Vorausgegangen waren diesen durchaus umstrittenen Wahlen monatelange Proteste gegen Korruption in Guatemala, wenige Tage vor dem Urnengang musste der seiner Immunität enthobene Staatschef Otto Pérez Molina zurücktreten und wurde inhaftiert, ein Vorgang, der seinesgleichen sucht. Auslöser für die Bewegung, welche Guatemala seit dem 25. April in Atem hielt, waren die zahlreichen Korruptionsskandale auf höchster Regierungsebene, welche von der „Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala“ (CICIG), einer UN-Institution, die mit der guatemaltekischen Generalstaatsanwaltschaft kooperiert, aufgedeckt wurden. Zunächst ging es um ein kriminelles Netz von Schmugglern und Zollbetrügern, das unter dem Schutz des Büros der Vizepräsidentin Roxana Baldetti agiert haben soll. Dann soll der frühere Direktor der Steuerbehörde SAT Millionen US-Dollar veruntreut haben, auch die öffentliche Sozialversicherung soll von korrupten Funktionären durch schmutzige Geschäfte in den Ruin gewirtschaftet worden sein, dann wurden neue Vorwürfe gegen das Innenministerium bekannt und zuletzt gegen den Regierungschef selbst. Wenige Wochen vor der Wahl erklärten einige Regierungsbeamte und Minister frustriert ihren Rücktritt aus dem gescheiterten Politprojekt des umstrittenen Ex-Generals Pérez Molina, welcher auch unter dem Verdacht steht, in seiner Zeit als Chef des Geheimdienstes unter der Militärdiktatur in Massaker verwickelt gewesen zu sein. Vor vier Jahren gewann er als Kandidat der rechten „Patrioten“ mit dem Versprechen, mit „harter Hand gegen Kriminelle“ vorzugehen, die Wahlen. Kurz nach dem Wahlsieg wurden die „Patrioten“ auch Mitglied der Liberalen Internationale, der auch die deutsche FDP angehört.
Als Interimspräsident regiert unterdessen mit Alejandro Maldonano ein Getreuer des mächtigen Unternehmerverbandes CACIF. Maldonano gehört der „Bewegung der Nationalen Befreiung“ (MLN) an, der Partei, die 1954 den fortschrittlichen Präsidenten Jacobo Arbenz Guzmán in Kooperation mit der CIA wegputschte.
Zu Beginn waren es vor allem junge Menschen der Mittelschicht, die das Bild bei den spontanen Mobilisierungen in der Hauptstadt und größeren Provinzstädten prägten. Dabei handelt es sich in dem ruralen und indigen geprägten Guatemala aber um eine Minderheit, die ausgegrenzte Mehrheit der Bevölkerung hat sich bisher wenig an der Antikorruptionsbewegung beteiligt. Eine klare Richtung oder gar ein politisches Programm, das über die Rücktrittsforderung oder den Aufschub der Wahlen hinaus ging, gab es nicht. Es handelte sich um eine amorphe Bewegung, in der es unterschiedliche einflussreiche Akteure gibt. Zum Beispiel der Rektor der alt-ehrwürdigen Universidad Nacional de San Carlos, ein nicht unumstrittener konservativer Akademiker, der eine „Plattform für die Staatsreform“ gegründet hat. Auch die katholische Bischofskonferenz war mit ihren moralischen Kommentaren sehr präsent. Vor allem hatten aber Jungunternehmer großen Einfluss auf die Bewegung. Die politische Linke mit ihrer Außenseiterrolle hatte keine nennenswerte Präsenz in dieser Bewegung. In den letzten Wochen vor der Wahl wuchs diese Bewegung an und mobilisierte auch Menschen in den entlegenen Regionen. Daraus erwuchs aber keine Unterstützung für eine politische Kraft, die sich den drängenden Problemen des Landes – Armut, Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt – systematisch und mit einem radikalen Ansatz stellt.
Im ebenfalls neugewählten Parlament sind die Fraktionen so zerrissen wie nie; stärkste wird mit LIDER (19 Prozent) die Partei des geschlagenen Baldizón, gefolgt von Torres’ sich sozialdemokratisch nennender bürgerlichen UNE (14,8 Prozent). Die „Nation“-Partei von Jimmy Morales kommt mit 8,7 Prozent gerade einmal auf Platz 5, noch hinter den „Patrioten“ des wegen Korruption verhafteten Ex-Präsidenten Otto Perez Molina. Diese bleiben trotz der Tatsache, dass ihre SpitzenpolitikerInnen in Korruptionsskandale verwickelt sind und 20 Wochen Massenprotesten dagegen ein politischer Faktor in Guatemala: Sie werden auch 80 der 338 ebenfalls neugewählten Bürgermeister stellen.
Dominiert bleibt das Parlament von den verschiedenen Schattierungen rechter bis ultrarechter Parteien, die verschiedenen Unternehmergruppen nahestehen. Immerhin konnte die politische Linke einen Achtungserfolg erzielen und ihr Ergebnis mehr als verdoppeln. Sowohl die ehemalige Guerilla URNG als auch deren Abspaltung Convergencia schafften den Sprung in die Nationalversammlung und stellen fortan zwei beziehungsweise drei der insgesamt 158 Parlamentarier. Die moderate Bürgerrechtspartei Encuentro por Guatemala errang sogar sieben Mandate und damit immerhin mehr als die fünf Abgeordneten der diktaturnostalgischen VIVA-Partei von Zury Ríos, der Tochter des wegen Genozid angeklagten Ex-Präsidenten Ríos Montt. Mit über 70 Prozent war die Wahlbeteiligung so hoch wie lange nicht mehr. Die Ergebnisse der Bewegungen für Wahlboykott und „ungültig wählen“ blieben so unbedeutend, dass sie die Legitimität dieses Wahlganges kaum in Frage stellen können.
Trotz der machtvollen sozialen Bewegung gegen Korruption und für einen politischen Neuanfang, die die Regierung des rechten Ex-Militärs Otto Pérez Molina zu Fall brachte, wird die Person, die ihm nachfolgt, für Kontinuität stehen. Der für schale Schoten und rassistische wie sexistische Sprüche berüchtigte Komiker Jimmy Morales sucht Sympathien als Antipolitiker wie ein Beppe Grillo in Italien. Hinter ihm steht keine konsolidierte Partei, aber dafür „Avemilgua“, der reaktionärste Flügel des Militärs und die Institution, die für die blutigsten Verbrechen in der Geschichte des Landes verantwortlich ist. Diese Ultrarechten versuchten den Friedensschluss mit der Guerilla 1996 zu verhindern und terrorisieren mit ihrer „Stiftung gegen den Terrorismus“ seit Jahren linke AktivistInnen und soziale Bewegungen. Morales ist der Lieblingskandidat der US-Botschaft und des mächtigen Unternehmerverbandes CACIF, der die Politik Guatemalas schon während der Militärdiktatur bestimmte.
Verständlich, dass die ehemalige First Lady Sandra Torres dagegen als das kleinere Übel erscheint. Während der Präsidentschaft ihres Ex-Mannes Álvaro Colom (2008-2012) übernahm sie die Verantwortung für die staatlichen Sozialprogramme und baute daraus eine Wahlkampfmaschine für ihre gescheiterte Präsidentschaftskandidatur 2012. Ihre Partei UNE hebt sich indes nicht von den korrupten Praktiken der anderen ab, sondern ist vielmehr ein Abziehbild des Systems Guatemala, bei dem Parteien nur Franchiseunternehmen konkurrierender Machtgruppen der herrschenden Klasse sind.
Aus dem ersten Wahlgang ging Morales mit einem Vorsprung von 200 000 Stimmen vor Torres hervor. Seine Hochburgen sind dabei die Hauptstadt und größeren Städte im Süden des Landes, während Torres vor allem im ruralen Norden punktete, eben wo die von der Regierung ihres Ex-Mannes Colom installierten Sozialprogramme viele EmpfängerInnen haben. Dabei macht es wenig Unterschied, ob die WählerInnen indigener Herkunft sind oder nicht. In dem Rennen scheint Morales erst einmal die besseren Karten zu haben, denn er profitiert vom Unmut gegen die etablierten PolitikerInnen und deren Parteien. Unterstützung in den Städten ist leichter zu mobilisieren und er kann auf die Unterstützung der Unternehmerverbände zählen. Sandra Torres hat als Trumpf eine stärkere Parteimaschinerie als Morales und versucht sich indes in Annäherung an die ihr kritisch gegenüberstehenden UnternehmerInnen. Ihnen zuliebe entfernte sie bereits den Vorschlag für eine Steuerreform, mit dem sie Staatseinnahmen erhöhen wollte, aus ihrem sozialdemokratisch angehauchten Programm. Jimmy Morales indes eckt mit seinem politischen Programm nirgendwo an, denn er vertritt keines. In der kurzen Phase des Wahlkampfes vor der Stichwahl macht er mit rechtsnationalen Parolen von sich reden wie der Forderung nach der Angliederung Belizes an Guatemala. Damit greift er in die Mottenkiste eines alten Grenzkonfliktes aus den 40er-Jahren. Kein ernsthafter Vorschlag, aber dieser zeigt, was von dem Mann zu erwarten ist, sollte er tatsächlich die Präsidentschaftswahlen gewinnen.