Nach einem Besuch bei ihrer Schwester im Stadtteil Mariló nordwestlich von Buenos Aires wurde die damals 42-jährige Higui – so der Spitzname der fußballbegeisterten Torhüterin, nach dem bekannten kolumbianischen Torwart René Higuita – von einer Gruppe von mindestens acht Männern überfallen, die sie schon vorher bedroht hatten. Sie hatte selbst in diesem Stadtteil gewohnt, war jedoch wegen der lesbenfeindlichen Übergriffe weggezogen. Higui hatte ein Messer in der Tasche, und als einer der Vergewaltiger bereits auf ihr lag, rammte sie es ihm in die Brust. Der Stich war tödlich. Die übrigen Männer schlugen und traten weiter auf sie ein, bis sie bewusstlos war.
Sogenannte „korrektive Vergewaltigungen“, mit denen Männer es LGBTI* „mal so richtig zeigen“, ihnen ihre dissidente Identität austreiben und heteronormative Sexualität aufzwingen wollen, gehören in Argentinien zur üblichen Männergewalt, die für die Angegriffenen immer wieder tödlich endet. Viele dieser Vergewaltigungen werden aus Scham nicht angezeigt. Selbstjustiz ist gesellschaftlich gut angesehen, wenn Männer ihr Eigentum verteidigen. Anders sieht es bei der Selbstverteidigung von Frauen aus, besonders wenn sie auch noch lesbisch und arm sind. So passierte auch bei Higui zunächst das Übliche: Trotz ihrer Verletzungen und zerrissener Unterwäsche glaubten die Polizisten die Version der Männer, dass es keine Vergewaltigung gegeben habe. Higui kam in den Knast, gegen die Männer wurde noch nicht einmal ermittelt. Aber eine große Kampagne der feministischen Bewegungen für Higuis Freilassung konnte das Blatt wenden.
Auch der Prozess, der nach einer Verschiebung nun mehr als fünf Jahre später in San Martín in der Provinz Buenos Aires stattfand, war von großen Mobilisierungen begleitet. Das Gericht wollte lieber keine Öffentlichkeit und tagte in einem winzigen Verhandlungsraum. Aber dank der Kampagne war das Interesse der Öffentlichkeit groß. Auch Vertreter*innen verschiedener Ministerien waren gekommen, mussten sich aber wegen der nur 15 vorhandenen Plätze für das Publikum abwechseln. Vor dem Gericht waren an allen drei Verhandlungstagen die Unterstützer*innen präsent, mit Kundgebungen, Trommeln, offenem Radio, Volksküche, Selbstverteidigungstrainings und Performances.
Die Anwältin von Higui wies auf die frauenfeindliche Ermittlung hin. Entscheidend würde in dem Prozess sein, ob das Gericht anerkenne, dass die Tat ein Akt der Selbstverteidigung gegen einen lesbenfeindlichen Angriff gewesen sei. Hilfreich war hier die Aussage der Polizistin, die am Ort des Geschehens gewesen war und später auf der Wache mit Higui zu tun hatte. Sie berichtete, dass diese viele Verletzungen von Schlägen hatte und dass sie immer wieder nach ihr geschaut hätten, um sicherzustellen, dass sie nicht kollabierte. Damit bestätigte sie Higuis Version der Ereignisse.
Der Prozess war auf vier Verhandlungstage angesetzt, am 22. März sollte die Urteilsverkündung sein. Aber schon am dritten Verhandlungstag zog das Gericht die Plädoyers vor und es zeichnete sich ab, dass das Urteil noch an diesem Tag fallen könnte. Aktivist*innen halten das vorgezogene Ende des Prozesses für ein Manöver, um die für den 22. März geplante große Mobilisierung, zu der sich auch Bands wie die Kumbia Queers angesagt hatten, zu vermeiden. Aber auch so kurzfristig kamen noch Hunderte nach San Martín und bereiteten Higui beim Verlassen des Gerichtes einen grandiosen Empfang.
Higui ist in großer Armut aufgewachsen. Schon mit acht Jahren musste sie arbeiten, hat geputzt, Hunde ausgeführt, auf Kinder aufgepasst, später in einer Fabrik gearbeitet. Zu feministischen oder politischen Gruppen hatte sie keinen Kontakt. Nun wurde sie zur Vorkämpferin für ein Urteil, das klarstellt, dass Selbstverteidigung kein Delikt ist. In ihrer Dankesrede vor dem Gericht sagte sie, dass sie das ohne die Solidarität nie durchgehalten hätte, und rief zur Unterstützung der anderen Opfer des Systems auf.