Hier ist Deutschland, leg die Kleidung zurück

Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, wenn ein Buch über die antirassistische Bewegung erscheint, dessen HerausgeberInnen Teil der Bewegung selbst sind? Schlecht insofern, als mit einer Publikation das Ende eines linken Bewegungszyklus’ festgeschrieben wird?

Das Cover von „Widerstandsbewegungen – Antirassismus zwischen Alltag und Aktion“, herausgegeben vom Kollektiv interface, zeigt eine Person, die einen Balanceakt vollzieht. Ein gut gewähltes Bild. Denn antirassistische Praxis in Deutschland bedeutet, sich im Umgang mit Widersprüchen zu schulen, bedeutet ein immer wieder neues Austarieren der gesellschaftlichen Begebenheiten und eigenen Verstricktheiten. Und aufgrund der herrschenden Trotzhaltung, die nach wie vor Deutschland als „Nichteinwanderungsland“ halluziniert, erfordert antirassistische Praxis vor allem Geduld. Und Power, angesichts der sich zuspitzenden rassistischen Verhältnisse. Und mit so viel Power ist es wahrscheinlich auch möglich, die Aktivisten- und Publizistenrolle unter einen Hut zu bringen. Womit die Eingangsfrage beantwortet wäre: Es ist ein gutes Zeichen! Denn der vorliegende Band ist wirklich gelungen. Ein gut lesbares und schön bebildertes Kompendium, das antirassistische Aktionen und Diskussionen ab Anfang der 90er Jahre darstellt, Geschichtsexkurse unternimmt und vor allem viele AktivistInnen selbst zu Wort kommen lässt. Linke Geschichtsschreibung trifft auf die Formulierung von Perspektiven.

Das erste Kapitel „Wir sind unter euch“ zeigt Lebensrealität und Alltagswiderstand von Leuten, die „nicht hier her gehören“ (denn: Deutschland ist ja kein Einwanderungsland). Dazu zählt auch die Diskussion um zunehmende prekäre ökonomische und arbeitsrechtliche Bedingungen und die Darstellung von erfolgreichen Aktionen von MigrantInnen gegen Überausbeutung und Entrechtung. In Kapitel 2 – „Break the Law“ – wird der organisierte Widerstand dargestellt. Schwerpunkte liegen dabei auf den Aktionen gegen die Residenzpflicht bzw. das Lagersystem für Flüchtlinge. Aufschlussreich ist z.B. die internationale Einordnung und der Vergleich mit Italien, wo Radikalität und gesellschaftliche Breite der Proteste gegen Lagerpolitik verblüffen. Ein wesentlicher Unterschied zu Italien besteht darin, dass es dort keine Unterscheidung zwischen (Arbeits-)migrantInnen und Flüchtlingen gibt und das neue Einwanderungsgesetz „als Angriff gegen die gesamte ArbeiterInnenklasse thematisiert“ wurde (S. 154).  Höchst spannend ist auch das Interview mit autonomen FluchthelferInnen, die Mitte der 90er Jahre praktisch und effizient die Festung Europa unterwanderten … Doch es wird sich auch nicht gescheut, die alltäglichen Mühen und die minoritäre Position bestimmter Kämpfe zu benennen – „das ist keine Erfolgstory“ heißt es beispielsweise in Bezug auf den anhaltenden Behördendruck gegenüber Roma-Flüchtlingen.

So manche Lektüre-Highlights versammeln sich im dritten Kapitel „Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme“. Thematisiert werden herrschende Diskurse und Repräsentationsformen in der Kulturproduktion bzw. migrantische Gegenproduktionen in Kultur und Medien. In einem Beitrag wird das vorherrschende „Kino der Fremdheit“ oder der „Betroffenheit“ entlarvt und ein Film genauer vorgestellt, der mit der üblichen Einsortierung migrantischer Filmfiguren bricht. Um Selbstrepräsentation geht es in dem gekonnt fragmentarisch verfassten Artikel, der Entstehungsbedingungen und Rezeption des Films Rien ne vaut que la vie, mais la vie même ne vaut rien reflektiert. Der Film erzählt „die Geschichte von Kämpfen, Festen und Auseinandersetzungen, von Umbrüchen und materieller Not. Er erzählt von Einsamkeit in der (ost)deutschen Provinz – wohin Asylbewerberheime vorzugsweise verlegt werden.“ Er erzählt vor allem vom „Flüchtling“-Werden: „,Flüchtling’ als eine Kategorie, nicht eine Identität, die sich einstellt, sobald man die Grenze übertritt, sondern eine, für deren Entstehung (…) vieles an institutioneller Maschinerie bereit steht, ‚Flüchtling’ als Produkt der Erfahrungen mit dem Asylbewerberverfahren, der Auflagen und Zeit in Almanya, in der sich Sprache und Denken verändern, in dem kreative und intellektuelle Praktiken in den Hintergrund rücken …“ (S. 253). Absolut lesenswert! Ebenso der Beitrag zu den Protesten 1966 gegen den rassistisch-kolonialen Film Africa Addio.

Das vierte Kapitel schließlich – „How is your liberation bound up with mine“ – richtet den Blick nach innen und vorne. Hier spiegelt sich deutlich der Hintergrund der HerausgeberInnen wider: „Die lokalen Bewegungen, denen wir uns nahe fühlen, sind in einen bundesweiten Zusammenhang eingebettet, der sich derzeit als Anti-Lager-Bewegung selbst beschreibt (…). Historischer Ursprung dieser Bewegung waren die antirassistischen Grenzcamps und deren Folgeprojekte wie die Widerstandstage gegen das Ausreisezentrum in Nürnberg/Fürth oder die Anti-Lager-action-Tour“ heißt es bereits in der Einleitung. Ab Ende der 90er Jahre wurden neue Aktionsformen ausprobiert und weiter entwickelt sowie eine politische Zusammenarbeit von Flüchtlingen, MigrantInnen und „Biodeutschen“ angegangen. Zwischen den Grenzcampanfängen einer fast rein deutsch-weißen Organisierung hin zu einer Anti-Lager-Bewegung und einem Kampf um Rechte, in der eine gemeinsame Politik auf Augenhöhe versucht wird, ohne strukturell ungleiche Ausgangsbedingungen auszublenden, aber auch ohne Identitäten festschreiben zu wollen, ist viel passiert: Diskussionen, Missverständnisse, Brüche, Abgrenzungen, aber auch gemeinsame Erkenntnisse und vertiefte Zusammenarbeit. Diese Debatte, die oftmals einen sensiblen Balanceakt darstellt, weist auf zukünftige Entwicklungen der Bewegung hin.

interface (Hrsg.): WiderstandsBewegungen. Antirassismus zwischen Alltag & Aktion, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2005, 407 Seiten, 19,80 Euro