Importierte Fürsorge zu Dumpingpreisen

Vor 20 Jahren war die Tätigkeit als Aupairmädchen für europäische Mittelschichtstöchter eine Gelegenheit, ins Ausland zu gehen und Fremdsprachen zu lernen, ohne teure Sprachkurse bezahlen zu müssen. Dass dabei die Töchter aus – meist – gutem Hause in die hohe Kunst eingeführt wurden, Haushaltstätigkeiten und Kinderbetreuung gegen ein Taschengeld klaglos zu erfüllen, war ein gewollter Nebeneffekt. Die Zeiten haben sich geändert. Doch nicht in der Hinsicht, dass die weibliche Zuständigkeit für Kinder und Küche ernsthaft in Frage gestellt würde oder dass (europäische) Männer signifikant mehr Zeit mit Reproduktionsarbeit verbringen würden. Davon kann bei weitem nicht die Rede sein. Ende Februar wurden neue Zahlen der EU-Kommission veröffentlicht, die belegen, dass Frauen im EU-Durchschnitt 25 Stunden wöchentlich im Haushalt arbeiten, die Herren der Schöpfung hingegen nur sechs. Doch dank Emanzipation und guter Ausbildung machen immer mehr Frauen Karriere. Wie gut, dass es da Haushaltshilfen gibt, die den Laden schmeißen. Das sind in erster Linie wieder Frauen, meist aus den armen Ländern des globalisierten Südens oder Ostens. Womit wir auf die Aupairs zurückkommen. Heutzutage ist die Tätigkeit als Aupair eine der wenigen verbleibenden Möglichkeiten für Frauen aus Lateinamerika, Afrika oder Osteuropa, um in Westeuropa arbeiten zu können, und zwar legal – allerdings auf ein Jahr befristet.

Ana S. aus Peru wollte als Aupair in Deutschland Geld verdienen, um ihre Kinder, die sie zurücklassen musste, zu versorgen und ein kleines Haus zu bauen. Der Film Mit einem Lächeln auf den Lippen von Anne Frisius erzählt ihre Geschichte. Zuvor hatte Ana als Haushaltshilfe in Chile gearbeitet. Die Arbeitsbedingungen in einem Hamburger Haushalt würden bestimmt ähnlich sein. Dachte sie sich. 
Sie landet in einem gutsituierten Blankeneser Haushalt, mit zwei kleinen Kindern und einem Hund. 500 Dollar monatlich waren vorab ausgemacht worden. Dafür muss sie häufig von 6:30 bis 20:00 Uhr arbeiten, von Montag bis Sonntag. Im Schnitt mindestens zehn Stunden täglich, zu einem Stundenlohn von etwa einem Euro. 

Als sie nach einem Jahr zurück will, auch weil sie ihre eigenen Kinder vermisst, sagen ihre deutschen Arbeitgeber, das sei rücksichtslos gegenüber den von ihr betreuten Kindern. Außerdem sei sie doch mittlerweile ein Teil der Familie. Niemand könne sie ersetzen. Sie bleibt. Ihr legaler Aufenthalt ist mittlerweile abgelaufen. Da sie niemanden kennt und sich sehr einsam fühlt, konzentriert sie sich auf die Kinder. „Sie sind der Ersatz für meine Kinder und für mein Leben.“ Ihre Chefin verlangt von ihr, immer ein Lächeln auf den Lippen zu haben, auch wenn sie nur fünf Stunden geschlafen hat. 39 Monate lang lebt sie in dieser Situation, isoliert, emotional manipuliert und ausgebeutet. Sie verliert ihr Zeitgefühl, da sie jeden Tag arbeitet. „Ich habe mich selbst nicht mehr gespürt“, meint sie über diese Zeit. Als die Familienangehörigen in der Ferne stutzig werden, dass sie nur so wenig verdient, fragt sie bei ihren Arbeitgebern nach. „Wer weiß, was diese anderen Frauen für eine Arbeit machen, wenn sie sagen, sie würden acht Euro in der Stunde verdienen. So viel verdient man hier nicht. Vielleicht verdienen sie so viel, weil sie Auto fahren können und gut Deutsch sprechen.“

Zufällig lernt Ana S. eine Frau im Park kennen. Sie freunden sich an. Schnell erkennt die neue Freundin, dass Ana in einem katastrophal ausbeuterischen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnis steckt. Mit ihrer Unterstützung verlässt Ana endlich den Haushalt. Außerdem kennt sie die richtigen Leute in Beratungsstellen und antirassistischen Initiativen, so dass Anas Geschichte eine beispiellose Wendung nimmt: Ana S. tritt bei ver.di ein und mit Unterstützung der Gewerkschaft klagt sie vor dem Arbeitsgericht auf 47 000 Euro Lohnnachzahlung. Die emotionale Verstrickung, die sie während ihrer Zeit bei der Familie beherrschte, wirkt weiter fort. Bei der Verhandlung kann Ana ihren ehemaligen Arbeitgebern kaum in die Augen schauen. Die sind mit zwei Anwälten erschienen und beharren darauf, dass es sich doch um eine „familiäre Angelegenheit“ handeln würde. Die Richterin folgt dieser Argumentation und schlägt eine Mediation vor. Obwohl Ana gerne weiter kämpfen würde, lässt sie sich schließlich darauf ein. Wenn sie sich nicht in einer aufenthaltsrechtlich so prekären Situation befinden würde, hätte sie „bis zum Schluss weitergemacht“. 

Letztlich kann Ana S. einen fünfstelligen Betrag herausschlagen – ein Teilerfolg. Der wesentliche Punkt, dass es sich um eine arbeitsrechtliche und somit politische Auseinandersetzung handelt, hat das Gericht versucht unter den Tisch zu kehren. Doch Anas UnterstützerInnen und ProzessbeobachterInnen sehen Anas Kampf als politischen Präzedenzfall. Zum ersten Mal hat eine Hausangestellte ohne Papiere – die als schwer erreichbar und organisierbar gelten – vor einem deutschen Arbeitsgericht ihren ausstehenden Arbeitslohn eingeklagt. Mittlerweile gibt es in Hamburg – und ab diesem März auch in Berlin – eine reguläre arbeitsrechtliche Anlaufstelle bei ver.di für undokumentierte ArbeiterInnen. 

Anne Frisius’ Film konzentriert sich auf das Wesentliche. Überwiegend kommen Erzählsequenzen zum Einsatz, in denen die himmelschreiende Ausbeutungsgeschichte von Ana S. sowie der anschließende politische Kampf dargestellt werden. In Hamburg und Berlin ist der Film bereits gezeigt worden, weitere Festivals und Veranstaltungen sollen folgen. 

Anne Frisius in Zusammenarbeit mit Nadja Damm und Mónica Orjeda, Mit einem Lächeln auf den Lippen, 57 min. span., dt. Ut., Berlin/Hamburg 2008