Derzeit wird immer offensichtlicher, dass angesichts der technologischen Entwicklung Vollbeschäftigung weder in Europa noch im Weltmaßstab wieder herstellbar ist. Selbst im Boomland China gibt es mindestens 150 Millionen so genannte WanderarbeiterInnen, unter prekärsten Bedingungen lebende Menschen, die kaum eine Perspektive haben, jemals in ein gesichertes Arbeitsverhältnis zu kommen. Für die kapitalistischen Gesellschaften gilt aber traditionell, dass der Zugang zu Einkommen über die Eingliederung in das System der Erwerbsarbeit geregelt wird. Nur in Ausnahmefällen (Krankheit, Schwangerschaft, vorübergehende Arbeitslosigkeit) gewähren hochentwickelte kapitalistische Gesellschaften über öffentliche Haushalte oder spezielle Versicherungen BürgerInnen im „erwerbsfähigen Alter“ Einkommen, für die sie nicht arbeiten müssen. Voraussetzung dieser Grundsicherungen ist immer der Nachweis von Bedürftigkeit.
Dagegen setzen Dagmar Paternoga und Werner Steinbach von der Attac-Kampagne „Genug für alle“ sowie Werner Rätz, der die ila im Attac-Koordinierungskreis vertritt, auf ein Existenz sicherndes Grundeinkommen, das allen Leuten gezahlt wird. Ausgehend von der Prämisse, dass jeder Mensch Grundrechte hat, und der Feststellung, dass die Ökonomien genügend produzieren, um die Menschen weltweit mit notwendigen Gütern und Dienstleistungen versorgen zu können, halten sie es für eine Selbstverständlichkeit, dass auch alle Zugang dazu haben, unabhängig ob sie einer Erwerbsarbeit nachgehen oder nicht. Dem Standardargument: „Wenn alle das Geld bekämen, um ihre Grundbedürfnisse befriedigen zu können, würde niemand mehr arbeiten und es würde nichts mehr produziert“, halten sie entgegen, dass es genügend Leute gäbe, die auch dann weiter arbeiten würden, weil sie dadurch höhere Einkommen erzielen und/oder eine gewisse Befriedigung erreichen könnten.
Gegen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens werden nicht nur die Sturm laufen, die mit schlecht bezahlter Arbeit ihren Reibach machen, sondern auch viele MalocherInnen. Über Jahrhunderte wurde die Ideologie der Arbeitsgesellschaft den Leuten so eingeimpft, dass viele eine Gesellschaft ohne Arbeitszwang als unvorstellbar, gar als bedrohlich empfinden. Die weit verbreitete Empörung nach der medialen Hetzkampagne gegen „Florida-Rolf“, einen kranken Mann, der mit seiner kärglichen deutschen Sozialhilfe in Florida lebte, kann hier als Beleg gelten.
Dass ein bedingungsloses Grundeinkommen, von dem man leben kann, hier und jetzt möglich wäre, belegen die AutorInnen mit den Berechnungen von WissenschaftlerInnen, kirchlichen Gruppen und sozialpolitischen Initiativen. Dabei stellen sie sowohl Modelle vor, die für die deutsche bzw. österreichische Gesellschaft erarbeitet wurden, als auch ein Konzept der Menschenrechtsorganisation FIAN für eine weltweite Ernährungssicherheit. Es ist den AutorInnen wichtig, dass ihr Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens keinesfalls nur für hochentwickelte Industriegesellschaften gelten soll. Sie betonen den Anspruch, es weltweit durchzusetzen, und dass es selbstredend nicht nur für die jeweiligen StaatsbürgerInnen, sondern für alle Menschen gelten muss, die an einem Ort leben, also auch für MigrantInnen mit oder ohne Papiere.
Angesichts der gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse sind Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen keine realpolitischen Optionen. Obwohl immer weniger Menschen bezahlte Erwerbsarbeit finden, werden „Reformen“ erlassen, die die bescheidenen sozialen Grundsicherungen noch abbauen und allen mit dem Entzug ihrer Lebensgrundlagen drohen, die sich dem Arbeitszwang widersetzen.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist also kurzfristig weder durchsetzbar, noch wären dafür derzeit viele Menschen zu mobilisieren. Auch aus linker Sicht stellen sich viele Fragen. Ein garantiertes Grundeinkommen stellt weder die herrschenden Macht- und Produktionsverhältnisse noch die ökologisch destruktive Art des Wirtschaftens, nicht einmal die Fetischisierung des Marktes oder die latente Kriegslogik in Frage. Dies ist den AutorInnen auch völlig bewusst. Aber es wäre ein Element einer Umgestaltung der gegenwärtigen Gesellschaft in Richtung eines besseren Lebens für alle. Angesichts der Perspektivlosigkeit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung ist das Nachdenken und die Debatte über alternative wirtschaftliche und gesellschaftliche Konzepte eine absolute Notwendigkeit. Und dazu liefert das vorliegende Bändchen reichlich interessantes Material! u Gert Eisenbürger
Werner Rätz, Dagmar Paternoga, Werner Steinbach: Grundeinkommen: bedingungslos, AttacBasisTexte 17, VSA-Verlag, Hamburg 2005, 94 Seiten, 6,50 Euro