Alma Karlin wurde 1889 als Tochter einer Slowenin und eines österreichischen Offiziers in Cilli (Celje) geboren. Sie war ein Sprachgenie. Schon nach der Grundschule legte sie Prüfungen in Französisch und Englisch ab. 1908 reiste sie nach London, wo sie als Übersetzerin arbeitete, Sprachen studierte und in acht Fremdsprachen mit Bestnoten Examina ablegte. Während des Ersten Weltkrieges lebte und arbeitete Alma in Norwegen und Schweden. Im Stockholmer Ethnografischen Museum wurde ihr Interesse für Südamerika geweckt. 1918 kehrte sie ins nunmehr jugoslawische Celje zurück, wo sie eine Sprachenschule aufmachte. Dort hielt es sie nicht lange. Sie sparte Geld und brach 1919 mit ihrer Schreibmaschine Marke Erika im Handgepäck zu ihrer Weltreise auf, die bis 1928 dauern sollte.
Von Genua gelangte sie über Venezuela, Peru, Panama, Costa Rica, Nicaragua und Mexiko nach Kalifornien. Von dort aus reiste sie über Hawaii nach Japan und Ozeanien und über Indonesien, Singapur und Pakistan durch den Suez-Kanal zurück in die Heimat. Unterwegs schrieb sie Reiseskizzen und Berichte für deutschsprachige Zeitungen, u.a. die Cillier Zeitung. Sie schrieb und übersetzte, um Aufenthalt und Weiterreise zu finanzieren, und sammelte unzählige Objekte, die von ihrem ethnologischen, botanischen und kunsthandwerklichen Interesse zeugen.
Jernaja Jezernik gibt Almas Werke im Klagenfurter Drava Verlag heraus und versieht sie mit informativen Nachworten. Auch übersetzt sie Almas Bücher ins Slowenische. Ich traf mich mit ihr in Almas und ihrer Heimatstadt. Celje liegt zwischen Maribor und Ljubljana, an der Strecke der alten österreichischen Südbahn von Wien nach Triest, und lohnt einen Besuch wegen seiner Museen, Kirchen, des Schlosses der Grafen von Cilli und der reizvollen Tallage an einer Biegung des Savinja-Flusses. Das örtliche Regionalmuseum widmet dem Leben und Wirken Alma Karlins einen Saal und zeigt Objekte, die sie von ihrer Weltreise mitbrachte.
Dahin bringt mich Jernaja, nachdem sie mir einige Orte, die in Almas Leben eine Rolle spielten, gezeigt hat. Sie führt mich zum Bahnhof, dort steht auf dem Vorplatz gegenüber des ehemaligen „Deutschen Hauses“ seit 2010 eine lebensgroße Statue, die Alma mit Koffer darstellt, „der Stadt zugewandt, denn die Weltreisende kam ja schließlich zurück nach Cilli, was der Stadtverwaltung wichtig war“, so Jernaja. Dass sie 1919 voller Fernweh und Freiheitsdrang der Enge der Provinzstadt entflohen war, sei dabei unter den Teppich gekehrt worden, was für Kontroversen in der Stadt gesorgt habe. Jernaja zeigt mir dann den Platz gegenüber des ehemaligen „Slowenischen Hauses“, an der ihr Geburtshaus stand, das im Krieg zerstört wurde, und wo eine metallene Plakette an die Weltreisende erinnert.
Vor zwei Jahren hatte ich Jernajas Buch „Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt“ gelesen. Ich wollte die Germanistin zu Almas bewegtem Leben, der neun Jahre dauernden Weltreise, den Aufenthalten in Peru und Panama, ihren Werken und ihrem Wirken befragen. Jernaja weiß fast alles über Alma. Sie gibt mir bereitwillig und gerne Auskunft und berichtet von ihrer Begeisterung für die Autorin und für Peru, erzählt, warum sie unbedingt nach Arequipa reisen möchte. Ich wollte von Jernaja aber auch wissen, was sie an Alma so fasziniert, wie sie auf sie aufmerksam wurde, was sie im Nachlass in der Nationalbibliothek in Ljubljana fand und wie Alma dachte, fühlte und tickte.
Als Kind sei sie Ende der 1980er-Jahre auf ihrem Schulweg immer an der Plakette vorbeigekommen, die den Platz markierte, wo Almas Geburtshaus stand. Da sei sie neugierig geworden, habe nachgefragt, wer das gewesen sei, Alma Karlin. Das sei „eine Deutsche“ gewesen, was damals wegen Krieg und NS-Zeit negativ konnotiert war. Dann hieß es aber auch, Alma sei eine Lesbe gewesen, weil sie seit den 1930er-Jahren mit „ihrer Seelenschwester“ Thea Schreiber-Gammelin, einer Malerin aus Mecklenburg, zusammenlebte. Die Leute sagten, Alma sei eine Hexe oder eine Irre gewesen.
„Ich wollte wissen, was für ein Mensch hinter all dem verborgen war, und einen Teil von Alma habe ich dann kennengelernt, als ich ihre Bücher ins Slowenische übersetzt habe“, so Jernaja. Was sie am meisten beeindruckt habe, sei ihr Erzählband „Der Todesdorn“ über ihre Erlebnisse in Peru und Panama. Jernaja recherchierte, schrieb Nachworte und eine Biografie über Alma. Ihr wurde klar, dass es sich um „eine hochbegabte Person handelte, die nicht in ihre Zeit passte mit ihrem Wunsch, als Autorin und Weltreisende ein freies und unabhängiges Leben zu führen“. Sie reiste aber nicht um des Reisens willen, „sie wollte sich selbst besser kennenlernen“, für Jernaja ist „Alma eine Weltbürgerin in geografischer und geistiger Hinsicht“.
Zunächst übersetzte Jernaja Almas Bücher, die auf Deutsch erschienen waren. Sie begeisterte Almas „originelle Sprache, die Mischung aus Satire, Ironie und Offenheit“. Dann hörte sie von Almas Nachlass in der Nationalbibliothek in Ljubljana, und dort fand sie unveröffentlichtes Material, Alben mit Zeichnungen, Herbarien, Fotos, Manuskripte. So konnte sie sich ein facettenreicheres Bild von der Autorin machen. Dort fand sie auch ein handgeschriebenes Reisebuch über den ersten Teil von Almas Weltreise, in dem zu lesen sei, dass „Peru und Panama nicht ganz oben auf der Wunschliste standen, dass sie aber nach dem Ersten Weltkrieg kein Visum für ihr Lieblingsland Japan“ bekommen und sich dann die Möglichkeit ergeben hätte, mit dem Dampfer „Bologna“ von Genua nach Peru zu fahren.
Das Land habe sie schon früher kennenlernen wollen. Schon in Schweden habe sie Garcilaso de la Vega im Original gelesen und eine Quechua-Grammatik in die Hände bekommen, und schon damals habe Alma „das Land der Kinder der Sonne“ kennenlernen wollen. Als sie dann in Arequipa war, schrieb sie, dass sie für Peru, die Stadt und den Vulkan Misti „durch ein früheres Leben eine Herzensverbundenheit“ fühle, so Jernaja. Die Realität vor Ort war dann aber ganz anders als das, was sie sich vorgestellt hatte. „Das Land hat sie einerseits enttäuscht, sie hatte kaum Reiseerfahrungen, mehrmals wurde sie fast vergewaltigt, sie wurde ausgeraubt, lebte in armseligen Verhältnissen als Privatlehrerin“, berichtet Jernaja. Es gab aber auch „eine hellere Seite“, das Privileg, die Geschichte und Kultur Perus durch den Avantgardedichter César „Atahualpa“ Rodríguez Olcay (1889-1972) kennenzulernen, der Direktor der Stadtbibliothek in Arequipa war. „Sie bewunderte dessen Werke und war wohl auch ein wenig verliebt in ihn, aber sie wusste schon, dass sie weiterreisen würde und sich nicht binden wollte“, so Jernaja. Unter dem Einfluss Atahualpas schrieb sie einige Gedichte, so auch „In Arequipa“, das auch die unerfüllte Liebe zu dem Dichter thematisiere.
Jernaja will jetzt nach der Pandemie so bald wie möglich nach Arequipa reisen, vor Ort zu Alma und Atahualpa recherchieren; eine seiner Töchter lebe noch in der Stadt. Sie wolle sehen, was Alma dort hinterlassen hat, und ein Buch darüber schreiben. Es ist dieser erste Teil der Weltreise, der Jernaja deshalb so interessiert, weil Alma noch unerfahren war, kaum Geld hatte, kaum Objekte kaufte, dafür umso mehr schrieb und zeichnete. Die Texte für die Cillier Zeitung, Reiseskizzen aus Peru und Panama, die die Menschen einige Monate später lesen konnten, seien „eine Kostbarkeit, frisch und offen, unverfälschter, direkter und anschaulicher“, im Gegensatz zu ihren später erschienenen Reisebüchern „noch nicht innerlich redigiert, eine Mischung aus Journalismus und Literatur, aus Erlebtem und Literarischem“, weshalb sie uns noch heute sehr ansprechen.
Die rein literarischen Werke erschienen erst später, etwa der Roman „Der Götze“, der im alten und modernen Peru spielt, die Novelle „Die Tränen des Mondes“, auch mit peruanischem Setting, oder „Der Todesdorn“ mit Erzählungen zu Peru und Panama. Hinzu kommen, so Jernaja, viele Manuskripte, die mit beiden Ländern zu tun haben, sowie der unveröffentlichte Roman „Das allmächtige Eine“, der u.a. Almas Liebesgeschichte mit Atahualpa zum Thema hat. Besonders interessant sei hier, dass der Roman zwei Enden habe, ein Ende, das Alma geschrieben habe, und ein anderes Ende, das von Thea Schreiber-Gammelin stamme. Die sei wohl eifersüchtig auf Atahualpa gewesen und habe ihre „Seelenschwester“ Alma in ein anderes Licht setzen wollen.
Der Aufenthalt in Arequipa und später in Mittelamerika habe also in Almas Werk viele Spuren hinterlassen. In den vielen Manuskripten gehe es meist um die Rolle der Frauen. Sie verkehrte mit den ärmsten Frauen in Arequipa und Panama, die ihr „alte Geschichten über Aberglaube und magische Praktiken“ erzählten und ihr immer wieder mit Essen aushalfen. Sie habe die Frauensolidarität kennengelernt, die sie auch in den Erzählungen in „Der Todesdorn“ beschreibt. Vor allem aber in „Frauen, denen ich begegnet bin“, Texte, die Jernaja ins Slowenische übersetzt hat, die auf Deutsch aber nur als Manuskripte vorliegen. Es handele sich um eine „Vorlage für Vortragsgreisen“, die Alma in den 1930er-Jahren in Österreich und Deutschland unternommen habe.
Nach Panama gelangte Alma zufällig, so Jernaja, weil ihr Dampfer auf dem weiteren Weg dort Halt machte. Sie blieb dann länger, um Geld für ihre Weiterreise nach Japan zu verdienen. Zunächst lebte sie in der ärmeren Kanalzone B, doch mit der Zeit hatte sie Erfolg: Sie wurde die erste offizielle Dolmetscherin in Panama, und weil der Beruf von Frauen bislang nicht ausgeübt wurde, wurde sie auf der Straße mit „el señor intérprete“ angesprochen, berichtet Jernaja.
Der Aufenthalt dort habe auch dazu beigetragen, dass Alma ihren „aus England stammenden kolonialen Blick, die europäische Überheblichkeit“ zum Teil über Bord warf. Sie sei ein „Kind ihrer Zeit“ gewesen, und viele Textstellen zeugten auch von rassistischen Vorurteilen, doch Peru und Panama hätten dazu beigetragen, dass ihr Frauenbild positiv, nicht rassistisch geprägt gewesen sei. Anders hingegen ihr Männerbild, was auf viele negative Erlebnisse in Peru zurückzuführen sei. Das habe sie aber nicht daran gehindert, vor der deutschen Besetzung Jugoslawiens in den 1930er-Jahren politischen Flüchtlingen aus Wien oder Deutschland, etwa dem Journalisten Hans Joachim Bonsack, in Celje Zuflucht zu gewähren, wie sie in ihrem autobiografischen Buch „Ferne Frau“ beschreibt. Nicht überraschend ist, dass die Weltbürgerin Alma Karlin sich während der deutschen Besatzung ihrer Heimat dem Widerstand und schließlich den Partisanen in der Bela Krajina anschließt.