Wie Manuel betrachten Menschen in Guatemala, El Salvador und Honduras die Migration mehr und mehr als Alternative, da ihnen ihre Herkunftsländer keine angemessene Arbeits- und Lebensperspektive bieten können. In den USA herrscht dagegen eine große Nachfrage nach unqualifizierten Arbeitskräften aus Mexico und Zentralamerika. Die USA leugnen jedoch mit ihrer restriktiven Migrationspolitik die transnationalen Beziehungen zwischen den Ländern. Die Südgrenze der USA wurde ab 1993 zur militarisiertesten Grenze der Welt hochgerüstet. Doch diese Grenze ist äußerst porös; täglich schaffen es schätzungsweise 4000 Menschen, sie erfolgreich zu überwinden. Dies veranlasste die USA dazu, Mexico zu einer gemeinsamen Sicherheitspolitik anzuhalten. Mexico versucht im Gegenzug zu kontrollpolitischen Maßnahmen gegenüber zentralamerikanischen MigrantInnen eigene Interessen durchzusetzen und bspw. Gastarbeiterprogramme für die eigenen StaatsbürgerInnen auszuhandeln, die mit ihren Geldsendungen aus den USA einen entscheidenden Beitrag zur mexicanischen Wirtschaft liefern. Im Rahmen des Programms der euphemistisch benannten Repatriación Segura, der „Sicheren Wiederbeheimatung“, werden MigrantInnen durch Mexico nach Zentralamerika zurückgeschoben. Die USA sowie die International Organization for Migration (IOM), die im gesamten regionalen Prozess der Verschärfung von Migrationskontrolle eine entscheidende Rolle spielt, finanzieren dieses Programm. Im Jahr 2004 schob Mexico über 200 000 Menschen ab. Der mexicanische Soziologe Juan Manuel Sandoval urteilt scharfzüngig, dass damit el trabajo sucio – „die Schmutzarbeit“ – von den USA an Mexico abgegeben wurde.
Insgesamt existieren 41 Abschiebestationen und -gefängnisse in Mexico. Undokumentierte MigrantInnen werden im gesamten Staatsgebiet verhaftet und anschließend von Abschiebestation zu Abschiebestation in den Süden gebracht; bis in das große Gefängnis von Tapachula an der Grenze zu Guatemala. So verbringen die meisten MigrantInnen Tage und Wochen im Knast. Im Abschiebegefängnis in Tapachula befinden sich laut dem örtlichen Menschenrechtszentrum Fray Matías de Córdova ständig rund 450 Personen, manchmal sogar 700 Menschen. Das Instituto Nacional de Migración (INM), die mexicanische Migrationspolizei, gibt als Kapazität des Zentrums 150 Personen an; es herrscht also eine absolute Überbelegung mit unerträglichen hygienischen Zuständen. Es gibt nur ein Klo außerhalb der Zellen und keine Duschen, nicht einmal die Möglichkeit sich die Hände zu waschen. Ana Isabel Soto Ramírez, Geschäftsführerin des Menschenrechtszentrums, äußert die Befürchtung, dass sich Seuchen ausbreiten könnten, zumal die eingesperrten MigrantInnen tagelang zwischen Urin und Exkrementen in den Zellen zubringen, wo sie auch das selten bereitgestellte Essen einnehmen. Ein Arzt ist nur sporadisch im Einsatz. Fermina Rodríguez, eine weitere Mitarbeiterin des Menschenrechtszentrums, berichtet von der Krankenstation im Abschiebegefängnis: „Das einzige Medikament ist Paracetamol, als Behandlungsliege dient ein alter Schreibtisch, über den eine Decke gelegt wurde.“ Sie erzählt vom Fall der Honduranerin María S., die mit Schmerzen im Unterleib um eine Untersuchung bat, diese aber verwehrt bekam. Selbst als sie bewusstlos wurde, betreute man sie nicht. Das einzige, was ihre mitreisende Nichte tun konnte, war ihr eine Tasse Tee zu beschaffen. María S. ist nicht die einzige, die in den überfüllten Zellen in Ohnmacht fällt. Für das tropisch-feuchte Klima der Region ist weder die Versorgung mit Trinkwasser noch die Luftzirkulation ausreichend. Die meisten Personen schlafen auf dem Betonboden.
Doch MigrantInnen sind in Haft nicht nur einem Mangel an Betten und Toiletten ausgesetzt. Zu diesen strukturellen Menschenrechtsverletzungen kommen vielfach Misshandlungen durch BeamtInnen des INM. Ana Isabel Soto Ramírez gibt an, dass MigrantInnen während ihres Aufenthaltes in Einrichtungen des INM beraubt, bedroht, willkürlich festgehalten und geschlagen werden. Viele Angehörige der Migrationspolizei sehen in ihrem Job in erster Linie die Möglichkeit, ihre kargen Löhne durch Bestechungsgelder aufzubessern sowie sexuelle Dienste von festgenommenen Migrantinnen zu erpressen. Selten werden Übergriffe zur Anzeige gebracht, so wie im Fall von Luis C., der Ende 2001 durch Schläge und Tritte von Beamten des INM drei Zähne verlor und neben zahlreichen Hämatomen am Körper eine Platzwunde am Kopf zugefügt bekam. Danach wurde er ohne ärztliche Versorgung zwei Tage lang in eine Einzelzelle gesperrt. Nach rückwirkenden Einsprüchen und Anzeigen wurde der Hauptbeteiligte und verantwortliche INM-Funktionär Adrián Pérez Leal schließlich von seinem Posten suspendiert; allerdings lediglich für drei Monate. Im April 2003 kam es erneut zu einer Anzeige gegen seine Mitarbeiter wegen eines gewalttätigen Übergriffs gegen eine festgenommene Migrantin. Die Straflosigkeit der Funktionäre des INM trägt laut dem NGO-Netzwerk Foro Migraciones entschieden zur rechtlosen Situation von MigrantInnen bei. So resümierte das Foro Migraciones in seinem 2003 erschienenen Bericht: „In Mexico ist die Situation von Migranten in Haft von schweren Menschenrechtsverletzungen bestimmt. Diese sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines systemimmanenten Problems.”
In den letzten Jahren hat ein neues Phänomen in den mexicanischen Abschiebegefängnissen an Bedeutung gewonnen: Immer mehr Kinder und Jugendliche finden sich in den Haftanstalten wieder. Wenn MigrantInnen keine Papiere bei sich tragen, die sie als Familienangehörige ausweisen, wird ihnen grundlegend unterstellt, die mitreisenden Kinder zu schmuggeln, und sie werden von ihnen getrennt. So sitzen viele Kinder ohne ihre Eltern in Abschiebehaft und ausgerechnet sie müssen meistens am längsten in dieser verlorenen und isolierten Situation ausharren. Denn laut Gesetz muss sie bei der Abschiebung in ihr Herkunftsland ein Familienangehöriger in Empfang nehmen. Dies kann ein schwieriges Unterfangen sein, wenn sich ihre Familie irgendwo in der Migration zwischen den Herkunftsländern, Mexico und den USA bewegt. Viele Kinder besitzen nicht mal eine Telefonnummer, um jemanden kontaktieren zu können.
Auch Guatemala als südliches Nachbarland Mexicos wird mehr und mehr in die US-amerikanische Migrationspolitik eingebunden und bekommt die Rolle des „Auffanglagers“ zugewiesen. Denn auch MigrantInnen und Flüchtlinge aus der ganzen Welt nutzen die Route über Mexico, um in die Vereinigten Staaten zu gelangen. In den Abschiebestationen finden sich Personen aus Pakistan, Sierra Leone, Somalia und anderen Ländern der Welt wieder, die meist schon ein Jahr unterwegs sind. Sie werden von den US-amerikanischen und mexicanischen Behörden bis nach Guatemala abgeschoben. Der guatemaltekische Staat empfängt Gelder aus den USA für eine weitere Abschiebung bis in die Herkunftsländer, aber diese sind meist nicht ausreichend, so dass viele Flüchtlinge und MigrantInnen wochenlang in sog. albergues – „Herbergen“ – eingesperrt werden. Jessica Solano Divas von der Procuraduría de Derechos Humanos berichtet sogar von einigen MigrantInnen, die sechs Monate lang festgehalten wurde. Sie spricht von menschenunwürdigen Bedingungen in den albergues, die trotz ihres euphemistisch gewählten Namens nichts anderes sind als behelfsmäßige Gefängnisse. Die Nahrungs- und Wasserversorgung ist nicht ausreichend, es gibt keine Betten, keine ausreichende Belüftung, die sanitären Anlagen befinden sich in einem unzumutbaren Zustand; grundlegende Hygieneartikel wie Klopapier, Seife und Zahnbürsten gibt es nicht, obwohl viele Menschen chronisch unter Infektionskrankheiten leiden. Das Aufsichtspersonal, das von privaten Sicherheitskräften angestellt wird, kann vollkommen willkürlich mit den hier festgesetzten Personen agieren.
Kanubhai Shankards Patel, ein indischer Migrant, brachte sich im Dezember 2001 aufgrund dieser prekären Situation um. Die Dirección General de Migración, die von Regierungsseite für die Abschiebegefängnisse zuständig ist, weist jede Verantwortung von sich, da die albergues von den Vereinigten Staaten finanziert und in gewisser Weise auch organisiert werden. Immer wieder werden Forderungen von Menschenrechtsorganisationen laut, die Abschiebegefängnisse in Guatemala zu schließen oder wenigstens die Situation der Menschen in Haft zu verbessern, aber bisher mit wenig Erfolg.
In Mexico wurde aufgrund des zivilgesellschaftlichen Drucks schon im Jahr 2002 ein riesiges Gelände für einen neuen Abschiebeknast in Tapachula gekauft. Doch die MitarbeiterInnen des örtlichen Menschenrechtszentrums bleiben skeptisch. „Bauarbeiten wurden in den nächsten anderthalb Jahre keine durchgeführt. Der Erwerb des Terrains erscheint mehr als eine Beruhigung der Öffentlichkeit, dass angeblich Maßnahmen ergriffen würden, um die Situation der Migranten zu verbessern. Und das Reden von einer neuen ‚Modellstation’ bringt dem INM Tapachula natürlich enorme Summen für Extraausgaben.“ Insgesamt 12 Mio. mexicanische Pesos, ca. 1 200 000 US-Dollar, wurden für den Neubau veranschlagt. Dass sich trotz vieler Zusagen an der Situation von inhaftierten MigrantInnen nicht viel verändert hat, bestätigt auch die staatliche mexicanische Comisión Nacional de Derechos Humanos (CNDH) in ihrem gerade erschienenen Bericht, in dem sie konstatiert, dass „einige der Abschiebestationen in Mexico Zustände aufweisen, die eindeutig gegen die Würde und die fundamentalen Menschenrechte der eingesperrten Personen verstoßen“. Damit widersprach sie öffentlich dem aktuellen Report des UN-Sonderberichterstatters zu Menschenrechten von MigrantInnen, der „Fortschritte im Umgang mit Migranten in Mexico“ ausgemacht hatte.