Her mit dem guten Leben!

Mit der Herausgabe des kleinen Bandes „Her mit dem guten Leben!“ haben die Wuppertaler Nicaragua-„VeteranInnen“ ein weiteres Mal den Beweis erbracht, dass konkrete Länder-Solidaritätsarbeit nicht an den jeweiligen Landesgrenzen Halt machen muss, sondern den Blick für komplexere Zusammenhänge der Nord-Süd-Beziehungen öffnen kann. Die in der 110-seitigen Broschüre versammelten zehn Texte behandeln die Themen, die das Infobüro Nicaragua in einer Veranstaltungsreihe des letzten Jahres mit dem etwas hochtrabend klingenden Untertitel „Wuppertaler Süd-Nord-Kolloquium“ auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Es ging um die Suche nach Auswegen aus der immer offenkundiger an die Grenzen stoßenden Wachstumsfalle, in der uns auch heute noch die tonangebenden ewiggestrigen Marktstrategen gefangenhalten. Dabei ist das aus den unerschwinglichen Höhen der Anden bis in die Niederungen der westlichen Metropolen gesegelte sympathische Konzept des Buen Vivir (des Guten Lebens) das sicher am radikalsten mit den herkömmlichen Entwicklungsparadigmen brechende Hinweisschild für die Pfadfinder, die sich auf die Suche nach einer möglichen anderen Welt gemacht haben. 

Wenn es in seiner kontextgebundenen Ausprägung auch bereits Eingang in die Verfassungen Ecuadors und Boliviens gefunden hat, so ist dies noch nicht gleichbedeutend mit seiner buchstabengetreuen Umsetzung in die jeweiligen Lebenswirklichkeiten der auch in diesen Ländern dominierenden urbanen Bevölkerungen. Die in den Städten wirkmächtigen Überlebenszwänge mit all ihren mentalen Verkleisterungsmechanismen bilden auch dort ein schwer überwindbares Hindernis auf dem Weg zu einem Leben in Harmonie mit der Natur und ihren Kreisläufen. Und dennoch, allein die Ausformulierung eines solchen Konzeptes, das sogar so weit geht, die Natur als Rechtssubjekt zu deklarieren, ist geeignet, heilsame Erschütterungen im Selbstverständnis der festgefahrenen Entwicklungstheoretiker auszulösen. Schon dafür sind wir den (nicht ausschließlich indigenen) Vertretern des Konzepts zu Dank verpflichtet.

Das Verdienst des Sammelbandes besteht aber nicht allein darin, Einblicke in das Spannungsfeld zwischen Verfassungsanspruch und -wirklichkeit des Buen Vivir jenseits des Atlantik zu geben, sondern er greift auch Debattenbausteine aus der hiesigen Diskussion auf, so z.B. um den Zusammenhang zwischen Energiepolitik und Klimagerechtigkeit (Michelle Wenderlich), um die Wiederaneignung des öffentlichen Raums unter dem Slogan des „Rechts auf Stadt“ (Dirk Gebhardt/Andrej Holm), um subversive Strategien der Selbstversorgung wie das Guerilla Gardening (Christa Müller), um alternative Wohlstandsindikatoren (Dorothee Rodenhäuser) und schließlich um die Bedeutung der Commons – der öffentlichen und Gemeinschaftsgüter –, deren allgemeiner Zugang unter allen Umständen gewahrt bzw. ausgebaut werden muss (Friederike Habermann und Thomas Seibert). 

All die genannten Beispiele lassen erkennen, daß wir inmitten einer schlechten Gegenwart am Beginn eines intensiven Diskussionsprozesses über eine mögliche bessere Zukunft stehen, der von vielen unterschiedlichen Koordinaten her nicht nur theoretisch geführt, sondern auch an vielen Orten dieser Welt praktisch erprobt wird. Bleibt zu hoffen, dass die erfreuliche Vielfalt der Diskurse in einen praktikablen, von relevanten gesellschaftlichen Organisationen getragenen Gesamtentwurf zur Überwindung der globalen Krise mündet und nicht im „Brackwasser der Beliebigkeit“ (Georg Schramm) landet. Den HerausgeberInnen und AutorInnen dieses anregenden Büchleins ist jedenfalls die größtmögliche Verbreitung der darin enthaltenen Ideen zu wünschen. 

Her mit dem guten Leben!, Nahua-Script 14 , Informationsbüro Nicaragua, Wuppertal 2011, 112 Seiten, 4,- Euro, Bezug: info@informationsbuero-nicaragua.org