August 1983, des gefürchteten Geheimdienstverantwortlichen unter Torrijos. Die von Torrijos geprägte Periode endete mit dessen Tod. Und Noriega schaffte es innerhalb kurzer Zeit, den Ruf von Panama als stolzem und souveränem Staat und alleinigem Eigentümer des Panamakanals zu zerstören.

Die erste Tollpatschigkeit Noriegas, der bis zu seinem Fall auf der Gehaltsliste der CIA stand und der bis über die Augenbrauen ins kolumbianische Drogengeschäft eingestiegen war, war seine Absicht, die USA mit Drogen zu überfluten und die Sandinist*innen in Nicaragua mit den Einnahmen aus dem Drogendeal mit Pablo Escobar in Kolumbien zum Sieg zu führen. Ein weiterer Fehler bestand darin, erste Anzeichen von ähnlichen Emanzipationsbestrebungen wie in Nicaragua auf heimischem Boden im Keim zu ersticken. Im Oktober 1989 ließ er gescheiterte Putschisten (um Moisés Giroldi) aus der zweiten Reihe seiner Militärs standrechtlich erschießen. Andere Kritiker ließ er köpfen (Hugo Espadafora) oder spurlos verschwinden, indem er sie aus dem Hubschrauber über dem offenen Ozean abwerfen ließ (den Jesuiten Hector Gallego). Panama geriet aus dem Takt, die USA beschleunigten den Verfall des Regimes (mittels eines Versorgungs-, Wirtschafts- und Finanzboykotts) und warteten im Hintergrund den Ausgang des Zerfalls ab. Eine noch schwerere Fehleinschätzung Noriegas war seine Annahme, dass gedungener Pöbel und professionelle Totschläger die Straßen von Panama City von den Gegner*innen seines Terrors in einer blutigen Orgie säubern könnten. Führende Köpfe von politischen Parteien (wie Guillermo Endrara, Guillermo Ford und Ricardo Arias Calderon), von Kirche und Zivilgesellschaft und vielen anderen, die um ihren Wahlsieg durch massive Fälschung gebracht worden waren, stimmten schließlich dem Einmarsch der USA zu.

Der Rest der unrühmlichen Geschichte von cara de piña (pockennarbiges „Ananasgesicht“) ist bekannt. Im Dezember 1989, in der vorweihnachtlichen Dämmerung eines gewöhnlichen Werktags, fielen in der größten Operation seit dem Vietnamkrieg amerikanische Bomben und 20 000 Fallschirmspringer auf die Hauptstadt und entleerten das Viertel El Chorrillo. Eine Kommission schätzte die ersten Opfer auf etwa 3000 Tote. Sie wurden von US-amerikanischen Caterpillars auf Lastwagen geschüttet und in Massengräbern in der US-Zone verscharrt. Am folgenden Tag versank Panama-Stadt im Rauch von Bränden und dem Rausch von irrsinnigen Plünderern. Am ersten und zweiten Weihnachtstag begann Panama, sich an das Leben unter US-Besatzung zu gewöhnen. Die öffentliche Ordnung war zusammengebrochen und der Traum, die Rückgabe des Kanals an Panama erleben zu können, war – so schien es – mit der Katastrophe von 1989 ausgeträumt. Noriega hatte sich als katholische Nonne in der Nuntiatur in Sicherheit gebracht, seine Truppen waren mehrheitlich widerstandslos von den Besatzern aufgelöst worden. Von der Nuntiatur wurde er als Eilfracht in die USA geflogen. Er saß fast 30 Jahre lang in Gefängnissen von drei verschiedenen Ländern: USA (wegen Drogenhandel), Frankreich (wegen Geldwäsche) und Panama (wegen Mord).

Bereut hat Noriega – öffentlich – nichts. Es war die Idee seiner Anwälte gewesen, als sein Tod absehbar war, im Jahr 2015 mit einem TV-Interview an die Öffentlichkeit zu gehen, um um Vergebung und Haftverschonung zu bitten. Nichts von alldem geschah: Noriega las von einem handgeschriebenen Blatt ein unverständliches Kommuniqué in die Kamera. Was immer die Absicht hinter dem makabren Auftritt des Todkranken gewesen sein mag – sie ging in der öffentlichen Ungläubigkeit oder Gleichgültigkeit unter. 

Die Zeit hat dem Land Panama Noriega und die Kaste von apolitischen Militärs vom Hals geschafft, nicht aber zu einem Wandel der ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse geführt. Die Bedingungen für die Umkehrung bestehender Verhältnisse sind nach 40 Jahren die gleichen.

Und in Panama? Panama erreichte seine Souveränität und die Rückgabe des Kanals. Panama erklärte seine Neutralität und relegierte die neuen Verteidigungskräfte (fuerza de defensa) zu nichtkombativen Polizeitruppen. Panama ist eine Demokratie. In der täglichen Praxis hat sich jedoch ein Modus etabliert, der einem business as usual nahekommt. Das sind beliebig austauschbare Figuren ohne Eigenschaften in einer lähmenden Bürokratie. Parlament und Rechtsprechung sind diskreditiert. Eine ungezügelte Korruption ist bis in die Spitzen von Regierung und Verwaltung eingedrungen. Die öffentliche Sicherheit ist die größte Herausforderung.

„Panama“ beschreibt einen mentalen Zustand, ein bizarres work in progress in einem Meer von Apathie, Desinteresse und Gleichgültigkeit angesichts von Bergen gebrochener Versprechen auf eine gesicherte Zukunft, die noch nicht angebrochen ist – sieht man von denen ab, die sie sich leisten können. Der beeindruckenden Skyline von Panama City zum Trotz: Wie fragil Panama ist, enthüllten die Panama Papers, die das Land an den Rand einer mentalen Erschütterung brachten. Die kollektive Scham ist symptomatisch für das Misstrauen, die Unsicherheit und den Unglauben, dass hinter der Fassade alles zum Rechten läuft. Selbstzweifel und fehlendes Selbstbewusstsein sind der schmerzende Dorn im Bewusstsein des Isthmus.

Die Medien in der City werden heute früh geflutet mit den üblichen Unsäglichkeiten. Diese ist die häufigste: Gibt es heute schulfrei?

Gibt es schulfrei? – ilawordpress