Global spaces, local places

Je nach Standpunkt der Betrachtung erscheint Globalisierung durchaus als ortlos. Werden etwa primär die internationalen Finanzmärkte oder der Austausch von Informationen über das Internet in den Blick genommen, dann verlieren konkrete Orte an Bedeutung. Kommunikation in „Echtzeit“ „emanzipiert“ sich von der Anwesenheit der Kommunizierenden am selben Ort; Distanzen werden im „Raum der Ströme“ (Manuel Castells) eingeebnet. Ähnlich verhält es sich mit dem Aktionsradius der globalen Elite. Überwiegend männlich und von reproduktiver Arbeit entbunden, steht der Investmentbanker aus Manhattan seinem Frankfurter Kollegen nicht nur kulturell, sondern auch in Bezug auf die Häufigkeit der Begegnungen um einiges näher als der Putzfrau aus der Bronx. Die Orte, an denen die Begegnungen der globalen Elite stattfinden, unterstreichen dabei noch den Anschein der Ortlosigkeit der Globalisierung: „internationale Hotels, deren Ausstattung von der Gestaltung der Zimmer bis zur Farbe der Handtücher auf der ganzen Welt ähnlich ist, um ein Gefühl der Vertrautheit mit dieser inneren Welt zu schaffen und zugleich die Abstraktion von der sie umgebenden Welt zu bewirken“ (Castells 2004: 47).

All diese Phänomene der „Vernichtung des Raums durch die Zeit“ (Karl Marx) sind unbestreitbar. Wesentlich ist nun, ob die Analyse der Globalisierung sich damit zufrieden gibt oder ob sie die Betrachtungsperspektive erweitert. Entscheidet sie sich für Letzteres, dann gerät zunächst einmal in den Blick, dass jede Tätigkeit, und sei sie noch so immateriell, materieller Vorbedingungen bedarf. So ist der Austausch von Informationen in Echtzeit nicht möglich ohne eine hoch leistungsfähige Telekommunikationsinfrastruktur, zu deren wesentlichen Bestandteilen Breitbandnetze gehören. Für einen immer schnelleren Personentransport sind Verkehrsinfrastrukturen erforderlich, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten durch den Ausbau von Flughäfen und die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszügen entstanden sind. 

Weder Verkehrs- noch Telekommunikationsinfrastrukturen sind raumneutral. Der Zugang zu ihnen ist vielmehr dort am leichtesten, wo sich ökonomische und politische Kontrollfunktionen konzentrieren, also in den großen Städten und Stadtregionen, vor allem den global cities wie New York, Tokio, London, Paris oder auch Frankfurt am Main. Diese bilden die Knotenpunkte im dispersen Netz der so genannten „Informationsökonomie“. Zu ihren wichtigsten Kennzeichen gehört, dass sie untereinander enger verflochten sind als mit ihrem jeweiligen nationalen Umfeld und dass in ihnen Entscheidungen getroffen werden, deren Auswirkungen weit über die Grenzen der jeweiligen Region und des jeweiligen Landes hinaus reichen. Das liegt an der großen Zahl von Konzernzentralen, die in ihnen ansässig sind, sowie an einer Vielzahl von unternehmensbezogenen Dienstleistungen in den Bereichen Recht, Finanzen, Werbung oder Forschung und Entwicklung. Die durch die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichte räumliche Streuung, die die These von der Ortlosigkeit der Globalisierung nährt, geht also einher mit Prozessen räumlicher Konzentration. Das ist ein erster wichtiger Aspekt des Verhältnisses von Stadtentwicklung und Globalisierung. 

Ein zweiter Aspekt ist die soziale Spaltung der Städte. War die fordistische Stadt vom männlichen Industriearbeiter und Angestellten geprägt, so ist dieses mittlere Lohnsegment seit einiger Zeit von einer starken Erosion betroffen. An Bedeutung gewinnt dagegen einerseits ein Hochlohnbereich von spezialisierten und global orientierten Tätigkeiten und andererseits ein Niedriglohnsektor, der durch prekäre Arbeit in sweatshops, in den Häusern oder Büros der Gutverdienenden bzw. durch Heimarbeit geprägt ist. Sozialräumlich äußert sich die gesellschaftliche Spaltung in einer zunehmenden Segregation zwischen verarmenden Stadtteilen, häufig in unmittelbarer Nähe zu den Hinterlassenschaften der old economy (z.B. stillgelegte großindustrielle Anlagen), und gentrifizierten (aufgewerteten) Altbauvierteln, condominiums oder gated communities.[fn]Condominiums sind Anlagen mit Eigentumswohnungen; gated communities sind bewachte Stadtviertel, der Zugang zu ihnen wird streng kontrolliert.[/fn] Die sozialräumliche Segregation wird reproduziert und verstärkt durch einen ungleichen Zugang zu wichtigen technischen Infrastrukturnetzen. Die britischen Sozialwissenschaftler Stephen Graham und Simon Guy haben dies am Beispiel San Franciscos untersucht: Während des Booms der new economy in der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurden hier zentral gelegene Stadtviertel an hoch leistungsfähige Breitbandnetze, ergänzt um entsprechende Internet-Dienstleistungen, angeschlossen. Speichergebäude und Fabriken aus der industriellen Ära wurden modernisiert und „internet-ready“ gemacht. In der Folge explodierten die Mieten. Viele ärmere Menschen wurden verdrängt, schrille Restaurants, Bars und Boutiquen ersetzten den bis dahin bestehenden Mix aus Cafés, Geschäften und unterschiedlichen Wohnformen. Die dot-coms, die nun die betreffenden Stadtviertel prägten, sind über die High-Tech-Infrastrukturen mit ihresgleichen in aller Welt eng verbunden – über dieselben Infrastrukturen, von deren Nutzung die BewohnerInnen anderer Stadtviertel ausgeschlossen sind.
 
Trotz Segregation und Polarisierung sind die unterschiedlichen städtischen Räume und sozialen Gruppen eng miteinander verbunden, ist also der Hochlohnsektor darauf angewiesen, dass die in ihm Beschäftigten auf die im Niedriglohnsektor geschaffenen Produkte und Dienstleistungen zurückgreifen können. Insofern sind für das Funktionieren der globalisierten Stadt nicht nur hochspezialisierte Juristen, Investmentbanker oder Werbefachleute entscheidend, sondern auch „die Sekretärinnen… ebenso wie die Putzkolonnen, die die Gebäude reinigen, in denen die Spezialisten ihre Arbeit verrichten“ (Sassen 1997: 16). Dies gilt nicht nur für den Bereich der unternehmensbezogenen, sondern auch für den der haushaltsbezogenen Dienstleistungen sowie für die Produktion von Gütern des privaten Konsums: „Die Gentrification durch die oberen Einkommensschichten schafft Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, die weder in der Masse produziert noch massenhaft abgesetzt werden. Die Produktion nach Kundenwünschen, die Kleinserienproduktion, die Herstellung von Gebrauchsartikeln des gehobenen Bedarfs und die Zubereitung ausgesuchter Delikatessen ist im Allgemeinen äußerst arbeitsintensiv und die Produkte werden in kleinen Geschäften mit umfassender Kundenbetreuung zum Verkauf angeboten. Die Vergabe eines Teils des Produktionsprozesses an kostengünstige Kleinbetriebe, sweatshops und Heimarbeiter ist dabei weit verbreitet“ (ebd.: 154). 

Im herrschenden Diskurs über Globalisierung und Stadtentwicklung bleiben diese Tätigkeiten meist im Dunkeln. Hier geht es um Städte und Stadtregionen als Kollektivsubjekte, die sich im Konkurrenzkampf mit anderen Städten und Stadtregionen behaupten müssen. Spaltungen und Konfliktlinien verlaufen entlang von regionalen und nicht entlang von klassen- oder geschlechtsbezogenen Grenzen bzw. solchen, die aufgrund der Herkunft von Menschen definiert werden. Damit werden gleichzeitig soziale Konflikte in den Städten unsichtbar gemacht, die aus einer bottom-up-Perspektive als wichtiges Element städtischer Politik unter den Bedingungen von Globalisierung begreifbar werden, z.B. die Kämpfe von GebäudedienstleisterInnen – darunter viele Migrantinnen, die als Putzfrauen arbeiten –, wie sie in zahlreichen US-amerikanischen Großstädten im Rahmen der justice-for-janitors-Kampagne geführt werden.

Städte sind Orte, an denen die im Zuge der Globalisierung geschaffenen bzw. akzentuierten sozialen und räumlichen Widersprüche deutlich sichtbar werden. Gleichzeitig spielen Städte eine zentrale Rolle bei der Regulation dieser Widersprüche. Hierin liegt ein dritter wichtiger Aspekt des Verhältnisses zwischen Globalisierung und Stadtentwicklung. Je kleinräumiger sich die Widersprüche äußern, je stärker etwa einzelne Stadtquartiere vom Niedergang bedroht sind, desto mehr bedarf es lokal angepasster Maßnahmen, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Der Nationalstaat allein ist damit überfordert. Dies erklärt, warum wichtige bislang von ihm wahrgenommene Funktionen nicht nur nach oben, auf internationale Organisationen wie die WTO oder – im europäischen Kontext – auf die EU übertragen wurden, sondern auch nach unten, auf die Ebene der Städte und Stadtregionen. Auch wenn es hier erhebliche nationale Unterschiede gibt und auch wenn z.B. in Deutschland die kommunale Finanzkrise die Handlungsspielräume der Städte stark einschränkt, lässt sich feststellen, dass die lokale Ebene nicht mehr nur umsetzt und verwaltet, was die nationale Ebene beschließt, sondern eine stärker proaktive Rolle spielt. So werden etwa quartiersbezogene Programme entwickelt, mit denen marginalisierte Gruppen in den Arbeitsmarkt (re-)integriert werden sollen. Die Auswirkungen neoliberaler Globalisierung werden mit lokalspezifischen Ansätzen eines empowerment der Marginalisierten zu korrigieren versucht (Mayer 2003). 
In den (Mega-)Städten des Südens scheitern derartige Maßnahmen (bzw. ihr Zustandekommen) nicht nur am Mangel an finanziellen Ressourcen, sondern am bloßen Ausmaß der Marginalisierung. Die Regulation der Widersprüche neoliberaler Globalisierung folgt hier anderen Regeln, die mit den vertrauten Kategorien „Markt“ und „Staat“ kaum mehr begriffen werden können. 

Oft werden ganze Armutsviertel von „privaten“ Organisationen kontrolliert, die sich die Loyalität der Bevölkerung durch Gewalt ebenso wie durch Dienstleistungen sichern, die für die Organisation des Alltags unentbehrlich sind, vom Staat aber kaum mehr erbracht werden. Dies reicht von sozialen Diensten über die Vermittlung von Jobs bis hin zu kulturellen Aktivitäten. Die regulative Rolle des Staates wird dadurch nicht obsolet, allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen öffentlich und privat. Informelle Aktivitäten werden zur Regel, während sich umgekehrt staatliches Handeln selbst informalisiert. „’Informalität’“, so beschreibt es Julia Eckert (2003: 38 f) am Beispiel der Slums von Mumbai, „bedeutet nicht, dass der Staat nicht präsent ist. Zumindest die Polizei ist immer da und verdient ihr ‚Hafta’ (ihre regelmäßigen Abgaben); auch die Steuerbehörde wird die Einkommen der informellen Unternehmen schätzen. Und die Stadtverwaltung wird wohl zumindest dafür entlohnt, dass sie beide Augen zudrückt, wenn eine Wasserleitung angezapft oder ein Gebäude aufgestockt wird. Viel Geld kann von den Staatsvertretern gerade in diesen informellen Situationen verdient werden, denn jede Form der Illegalität, der nicht-registrierten, nicht-lizensierten Tätigkeit, bedeutet die Möglichkeit, Strafen einzuziehen oder Schutzgelder, die vor Strafgeldern schützen … Der Staat existiert also oft in ebenso ‚informellen’ Formen wie seine Untertanen.“

Städte sind – vierter und letzter Punkt – nicht nur Orte der Regulation, sondern auch der Politisierung der Widersprüche neoliberaler Globalisierung. Soziale Konflikte in den Städten (wie auf dem Land) haben in jüngerer Zeit eine neue, „glokale“ Dimension gewonnen: Städtische soziale Bewegungen artikulieren sich oft nicht mehr nur lokal, sondern auch global, sei es, um supranationale Organisationen (WTO, IWF, EU) zu attackieren, die die Bedingungen von Stadtentwicklung zunehmend mitgestalten, sei es, um die Aufmerksamkeit und Solidarität einer globalen Öffentlichkeit zu gewinnen und dadurch ihre eigene Position in den lokalen Auseinandersetzungen zu stärken. Das zeigt sich in symbolischen Aktionen an städtischen Orten, an denen sich weltwirtschaftliche Kontrollfunktionen konzentrieren (Börsen, Banken, Konzernzentralen) oder in der Internationalisierung gewerkschaftlicher Kämpfe in Nord und Süd. Dazu kommen Versuche, andere Formen der Organisation von Produktion und Reproduktion zu entwickeln, wie sie etwa in Argentinien im Zuge der Krise der letzten Jahre zu beobachten waren. Die aktuellen Tendenzen in der Entwicklung von Städten sind also nicht nur von der neoliberalen Globalisierung geprägt, sondern auch von dem Bemühen, solidarische Antworten auf deren Ausgrenzungen und Zumutungen zu finden.