Immer weniger Menschen engagieren sich aus Liebe zur Natur

Warum ist die Tucabaca-Region so wichtig für die Biodiversität?

Tucabaca ist eine Wasserfabrik für die ganze sehr trockene Region und darüber hinaus eine wichtige Wasserquelle für das bolivianische Pantanal. Der Gebirgszug ist 150 Kilometer lang. Er besteht aus einem porösen Gestein, das in der Regenzeit Wasser speichert und den Rest des Jahres über ein System von zwölf kleinen Flüssen und zahlreichen Bächen wieder abgibt. Das wird von einer spezifischen Vegetation unterstützt. Diese Verbindung von Wasserreichtum und landschaftlicher Schönheit macht die Region auch touristisch sehr interessant. Hinzu kommen um die 60 Stätten mit prähistorischen Felsmalereien. Nirgendwo in Santa Cruz gibt es so viele archäologische Funde. Diese mindestens 3000 Jahre alten Kulturen siedelten sich in der Nähe von Wasserquellen an, der zivilisatorische Korridor ging vom heutigen Brasilien bis nach Peru. Nur wenige Kilometer südlich fängt bereits der Chaco an, weiter im Norden der amazonische Tropenwald und dazwischen der Trockenwald. Dies führt zu der hohen Artenvielfalt, die immer noch nicht komplett erforscht ist. Die Universität von Oxford hat allein auf dem Gebirgszug 35 Pflanzen identifiziert, die es nirgendwo sonst auf der Erde gibt. Die ansässige Bevölkerung ist sich der Schönheit bewusst, aber darüber, wie man dieses enorme Potenzial nutzen könnte, gibt es wenig Klarheit.

Welche Bedrohungen gibt es?

Naturschutzgebiete werden gewöhnlich von ortsfremden Experten geschaffen, je nach Bedarf, aber auch nach verfügbaren Finanzen. Im Tucabaca kam die Initiative aus der Bevölkerung selbst. Man engagierte Promotor*innen, um die Potenziale des Parks bekannt zu machen. Aber dann kam die Entwicklung. Zum Beispiel brauchte man von San Matías nach Roboré früher eine Woche auf einem Pfad mit Pferd, Fahrrad oder vielleicht Motorrad. Dann wurde die Überlandstraße nach Brasilien gebaut, 150 Kilometer mitten durch das Naturschutzgebiet. Mit jeder Verbesserung der Verkehrsverbindungen kommen Gefahren. Jäger dringen immer weiter in den Wald ein. Wenn sie auf eine Rotte von 100 Wildschweinen treffen, erschießen sie 20 davon, obwohl sie für die eigene Ernährung nur eines bräuchten. Sie benutzen Präzisionswaffen und Scheinwerfer, die eine Flucht erschweren. Das sind keine armen Bauern, sondern reiche Leute, sogenannte Sportschützen, die mit dem eigenen Allradfahrzeug kommen. Und niemand würde 50 Kilometer auf dem Fahrrad mit einer Motorsäge zurücklegen, mit dem Auto schon oder einem Lastwagen, der das Holz abtransportieren kann. Keiner sonst ist dort, man nimmt es einfach mit, ohne eine Genehmigung einzuholen oder Steuern zu zahlen. Die Holzpiraterie ist einer der wichtigsten Faktoren der Entwaldung.

Welche Dimension hat die Abholzung?

Das Problem betrifft die ganze Chiquitanía. Im Norden um San Ignacio herum ist es sehr groß. Aber wenn man von San José Richtung Osten nach Roboré kommt, merkt man, dass letzteres noch viel grüner ist. Vom Ausblick in Santiago kann man die Straße im Tal von Tucabaca erkennen. Rechts ist das Naturschutzgebiet, das überall grün ist. Erst in der Trockenzeit wird es weniger grün. Aber links der Straße erkennt man, dass sich der Waldbestand verändert hat. Wenn man hinein geht, hat man noch das Gefühl, richtig im Wald zu sein. Aber die Cedrela lilloil, Palisander- oder amerikanische Eichenbäume, sind praktisch verschwunden. Zwar fällen die angestammten Dorfgemeinden Bäume zur Deckung ihrer Lebenskosten. Aber es gibt eine Holzmafia. Und außerhalb des Naturschutzgebietes sind Flächen von 2000 bis 3000 Hektar für landwirtschaftliche Nutzung komplett abgeholzt worden. Statt sich um die Erhaltung der Fruchtbarkeit dieser Böden zu kümmern, zieht man nach fünf oder sechs Jahren weiter und entwaldet weitere Flächen. Die Folge: Flüsse und Bäche führen weniger Wasser und es kommt zu den verheerenden Waldbränden.

Wer rodet diese Flächen?

Das kann nicht an einer Gruppe festgemacht werden. Eine Siedlerfamilie braucht vielleicht fünf Hektar Boden. Aber bei 1000 Familien macht das eine Menge aus. Später wird ein Zwischenhändler das Land aufkaufen und an einen Agrarbetrieb veräußern. Es gibt hier eine explizite politische Strategie der Regierung zur Landnahme. Diese Siedler aus dem Hochland bekommen legal Land zugesprochen, von wo aus sie aber auch Tätigkeiten wie Holzpiraterie ausüben oder weiteres Land illegal in Beschlag nehmen. „Warum hat dieser Agrarbetrieb 1000 Hektar Land?“, fragen sie und besetzen die Hälfte davon.

Hier in Roboré haben wir das mit dem Parkmanagement-Komitee stoppen können. Da der Park kein umzäuntes Gelände ist, bräuchten wir sehr viele Waldhüter*innen. Selbst mit internationaler Hilfe würden die Mittel nicht reichen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Bevölkerung vor Ort selbst Verantwortung übernommen hat. Man hat das Umweltbewusstsein geschärft und aus Vertreter*innen der unterschiedlichen Institutionen und Verbände das Management-Komitee gebildet: Bürgermeisteramt, Regionalregierung, Viehzüchtervereinigung, Wasserkooperative, Vertreter*innen der indigenen und der Kleinbauerngemeinden.

Haben sich die Siedler*innen aus dem Hochland auch beteiligt?

Bislang nicht. Tatsächlich sind sie die Hauptverantwortlichen für illegale Landnahmen. Sie interessieren sich nicht für die Natur und kennen sich nicht mit dem hiesigen Ökosystem aus. Bei vielen Siedlern gibt es berechtigte Zweifel, ob sie das Land wirklich haben wollen, um es zu bearbeiten, oder ob sie später mit dem Weiterverkauf Geschäfte machen wollen. Hier gab es eine solche Ansiedlung, bei der das Land auf 40 Familien aufgeteilt wurde. Die Beantragung der Landtitel beim Agrarreforminstitut dauerte ewig. Es war heiß, es fehlte Wasser, dann kamen die Stechmücken. Eine Familie nach der anderen ging wieder weg. Schließlich blieben zwei Personen, die sich für ein paar Euro die 1500 Hektar der anderen aneigneten, die Bäume fällten, das Holz verkauften und das Land anschließend an einen Viehzüchter weiter veräußerten.

Um sich womöglich anderswo erneut um eine Landzuteilung zu bewerben. Braucht man dafür nicht zunächst Kapital?

Das bekommen sie zum Beispiel, indem sie Nutzungsrechte an eine Holzfirma verkaufen. Für die Leute aus dem Hochland ist es einfach, Land tituliert zu bekommen. Ganz im Gegensatz zu den ansässigen Familien, die vielleicht für ihre Kinder etwas mehr Land benötigen. Es ist ungerecht, dass diejenigen, die mit der Regierungspartei verbandelt sind, bevorzugt werden, und die anderen leer ausgehen.

Wie hat es das Management-Komitee geschafft, die Landnahmen in Roboré zu stoppen?

Das hat mit dem Engagement der beteiligten Personen zu tun. Sobald eine Institution geschaffen wird, droht gewöhnlich die parteipolitische Vereinnahmung. Aber dieses Komitee wurde nur zur Verteidigung des Tucabaca gegründet. Beteiligt waren Mitarbeiter*innen des Staates und Mitglieder der Zivilgesellschaft, aber ohne parteipolitische Einflussnahme oder arbeitsrechtliche Hierarchien. Jeder und jede konnte sagen, was er oder sie wollte.

Als die Siedler 2011 in den Naturpark einzudringen versuchten, haben wir die Regierung aufgefordert, einzuschreiten. Schließlich handelt es sich um ein geschütztes Territorium, das vom Landreforminstitut nicht zur Besiedlung freigegeben werden kann. Aber die Regierung hat uns nicht ernst genommen. Kein einziger Brief wurde beantwortet. Darauf haben wir die Überlandstraße nach Brasilien blockiert. Der Landwirtschaftsminister, der Vizeminister des Wasserministeriums und das Landreforminstitut mussten kommen. Sie waren von anderen Blockaden gewohnt, eine lange Liste mit Forderungen präsentiert zu bekommen. Zu ihrer Überraschung war die einzige Forderung so vieler versammelter Menschen, den Naturschutzpark zu respektieren. Das war zur Zeit des TIPNIS-Konfliktes (um den Straßenbau durch das indigene und Naturschutzgebiet Isiboro Sécure, siehe ila 350). Wir waren also nicht ganz alleine. Auch die Presse spielte eine wichtige Rolle. So mussten sie nachgeben. Später hat es das Komitee selbst übernommen, Landbesetzer*innen aufzufordern, zu gehen und notfalls deren bereits aufgestellte Pfosten umzustoßen.

Häufig kommen Landbesetzer*innen mit offiziellen Genehmigungen der Agrarreformbehörde.

Das macht es nicht einfacher. Aber die Mitglieder des Komitees sind sehr engagiert. Einer der größten Erfolge war es, das Eindringen der Bergwerksunternehmen zu verhindern, denn Bergbau verträgt sich nicht mit dem Schutz der Wasserressourcen. Insgesamt waren es vier Unternehmen. SIDERESTE schaffte es sogar, indem die Bewohner*innen von Naranjo zu Schnaps eingeladen und ihnen versprochen wurde, dass ihnen der Bergbau noch bis in die dritte Generation hinein Reichtum bringen würde. Sie durften also loslegen. Wir haben kontrolliert, dass sie wenigstens die Normen erfüllen. Es ging um Eisen und Mangan für den Export nach China. Aber dann haben sie Fristen nicht eingehalten und den Liefervertrag verloren. In allen anderen Fällen gab es in den öffentlichen Befragungen stets ein „Nein“ zum Bergbau. Die Leute wurden gefragt, ob sie Wasser und Tourismus oder die Versprechen eines Bergwerksunternehmens wollen. Leider ist das Komitee inzwischen nicht mehr richtig aktiv. Es gab politische Intrigen, Leute haben gewechselt. Trotzdem gab es wieder eine heftige Protestbewegung gegen Pläne des Unternehmens MINCRUZ, das die im Naturschutzgebiet von San Matías im Norden zu fördernden Rohstoffe über unsere Region transportieren will.

Roboré ist als Garnisonsstadt nicht dafür bekannt, traditionell oder indigen geprägt zu sein.

Es ist auch keines der Munizipien, die bereits unter Wassermangel leiden. Vielleicht ist der Wasserreichtum aber gerade das, was die Menschen so mobilisiert und stark gemacht hat. In den Schulen war dafür sensibilisiert worden, dass das Wasser geschützt werden muss. Zuhause haben die Kinder ihre Eltern gewarnt, dass die Wassermengen zurückgingen.

Das Hauptproblem war, dass die Bevölkerung nicht über Entscheidungen informiert war, die sie betrafen. Also sorgte das Komitee dafür, dass sie diese Informationen bekamen. Als die Amtszeit der ersten Komiteepräsidentin zu Ende ging, gab es ein an den Haaren herbeigezogenes Gerichtsverfahren gegen sie.

Hat es mit der Ausbeutung der Bodenschätze zu tun, etwa dass ein Verwandter des damaligen Vizepräsidenten Alvaro García Linera auf irregulärem Weg eine illegale Goldkonzession im Kanton Santiago erworben hatte?

Man weiß nie genau, wer hinter den Firmen steckt, da wird viel mit Strohmännern gearbeitet. Lange Zeit war Minister Quintana Direktor der ADEMAF, der Agentur für die Entwicklung der Grenzregionen. Viele seiner Vorhaben konnten gestoppt werden. Mit dem Vizepräsidenten trafen wir noch auf eine höhere Hierarchiestufe. Die Präsidentin des Parkmanagement-Komitees hat ein Hotel in Santiago. Laut Anklage hieß es, dass das beim Bau verwendete Holz nicht legal erworben worden sei. Sie versuchten, ihre Besitztümer zu pfänden. Zoyla Zeballos, ihre Nachfolgerin, erlebte Ähnliches. Sie hat es geschafft, die Menschen auf die Beine zu bringen. Als sie nach Peru zu einem Kurs zu Konfliktlösung fahren wollte, wurde sie aus dem Flugzeug geholt, weil gegen sie eine Anzeige vorliege. Leider ziehen viele ihre Unterstützung zurück, wenn die Situation kritisch wird. Nicht ohne Grund. Als wir das letzte Mal die Überlandstraße blockierten, kam die Polizei und suchte nach den Anführer*innen, um sie mitzunehmen.

Woher kommt Ihre eigene Motivation? Üblicherweise bekommen Leute wie Sie Geld- oder Stellenangebote, damit sie sich vom Protest zurückziehen.

Das ist eine Frage der Überzeugung. Wir sind ein einziger Plurinationaler Staat, aber kulturell sehr unterschiedlich. Wenn die Leute aus dem Hochland ihre Kultur überall hinbringen und den anderen überstülpen wollen, dann wollen wir nicht, dass unsere eigene Chiquitano-Kultur verlorengeht. Auch dafür haben wir gekämpft. Wenn mir die anderen etwas Besseres anbieten wollen, gerne, aber nicht auf Kosten meiner eigenen Kultur. Man könnte so viel tun, um das zu bewahren, was wir noch haben. Dafür muss man die Natur schätzen. Man schätzt aber nur das, was man kennt. Der Parteienstreit um die Macht lenkt die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ab, vom vorherrschenden extraktivistischen Entwicklungsmodell. Bolivien ist materiell arm, aber reich an natürlichen Ressourcen, die wir nicht so zu nutzen wissen, dass die materielle Armut verringert wird, ohne den kulturellen und natürlichen Reichtum zu gefährden. Die Machtkonflikte sorgen vielmehr dafür, dass der Egoist in unserer Gesellschaft die meisten Vorteile hat: Ich nutze meine Position, um in den nächsten Jahren so viel wie möglich für mich herauszuholen, egal, was danach kommt. Immer weniger Leute engagieren sich aus Liebe zur Natur. Aber genau diese Leute sprechen offen das aus, was gesagt werden muss.