Gut geschmiertes Erfolgsmodell

Eine Strafzahlung von 228 Millionen US-Dollar soll es nun sein. Darauf hatten sich Anwälte des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht mit den peruanischen Staatsanwälten José Domingo Pérez und Jorge Ramírez am 15. Februar in São Paulo geeinigt. Die Strafe ist innerhalb von 15 Jahren zahlbar. Darüber hinaus hatten die Anwälte des Baukonzerns versichert, den peruanischen Behörden alle nötigen Dokumente für ihre weitere Strafverfolgung bereit zu stellen. Mit der Strafzahlung soll Odebrecht den peruanischen Staat dafür entschädigen, dass der Konzern über Jahrzehnte hinweg peruanische Politiker*innen bestochen hatte, um an lukrative und überteuerte Aufträge zu kommen.

Perus amtierender Präsident Martín Vizcarra begrüßte die Einigung mit Odebrecht: „Dieses Abkommen war notwendig, damit wir die ganze Wahrheit erfahren. Die Behörden und die ganze Bevölkerung Perus wollen wissen, wie tief der Fall ging.“ Das Abkommen mit Odebrecht sei ein erster Schritt, doch die Korruptionsuntersuchungen müssten weitergehen, um das Vertrauen der peruanischen Bevölkerung in die Politik wiederherzustellen.

Dass Peru besonders von dem Korruptionsskandal um den brasilianischen Bauriesen Odebrecht betroffen ist, ist kaum verwunderlich, hatte doch das Unternehmen in Peru nach Brasilien die größte Niederlassung und die meisten Angestellten. Alle fünf peruanischen Präsidenten, die von 2001 bis 2016 im Amt waren, sollen von Odebrecht Geld erhalten haben. Der Baukonzern schmierte dabei Politiker*innen aller Lager und Ebenen. Außer gegen die Ex-Präsidenten ermittelt die Justiz heute gegen die langjährige Oppositionsführerin Keiko Fujimori sowie zahlreiche ehemalige Gouverneur*innen und Bürgermeister*innen (vgl. dazu den Beitrag „Niemand ist mehr unantastbar“ in dieser ila).

Der Korruptionsskandal um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht bescherte Peru bereits mehrere handfeste Verfassungskrisen. Und ein Ende dieser tiefen Krise ist noch nicht abzusehen. Dabei ist Peru nur ein besonders heftiges Beispiel für die politischen Erdbeben, die die Schmiergeldzahlungen Odebrechts in vielen Ländern Lateinamerikas verursacht haben. In Argentinien, Santo Domingo, Costa Rica und anderen Ländern sind ehemalige Minister*innen, Gouverneur*innen und andere Politiker*innen das Ziel von Korruptionsermittlungen.

Der Korruptionsskandal um Odebrecht hatte in Brasilien seinen Ausgang genommen, mit der sogenannten Operation Lava Jato (Autowaschanlage). Vor knapp fünf Jahren, am 17. März 2014, begannen die Ermittlungen der brasilianischen Bundespolizei. Angefangen hatte es mit der Untersuchung von auffälligen Geldtransaktionen einer Autowaschanlage in Brasília, woher der Name für die Operationen kommt. Die Ermittlungen ergaben bald, dass dabei Geld aus Schmiergeldern gewaschen wurde. Die Spur führte zum staatlichen brasilianischen Erdölkonzern Petrobras, von dem Gelder an die Wahlkampfkassen brasilianischer Parteien abgezweigt wurden. Doch je tiefer die Ermittler bohrten, desto mehr illegale Geschäfte kamen zum Vorschein. Schließlich ging es auch um überteuerte Bauaufträge von Braskem, der petrochemischen Sparte von Odebrecht, an Baufirmen, von denen Geld an die Parteien abgezogen wurde. Betroffen waren die größten Bauunternehmen des Landes: OAS, Andrade Gutiérrez, Camargo Corrêa und als größtes von allen, Odebrecht.

Norberto Odebrecht, Nachfahre deutscher Emigranten, hatte das Unternehmen 1944 in Salvador da Bahia gegründet. Früher galt der Konzern als brasilianische Erfolgsgeschichte. Der Bauriese war in 28 Ländern aktiv und hatte zu seinen besten Zeiten etwa 128 000 Mitarbeiter*innen. Er hat Staudämme, Kraftwerke, Flugplätze, Häfen, Stadien und Straßen gebaut, vor allem in Lateinamerika und Afrika.

Doch offenbar basierte der Erfolg zu einem großen Teil auf kriminellen Machenschaften. Im Laufe der Ermittlungen kam bald heraus, dass das Unternehmen nicht nur in Brasilien, sondern auch in zahlreichen anderen Ländern Politiker*innen aller politischen Richtungen bestochen hatte.

Odebrechts Korruptionszahlungen liefen über ein professionelles und hochkompliziertes Netzwerk. Mehrere Briefkastenfirmen und Banken wurden in Andorra, Antigua und Barbados, Panama, der Schweiz und anderen Steuerparadiesen gegründet, um die Schmiergeldzahlungen zu überweisen. Um das komplizierte Netzwerk zu koordinieren, verwendete das Unternehmen ein eigenes Intranet, das Buchungssystem „Drousys“.

Als Hauptplaner dieses kriminellen Netzwerks wird der Firmenchef und Enkel des Gründers Norberto, Marcelo Odebrecht, angesehen. Am 8. März 2016 war er wegen Korruption zu über 19 Jahren Haft verurteilt worden. Im Rahmen einer Kronzeugenregelung konnte er seine Strafe massiv reduzieren, auf zehn Jahre. Am 19. Dezember 2017 wurde die Haftstrafe in Hausarrest umgewandelt.

Da die Zahlungen teilweise auch über Unternehmen abgewickelt wurden, die an der New Yorker Börse handelbar sind, schalteten sich auch US-Gerichte ein. Am 21. Dezember 2016 gab Odebrecht gegenüber einem New Yorker Gericht zu, insgesamt 788 Millionen Dollar Bestechungsgelder in mindestens zwölf Ländern gezahlt zu haben. Odebrecht plädierte auf schuldig und vereinbarte eine Strafzahlung von 3,5 Milliarden US-Dollar, die höchste Strafzahlung für Korruption, die es je gab.

Bei ihren Untersuchungen waren die Ermittler auf ausführliche Zeugenaussagen angewiesen. Diese fanden sich schnell unter den ehemaligen Leitern des Konzerns. Insgesamt haben über 70 Ex-Manager von Odebrecht im Rahmen von Kronzeugenregelungen ausgesagt, um ihre Strafen zu verkürzen. Doch die Kronzeugenregelungen sind auch die Achillesferse von Lava Jato. Die Verteidiger*innen der beschuldigter Politiker*innen behaupten immer wieder, die Anschuldigungen seien erlogen, mit ihnen wollten die ehemaligen Odebrecht-Manager nur ihre eigene Haut retten oder die Untersuchungen seien politisch motiviert.

Tatsächlich schmierte Odebrecht Politiker*innen aus allen politischen Lagern. Sowohl die Wahlkampfkassen linker, als auch rechter Politiker*innen profitierten davon. In Argentinien gibt es Hinweise, dass Odebrecht korrupte Verbindungen sowohl zu den linken Ex-Präsident*innen Néstor und Cristina Kirchner, als auch zum amtierenden rechten Präsidenten Marcelo Macri unterhielt. Ehemalige Mitarbeiter von Odebrecht haben ausgesagt, dass in Venezuela sowohl der amtierende Präsident Nicolás Maduro, als auch der ehemalige Oppositionsführer Henrique Capriles Geld von dem Unternehmen erhalten hätten.

Dabei versuchen die betroffenen Politiker*innen vielerorts, mit allen Mitteln die Untersuchungen aufzuhalten. Besonders krass scheint dies in Kolumbien zu sein, wo mit Juan Manuel Santos und Álvaro Uribe ebenfalls ehemalige Staatschefs beschuldigt werden, Bestechungsgelder von Odebrecht angenommen zu haben. Bislang sind dort, im Gegensatz zu Brasilien und Peru, noch keine hochrangigen Politiker*innen in Haft. Ende letzten Jahres sind aber mit Jorge Enrique Pizano, der als Auditor Verträge mit Odebrecht überwacht hatte, und Rafael Merchán, ehemaliger Sekretär für Transparenz im Präsidialamt, bereits zwei wichtige Zeugen ums Leben gekommen: in beiden Fällen durch Gift. Bislang geht die Staatsanwaltschaft weiter von Selbstmorden aus, obwohl die Frage, ob hier nicht unliebsame Mitwisser aus dem Weg geschafft wurden, sehr berechtigt erscheint.

Die spürbarsten Folgen für die Politik hatte der Fall bislang in Brasilien. Im Rahmen der Ermittlungen um Lava Jato wurden dort bis heute über 2400 Verfahren eingeleitet und über 200 Urteile gesprochen. Zusammengerechnet wurden Haftstrafen von über 2000 Jahren ausgesprochen. Das Neue dabei ist, dass auch mächtige Politiker*innen und Unternehmer*innen zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Traditionell galt in Brasilien, dass sich insbesondere mächtige Männer praktisch immer einer Strafe entziehen konnten. Nun wurde etwa der ehemalige Präsident der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha (PMDB), zu fast 30 Jahren Haft verurteilt, der ehemalige Gouverneur von Rio de Janeiro, Sergio Cabral (PMDB), sogar zu über 120 Jahren Haft. Im Zuge der Bauarbeiten für die Fußballweltmeisterschaft der Herren 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro hat sich Cabral mit Schmiergeldzahlungen von Baukonzernen bereichert.

Der sicher aufsehenerregendste Fall ist der um den ehemaligen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei PT – und ohne Zweifel auch der umstrittenste. Im Juli 2017 verurteilte ihn ein Gericht zu neun Jahren Haft, weil das Bauunternehmen OAS mutmaßlich für ihn ein Apartment im Badeort Guarujá (São Paulo) renoviert und bereitgestellt hätte. Ein Berufungsgericht erhöhte die Strafe im Januar 2018 noch auf über zwölf Jahre. Im April 2018 wurde Lula deshalb inhaftiert. Am 6. Februar 2019 folgte eine weitere Verurteilung zu zwölf Jahren Haft. Emilio und Marcelo Odebrecht und andere Bauunternehmer sollen dem Ex-Präsidenten ein luxuriös ausgestattetes Landhäuschen in Atibaia (São Paulo) bereit gestellt haben.

Viele brasilianische Linke behaupten, dass diese Urteile rein politisch motiviert waren. Diesen Kritiker*innen zufolge wollten die alten politischen Eliten mit den Korruptionsuntersuchungen die Arbeiterpartei PT absetzen, da sie diese nicht in den Wahlen besiegen konnten. Auch wenn diese Sicht stark vereinfachend ist, enthält sie doch einen wahren Kern. So war das umstrittene Impeachmentverfahren gegen die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff nur möglich geworden vor dem Hintergrund der allgemeinen Politikverdrossenheit angesichts des Korruptionsskandals Lava Jato – und dies, obwohl Dilma Rousseff bislang persönlich keine Verfehlungen nachgewiesen werden konnten.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Urteile gegen Luíz Inácio Lula da Silva auf sehr wackeligen Beinen stehen. So gehören das Apartment in Guarujá und das Landhaus in Atibaia ihm nicht offiziell; und selbst wenn diese von Bauunternehmen im Austausch für Gefälligkeiten während Lulas Regierungszeit bereit gestellt wurden, erscheinen über 24 Jahre Strafe völlig unverhältnismäßig. Gleichzeitig ist der ehemalige Präsident Michel Temer, gegen den Verfahren wegen Bandenbildung und Korruption anhängig sind, weiter auf freiem Fuß. Besonders empörend erscheint dabei die Tatsache, dass durch die Inhaftierung die Teilnahme Lulas an den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr verhindert wurde, obwohl er in den Umfragen deutlich geführt hatte. So ebneten die Gerichte den Weg für den Rechtsradikalen Jair Messias Bolsonaro, der seit dem ersten Januar als Präsident regiert. In seinem Wahlkampf betonte Bolsonaro, dass er rücksichtslos gegen die Korruption vorgehen würde. So machte er den beliebten Bundesrichter Sérgio Moro, der für die Operation Lava Jato zuständig war, zu seinem Justizminister. Doch inzwischen kommt heraus, dass auch Bolsonaros Sohn Eduardo und seine evangelikal geprägte Partei PSL selbst tief in korrupte Praktiken verstrickt waren. Die PSL, die die zweitstärkste Fraktion im Parlament stellt, hat zudem erklärt, einige Antikorruptionsgesetze revidieren zu wollen. Mittlerweile betont Bolsonaro auch weniger das Vorgehen gegen die Korruption, sondern mehr die Bekämpfung der politischen Linken. So bleibt ungewiss, wie es mit den Korruptionsermittlungen weiter gehen wird.

Doch ein Problem besteht bei allen Korruptionsermittlungen rund um Lava Jato in allen Ländern, die Ermittlungen konzentrieren sich auf Politiker*innen, die sich unrechtmäßig bereichert und öffentliche Mittel veruntreut haben. Dies korrespondiert mit dem populären Diskurs von „den Politiker*innen, die alle stehlen“. Das wirkliche Problem ist aber, dass aufgrund von Schmiergeldzahlungen politische Entscheidungen durchgesetzt wurden. Somit wurden demokratische Entscheidungsmechanismen zugunsten privater ökonomischer Interessen untergraben. So sollen einige Bauprojekte in Peru nur aufgrund der Schmiergeldzahlungen von Odebrecht überhaupt geplant worden sein, wie etwa der Ausbau einer kaum genutzten Straße durch das Amazonasgebiet nach Brasilien.

Ein anschauliches Beispiel, das sich auch nur durch die Interessen von Baukonzernen und deren Einflussnahme auf Politiker*innen erklären lässt, ist das umstrittene Projekt Belo Monte. Dabei handelt es sich um das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt, das derzeit am Xingu-Fluss in Amazonien gebaut wird. Auch hier wird wegen Schmiergeldzahlungen ermittelt. Gegen den Bau sind insgesamt 25 Klagen anhängig, zahlreiche Gesetze zum Schutz von indigenen Gemeinschaften und der Umwelt wurden missachtet. Doch all dies haben die brasilianischen Regierungen, auch die unter den linken Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff, immer wieder mit dem Verweis auf „nationales Interesse“ beiseite gewischt und per Dekret die Baugenehmigung erteilt. Partikulare wirtschaftliche Interessen wurden so gegen den Rechtsstaat und das öffentliche Interesse durch-gesetzt.

Um die Korruption wirklich zu bekämpfen, reicht es nicht, Schmiergeldzahlungen zu verfolgen. Um demokratische Entscheidungen wirksam davor zu schützen, von wirtschaftlichen Partikularinteressen untergraben zu werden, müsste die Wirtschaft radikal demokratisiert werden, was nichts anderes als die Überwindung des Kapitalismus wäre. So zeigt sich Korruption nicht als eine Abweichung von der Norm in kapitalistischen Staaten dar, sondern als die Norm selbst. Dies macht auch die Aussage von Emílio Odebrecht vor einem Gericht im Dezember 2016 deutlich: „Das läuft schon seit 30 Jahren so. Die ganze Presse wusste Bescheid. Warum gerade jetzt diese Enthüllungen?“