Herzlichen Glückwunsch zu dem Preis, der Ihre Arbeit ehrt. Haben Sie hier in Esslingen jenseits der verbalen Anerkennung auch ausdrückliche Unterstützung erfahren oder in Aussicht gestellt bekommen?
Ich habe die Gelegenheit der Preisverleihung genutzt, um ganz konkrete Unterstützung zu erbitten. Ich hoffe sehr, dass unsere Forderungen an die mexikanische Regierung von Deutschland aus mitgetragen werden. Zum einen, was die klassische FEDEFAM-Arbeit betrifft. So muss die Aufklärung der Fälle von Verhaftet-Verschwundenen aus der Vergangenheit weitergehen. Da bei der Preisverleihung ein Vertreter der mexikanischen Regierung im Saal war, habe ich auch direkt die Freilassung derjenigen gefordert, die seit dem 25.Mai dieses Jahres im Bundesstaat Oaxaca verhaftet-veschwunden sind.
Des weiteren verlangen wir eine ernsthafte Untersuchung aller Frauenmorde, auch der durch Angehörige der Mafia, also ein Ende der herrschenden Straflosigkeit. Wir brauchen zudem Unterstützung für unsere Forderung nach Freigabe der Berichte, die das US-amerikanische FBI über die Frauenmorde in der Grenzstadt Ciudad Juárez erstellt hat. Wir gehen davon aus, dass das FBI über etliche Erkenntnisse bezüglich der Zahl und Identität der in die Fälle verwickelten Personen verfügt.
Internationale Unterstützung ist wichtiger denn je, da man uns als Vaterlandsverräterinnen bezeichnet, die Mexiko schlecht machen und ausländische Investoren abschrecken. Wir benötigen Solidarität und Unterstützung der deutschen Regierung, von ParlamentarierInnen, Menschenrechtsorganisationen usw. für unsere eigene Arbeit, aber auch ihr wachsames Auge auf das Verhalten der mexikanischen Regierung.
Ciudad Juárez ist vielleicht die erste Stadt, in der das Phänomen der Feminicidios bekannt wurde, aber es ist leider nicht der einzige Ort in Lateinamerika. Gibt es gemeinsame Charakteristika?
Ja. Erst einmal sind in der Hauptsache arme junge Frauen die Opfer. Immer wieder scheinen die Täter aus Mafiakreisen sowie aus Kreisen der Folterer aus den vergangenen Jahrzehnten zu kommen. Außerdem ist die Straflosigkeit allgegenwärtig. Deswegen wollen wir, dass Frauenmorde überall als staatliches Verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit klassifiziert werden. Seit den 70er Jahren beteiligen sich Frauen immer mehr am öffentlichen Leben. Die Frauenmorde sind ein Mittel der Einschüchterung und des Zurückdrängens von Frauen. Der Staat müsste dagegen die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen fördern und gewährleisten. Wobei gesagt werden muss, dass seit 1993, bis wohin wir die Fälle zurückverfolgen, keine einzige ermordete Frau Politikerin oder Gewerkschafterin war und deswegen umgebracht wurde. Nichtsdestotrotz sind die Morde eine furchteinflößende Warnung an alle Frauen, die das Haus verlassen.
Von verschiedenen Seiten ist zu hören, Frauenmorde seien gemeine, aber keine staatlichen Verbrechen. Staatliche Morde gäbe es im 21. Jahrhundert nicht mehr, daher könne man die Staaten, in denen Feminicidios geschähen, nicht mehr wegen Menschenrechtsverletzung anklagen.
Wir sind da ganz anderer Auffassung. Überall, wo Feminicidios geschehen, gibt es ausreichend Elemente, die auf die Verantwortlichkeit des Staates verweisen, sei es in Ciudad Juárez, in Chiapas, in Mexiko-Stadt oder in Guatemala. Da ist zum einen das Verhalten des Polizei- und Militärapparates, zudem das Nicht-Tätigwerden des Staates. Und schließlich kann häufig die Vertuschung von Spuren und Beweisen durch staatliche Stellen nachgewiesen werden, wenn nicht gar Angehörige staatlicher Stellen direkt unter den Tätern und Drahtziehern zu finden sind. Uns ist es passiert, dass wir die Überreste von toten Mädchen in der Wüste gefunden und die Polizei informiert haben, die dann kam und vor Ort Knochen und andere Beweisstücke verschwinden ließ. Das ist für mich staatliche Verantwortlichkeit und staatliches Verbrechen.
Das Thema Feminicidios befasst inzwischen sogar das Europäische Parlament, wo derzeit ein Bericht mit vielen Aktionsvorschlägen diskutiert wird. KritikerInnen des Berichts monieren, er stelle Mexiko zu weit in den Vordergrund. Die beiden letzten Regierungen, unter Führung der rechten PAN-Partei, hätten das Phänomen entschieden angegangen und für Lateinamerika eine vorbildliche Gesetzgebung und exemplarische Institutionen geschaffen. Was denken Sie dazu?
Zunächst einmal sind alle bislang geschaffenen Instanzen wie etwa Sonderstaatsanwaltschaften oder die Einladung von Sonderberichterstattern der UNO das Ergebnis der unablässigen Forderungen von Frauen- und Angehörigengruppen. Die Regierungen auf Länder- wie auf Bundesstaatsebene kamen ihnen nicht nur zur Pflege des Images eines demokratischen Landes nach, sondern auch, weil PAN und PRI davon ausgingen, dass die Berichte das Problem herunterkochen und herausstellen würden, dass die Ermordeten Prostituierte wären oder sich wie solche benähmen, dass die Frauen also selbst schuld seien, weil sie Umgang mit Drogenhändlern oder anderen zweifelhaften Leuten hätten.
Wir haben alle Schritte der Regierungen zur Bekämpfung des Phänomens natürlich begrüßt. Deswegen haben wir in Ciudad Juárez auch mitgeholfen beim Aufbau von angemessenen Institutionen. Aber die Behauptung, das Problem sei gelöst, weisen wir energisch zurück. So war die neue Sonderstaatsanwaltschaft für Frauenmorde auf die Amtszeit der vorherigen Regierung befristet. In dieser Staatsanwaltschaft arbeitete eine Zeitlang eine Sonderbeauftragte, Guadalupe Morfín (die inzwischen von Regierungsseite völlig „aus dem Verkehr gezogen“ wurde, G.K.). Sie lieferte einen Abschlussbericht, in dem sie einige „gelöste“ Fälle untersuchte und nachwies, dass angebliche Täter mit Folter zu Geständnissen gezwungen wurden. Einige wurden später freigelassen, aber nie entschädigt. Guadalupe Morfín führte weiterhin aus, dass zwei Drittel der Fälle auf das Konto von häuslicher Gewalt und gemeines Verbrechen gingen, die Täter des letzten Drittels aber aus dem Milieu der Mafia und des Drogenhandels stammten und dass davon kein einziger Fall verfolgt worden war.
Ich bin sehr beunruhigt, dass die PAN offenbar versucht, international die Mär zu verkaufen, das Problem sei gelöst und man könne die mexikanische Regierung für ihr Vorgehen beglückwünschen. Aber wie kann sie angesichts des Berichts von Guadalupe Morfín behaupten, die Fälle seien gelöst, wo ausgerechnet die schlimmsten, bei denen die Mafia ihre Hände im Spiel hat und die Rolle der Exekutive ungeklärt ist, völlig offen sind? Wie kann sie behaupten, es gäbe keine Straflosigkeit?
Ich bin besorgt, dass das Europäische Parlament (EP) sich wohlwollend gegenüber der mexikanischen Regierung aussprechen und der Behauptung folgen könnte, Mexiko sei ein Vorbild. Das wäre unverantwortlich. Ich bitte die Abgeordneten inständig, selbst nachzuprüfen, ob die Fälle gelöst und die Verantwortlichen bestraft wurden. Eine positive Stellungnahme der Abgeordneten würde auch dazu führen, dass die gegen Feminicidios arbeitenden compañeras, die gerade in den letzten Tagen wieder Todesdrohungen bekommen haben, zum Abschuss freigegeben wären.
Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die Abgeordneten sich zu Komplizen von staatlichen Verbrechen machen würden. Das in Mexiko von Frauengruppen und engagierten Abgeordneten kürzlich durchgesetzte Rahmengesetz gegen Frauenmorde schreibt zwingend vor, dass der Staat handelt. Wenn er dies – wie gegenwärtig – nicht tut, handelt es sich um ein staatliches Verbrechen.
Auch die mexikanische Regierung beruft sich auf dieses Gesetz. Ist es ausreichend?
Das Gesetz ist im nationalen Parlament verabschiedet und müsste jetzt in den Strafgesetzen der einzelnen Staaten umgesetzt werden. Eine Reihe meiner compañeras macht dazu in verschiedenen Bundesstaaten Lobbyarbeit. Und auch die Hauptförderin des Gesetzes, die vormalige Abgeordnete Marcela Lagarde von der PRD, setzt sich weiterhin dafür ein. Aber selbst diese Umsetzung in den Buchstaben der Ländergesetze, wenn sie denn gelänge, reicht nicht. Das Gesetz muss tatsächlich auch angewendet werden.
Außerdem wollen wir wissen, warum gerade in Bezug auf Ciudad Juárez behauptet wird, das Problem habe sich inzwischen erledigt. Was wird da verschwiegen und versteckt? Beispielsweise fielen Verdachtsmomente auf einige Personen aus sehr mächtigen Kreisen. Aber man weiß, dass sie viel Geld in die Wahlkampagne des vormaligen Präsidenten Vicente Fox gesteckt haben und in der gleichen Partei wie Fox und der jetzige Präsident Calderón sind. Also verlaufen die Ermittlungen im Sande.
Gegner des EP-Berichts behaupten, Frauenmorde gäbe es überall auf der Welt und Gewalt gegen Frauen nicht zuletzt in Europa, deswegen sollten die EPlerInnen sich in „Bescheidenheit und Demut“ üben, wie es ein vom spanischen PP-Abgeordneten Salafranca unterzeichneter Änderungsantrag formuliert, und keine Forderungen an die genannten Regierungen stellen. Sehen Sie sich auch ungerecht bevormundet, wenn das EP Empfehlungen ausspricht?
Ciudad Juárez hat das traurige Verdienst, auf Frauenmorde überhaupt erst aufmerksam gemacht zu haben. Und das deswegen, weil wir mit unserer Arbeit internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung mobilisieren konnten. Wir sind uns sehr bewusst, dass Frauen überall Probleme haben, daher beteiligen wir uns ja auch an einem internationalen Frauennetzwerk für Gerechtigkeit ohne Grenzen. Aber es gibt wohl kaum eine Stadt, in der die Mafia ökonomisch wie politisch so stark ist wie in Ciudad Juárez. Niemand sollte dazu schweigen.
Die mexikanische Botschaft behauptet, die mexikanische Bevölkerung fühle sich durch viele Passagen des Berichts beleidigt. Ist das so?
Ich fühlte mich beleidigt, wenn das EP sich weigerte, die Gelegenheit wahrzunehmen, Frauenmorde zu thematisieren und anzuklagen, wenn es im Gegenteil die mexikanische Regierung für seine Anstrengungen beglückwünschte. Das ginge gegen unsere Würde. Die Abgeordneten würden die bedrohten und ermordeten Frauen verhöhnen und die Verbrechen an ihnen akzeptieren und gutheißen. Es geht um Frauen, die fast immer arm sind, und es geht auch um zwei ermordete Europäerinnen. Die MexikanerInnen und die mexikanische Regierung sollten nicht beleidigt, sondern beschämt sein, weil das Problem bis heute nicht gelöst ist