Spricht man unter Linken über Attac so lassen sich die Äußerungen zumeist irgendwo zwischen den Polen wohlwollend „reformistischer“ Zustimmung einerseits oder radikal-herrschaftskritischer Ablehnung andererseits einsortieren. Die Einen halten die Losung „Die Welt ist keine Ware“ für einen geeigneten pragmatischen Slogan im Alltag politischer Auseinandersetzung. Die Anderen sind sich der hochgradig herrschaftsförmigen kapitalistischen Öffentlichkeit bewusst , denken sich eher: „Nichts muss eine Ware sein!“ und belächeln die Attacies als treudoofe Staatsidealisten. Einen kleinen, wenn auch eindeutig nach links hin kalibrierten Ausschnitt dieser Bandbreite findet sich in dem schon optisch sehr ansprechenden Buch (schwarz-rotes Hardcover!) „Attac – Gipfelstürmer und Straßenkämpfer“ aus der Reihe „Bibliothek des Widerstands“ des LAIKA-VErlags. Eingeleitet von Josef Moe Hierlmeier, bekannt über die „Bundeskoordination Internationalismus“ (BUKO), schreibt mit Werner Rätz zwar kein Repräsentant der hier skizzierten ersten Position, aber immerhin jemand, der als Mitglied des Attac Rats eine von dem Netzwerk überzeugte Binnenperspektive einnimmt – wenn auch aus einer durchaus linken, antikapitalistischen Perspektive. Einen zweiten Beitrag steuert schließlich der Hierarchiegegner Jörg Bergstedt bei, der eine erfrischend herrschaftskritische Auseinandersetzung mit Attac liefert. Abgerundet wird der Band mit einer DVD, die die Filme „Gipfelstürmer und Straßenkämpfer – Attac gegen Globalisierung“ (Thomas Leif, 2003) und „Eviannaive“ (Verena Vargas, 2005) enthält.
Hierlmeiers Einführung ist eine kurze Bestandsaufnahme der aktuellen weltpolitischen Herausforderungen – noch vor den derzeitigen Rebellionen in vielen Staaten – an die kapitalismuskritische bis -ablehnende Bewegungswelt. Hier fallen durchaus auch passende kritische Worte gegenüber Attac. Schade ist, dass Hierlmeiers Einleitung nur im Hinblick auf die Attac wohlgesonnene Perspektive von Werner Rätz geschrieben ist, nicht aber auf die wesentlich kritischere Position Jörg Bergstedts Bezug nimmt. Die geringe inhaltliche Kohärenz zwischen den Beiträgen ist jedoch ein Manko, das sich durch das gesamte Buch zieht. Ein etwas offenerer, aufeinander bezugnehmender Schlagabtausch wäre sicherlich interessant gewesen.
Der Beitrag von Werner Rätz gliedert sich in vier Kapitel. Im ersten („Eine andere Welt ist möglich“) macht Rätz zunächst eine Art Rückschau auf die hiesige Bewegungswelt seit dem Ende der Blockkonfrontation 1989. Sodann beschreibt er den Aufstieg Attacs durch einen „Aufbruch als Medienereignis“
(S. 26). Schließlich erläutert er das Konzept „Globaler Sozialer Rechte“ als potentiell neue Klammer, mit der sich unter anderem die vielfältigen Forderungen der verschiedenen Bewegungen „bündeln und zusammenfassend beschreiben lassen“ (S. 32). Im zweiten Kapitel („Der Fortschritt ist eine Schnecke“) geht es Rätz vor allem um die Kritik der „Dichotomie von ,Reform’ und ,Revolution’“ als eine „Scheinalternative“: „Es ist die Richtung, die über die Qualität historischer Prozesse entscheidet, nicht die Radikalität des einzelnen Schritts.“ (S. 44) Das dritte und längste Kapitel („Der Kapitalismus ist (noch nicht) am Ende“) kommt ausgehend von der Finanzkrise des Jahres 2008 zur Feststellung: „Nicht Regulierungs-, sondern Systemkrise“, d.h., es handele sich um eine „klassische Krise des Kapitalismus“ (S. 52). Zu den erfreulichen Spitzen dieser Passagen gehört die wiederkehrende Absage an die „illusionäre Annahme, dass Regierungseliten sich zu substantiellen Veränderungen herausgefordert fühlen könnten“ (S. 52), immerhin eine innerhalb von Attac nicht selten vorzufindende Naivität.
Trotz seiner Kritik an der zurückhaltenden Position vieler Attacies kommt Rätz zu dem Schluss, dass die Vielfalt der (unversöhnlichen?) Positionen in Attac auch ihre Stärken habe: „Wir sind auf die Unterschiedlichkeit der Herangehensweisen und Standpunkte geradezu angewiesen, um uns der Vielschichtigkeit der Wirklichkeit nähern zu können.“ (S. 59). Ausgehend von der Debatte um die „Gewalt“ in Heiligendamm 2007 gelangt der Autor zu einer kritischen Diskussion der bürgerlichen Demokratie im Allgemeinen und der Entscheidungsfindung innerhalb von Attac im Besonderen. Im Bezug auf letztere glaubt er, habe Attac „einen großen Schritt zu einem neuen Demokratieverständnis getan“ (S. 64). Zum Ende des Kapitels erfolgt noch eine ausführlichere, kritische und somit interessante Auseinandersetzung mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Das vierte und letzte Kapitel („Das gute Leben einer Jeden und aller“) weist auf Widersprüche innerhalb des Netzwerks hin (z.B. zwischen auf Erwerbsarbeit fixierten Gewerkschaften und den bedürfnisorientierten Verfechtern des Bedingungslosen Grundeinkommen) und plädiert dafür, diese zu „benennen und auszuhalten“ (S. 70). Diesbezüglich macht Rätz schließlich nochmals seine Präferenz für einen Antikapitalismus deutlich: „Die Finanzmärkte schrumpfen und das Soziale den Märkten entziehen ist breiter Konsens in Attac. Eine grundsätzliche gesellschaftliche Entscheidung für den langsamen Aufbau einer bedarfsorientierten Ökonomie statt der Fortsetzung der abstrakten Wertverwertung wäre Voraussetzung dafür, dass das gelingen kann. Gesellschaftliche Strukturen ändern sich leichter und schneller, wenn Menschen mit dem Aufbau des Neuen schon begonnen haben. Projekte, in denen die andere Welt sichtbar wird, wären also wichtig.“ (S. 74).
Der Beitrag Jörg Bergstedts nähert sich dem Gegenstand Attac aus einer völlig anderen, interessanten Außenperspektive. Der Entstehungshintergrund des „Netzwerks“ in Deutschland stellt sich so etwas anders als üblich dar: Im Jahr 2001 war nach Göteborg und Genua ein „unglaublicher Hype um den breiten Protest und die Militanz im Speziellen“ entbrannt. Attacs „Apparate“ vermochten es, „geschickt dem unkoordinierten Protest eine politische Einheitlichkeit“ zu verpassen (S. 90). Die von „ehemalige[n] AktivistInnen zu marktwirtschaftlich orientierten Projektberatern“ mutierte Elite nutze die radikal-militant erkämpfte Aufmerksamkeit der Gipfelproteste, um „die Medienhoheit über die Globalisierungskritik an sich zu reißen“: „Vom Gipfelsturm zum Attac-Lüftchen“ (S. 91f). Zu Recht findet hier auch eine Kritik der äußerst funktionalen Allianz von „Attac-Führung und Attac-fördernde[n] JournalistInnen“ ihren Platz. Beide trieben die äußerst kurzsichtige mediale Spaltung der Bewegung „in einen guten reformistisch-braven und einen bösen gewalttätigen Teil“ voran (S. 92). Sie bedienten sich somit jenes heuchlerischen Diskurses, der die gebotene Aufmerksamkeit für handfeste, alltägliche globale Gewalt des bestehenden Systems – protegiert oder gar vorangetrieben von „unseren“ politischen und wirtschaftlichen Eliten – auf wenige brennende Autos verlagert. Der Ausschluss „militanter und staatskritscher Proteste“, die „Attac-typischen seichten Formulierungen“ und der kaschierte hierarchische Aufbau von Attac stehen also im Zentrum von Bergstedts Kritik: „Die Handlungsmacht dazu hatten die Medienstars wie Sven Giegold oder Peter Wahl – international vor allem Susan George, Bernhard Cassen und Ignacio Ramonet. Keine Basis hätte sie kontrollieren oder gar auf eine Verbandslinie einschwören können, denn ihre Deutungsmacht erwuchs aus der Dominanz in den Medien, die ihrerseits gezielt die Personen förderten, die mit zurückhaltenden Forderungen eine Art sanfter Politikberatung statt aufständischer Bewegungskultur förderten.“
(S. 96). Dass derartige Formulierungen nicht aus der Luft gegriffen sind, weiß, wer in den Anfangsjahren aktives Mitglied von Attac Deutschland war: Das Ende 2002 von der Attac-Führung ohne Konsultation der Basis gemeinsam mit dem DGB und VENRO unterzeichnete Positionspapier „Globalisierung gerecht gestalten“ dürfte noch in guter Erinnerung sein und findet zu Recht auch bei Bergstedt Erwähnung (S. 96f). Im weiteren Verlauf seines Beitrags zeigt der Aktivist auf, wie das Beispiel Attac in den letzten zehn Jahren Schule gemacht hat und sich in vielen Teilen der Protestlandschaft in Richtung „Bewegungsagenturen“ und „Retortenkampagnen“ bewegt (S. 99). Neben der Anti-Castor Kampagne „ausgestrahlt“ erfährt hier auch die im Umfeld von Attac enstandene Agentur „Campact“ Aufmerksamkeit. Hier kritisiert Bergstedt weniger die „mediale Inszenierungskunst“ als vielmehr die politischen Implikationen einer professionalisierten Protest-Stellverteter-Agentur: „Zweifellos leben wir in einer Zeit, in der viele Menschen, häufig gerade aufgrund des herrschenden Systems, kaum Möglichkeiten haben, sich zu engagieren. Dies gilt es aber zu thematisieren und zu ändern. Stattdessen nimmt Campact diesen Zustand als gegeben an und bietet den Menschen eine Art Instantprotest an – McResistance in Gründung?
Suggerierter Widerstand aber stabilisiert ein Herrschaftssystem, weil er als kanalisiertes Ventil wirkt… Ein lebendiges demokratisches Herrschaftssystem braucht nützliche IdiotInnen, die Protest kanalisieren.“ (S. 100). Die Lektüre bleibt ähnlich amüsant, wenn es von der Organisationsstruktur zur inhaltlichen Debatte übergeht und Bergstedt das politische Programm von Attac als aufgewärmten „Neo-Keynesianismus“ entlarvt: „ Neo-Keynesianismus wäre die Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle und Regulierung. Übersehen wird, dass der Staat den Markt nicht nur kontrolliert, sondern absichert und überhaupt erst schafft. Und er ist selbst Akteur im Markt.“ Bergstedts Kritik richtet sich weiterhin gegen die vermeintlich auf Emanzipation zielende unverhohlene Reaktivierung höchst herrschaftsförmiger Konstrukte durch die genannten Attac-Funktionäre: „Bei den formulierten Positionen von Attac tauchen aber immer Staat oder Volk, also durch Zwang geschaffene oder vereinnahmend ausgerufene, soziale Einheiten als Ziel von Wünschen und Forderungen auf.“ Solche Konstrukte könnten aber „niemals Moment der Befreiung sein“, zudem mutiere in einer solchen Staatseuphorie „der Verursacher zum Retter“ (S. 107f).
Die letzte Kritiklinie verläuft schließlich über die verkürzte oder gar nicht vorhandene Kapitalismuskritik der „medial erschaffenen Wortführerschicht“, die sich allein gegen „das ungezügelte, raffende Kapital, das als von Staat und Gesetz getrennt beschrieben wurde“ richtet. (S. 111f) In diesem Zusammenhang gerät zu Recht auch der „letzte Promifang von Attac“ Heiner Geißler in die Kritik, der sein hoffnungslos euphemistisches Geschwafel (tatsächlich als „Utopie“ bezeichnet) von der „guten alten“ Bundesrepublik und der Sozialen Marktwirtschaft über die Kanäle von Attac zum Besten gibt (S. 113). Auch wenn Bergstedt nur die reformistischen und staatsidealistischen Stimmen Attacs zu Wort kommen und somit vernünftigere Positionen wie die von Werner Rätz unbeachtet links liegen lässt – seine Kritik der medial dominierenden Stimmen bleibt lesens- und beachtenswert.
Es gehört letztlich zu den Vorzügen des Buches, dass die beiliegende DVD beide Seiten Attacs präsentiert: Im Film Eviannaive von Verena Vargas werden auf sympathische Art und Weise vor allem die radikaleren und aktivistischen Menschen im Umfeld von Attac portraitiert und interviewt. Im Film „Gipfelstürmer und Straßenkämpfer – Attac gegen Globalisierung“ von Thomas Leif kommen dann vorwiegend die von Bergstedt kritisierten BewegungsmanagerInnen zu Wort und werden schließlich – entsprechend ihrer eigenen Diskurse – auf den diskursiven Grundlagen des bürgerlichen Mainstreams „kritisch“ beäugt.
Attac – Gipfelstürmer und Straßenkämpfer, LAIKA-Verlag, Hamburg 2011, 128 Seiten
& eine DVD mit den Filmen „Gipfelstürmer und Straßenkämpfer – ATTAC gegen Globa-lisierung“ (BRD 2003, 45 Minuten) und Eviannaive (BRD 2005, 80 Minuten), 24,90 Euro