Bei dem Titel „Solidarität mit Wallmapu“ denken wir wahrscheinlich zuerst an eine Erzählung über solidarische Menschen aus dem Globalen Norden. Sebastian Garbe macht eine andere Perspektive auf. In seinem gerade erschienenen Buch beschreibt er vor allem das transnationale Solidaritätsnetzwerk, das Mapuche in der Diaspora selbst aufgebaut haben. Anschließend stellt er von einem antirassistischen und dekolonialen Standpunkt aus kritische Fragen an die unterstützenden Nicht-Mapuche, um Möglichkeiten und Grenzen internationaler Solidarität auszuloten.
Eine Karte zeigt die Ausdehnung des Wallmapu, des historischen Gebietes der Mapuche. Vor der Kolonisierung reichte es vom Pazifik bis zum Atlantik, im heutigen Chile vom Fluss Copiapó im Norden bis zur Insel Chiloé, im heutigen Argentinien von der Linie Mendoza-Buenos Aires bis in die südlichen Provinzen Neuquén und Chubut. Mit heftigem militärischen Widerstand gelang es den Mapuche zunächst, ihre Autonomie gegenüber den Spaniern und dem chilenischen Staat zu verteidigen. Ihr Territorium wurde aber durch Vertreibungen immer weiter reduziert, und nach einer militärischen Niederlage 1883 wurden die Mapuche im unabhängigen Nationalstaat Chile zu einer kolonisierten Gesellschaft. Ihr Kampf um Land und Autonomie hält bis heute an.
Sebastian Garbe hat eine „aktivistische Ethnografie“ gemacht: eine Forschung in Zusammenarbeit mit Aktivist*innen, die auf Veränderung der sozialen Verhältnisse abzielt. Dafür hat der Soziologe zwischen 2014 und 2018 mit 17 Menschen aus der Solidaritätsszene in Europa (Mapuche und Nicht-Mapuche) Interviews geführt und auf zwei Reisen in Chile mit 33 Gesprächspartner*innen kritisch über die Solidarität diskutiert. Er selbst war dort als Menschenrechtsbeobachter tätig. Sein Interesse galt der „Solidarität zwischen Gruppen, die nicht die gleiche Betroffenheit aufweisen“ (S.15). Dabei machte er eine Entdeckung, die ihn selbst überraschte: die große Diaspora der Mapuche und ihre führende Rolle im Aufbau des transnationalen Solidaritätsnetzes. Er merkt selbstkritisch an, dass auch er – wie üblich – davon ausgegangen war, dass die internationale Solidarität mit den Mapuche eine Solidarität von nicht-indigenen Akteur*innen sei. Stattdessen stieß er auf ein „dezentrales und rhizomatisches Netzwerk“ (S.76), das Mapuche in der Diaspora „gewebt“ haben. Die Diktatur von Pinochet trieb viele von ihnen ab 1973 ins Exil. Ein Treffen von Exilant*innen in London 1978 legte den Grundstein für weitere Vernetzung, auch mit anderen indigenen Bewegungen. Eigene Medien wurden gegründet, analog und digital, zur Informationsverbreitung und zur Stärkung der eigenen Sprache Mapuzugun.
In der zweiten Hälfte des Buches beschäftigt sich Sebastian Garbe kritisch mit den solidarischen Unterstützer*innen. Ihr Aktivismus kann das Bild des Indigenen, der sich nicht selbst helfen kann, verstärken. Geldspenden können zu sozialen Spaltungen führen und paternalistische Strukturen fördern. Die eigenen Privilegien – weiß sein und weggehen können – werden oft nicht reflektiert. Manche betreiben „Maputhusiasmus“, einen romantisierenden und stereotypisierenden Blick auf die Mapuche-Kultur. Hier werden wichtige Fragen für die Solidaritätsbewegung aus dem Globalen Norden – nicht nur mit Wallmapu – aufgeworfen.
Leider ist dem Werk mit seiner akademischen Sprache und vielen Verweisen im Text auf Literatur und Quellen anzumerken, dass es ursprünglich als Doktorarbeit geschrieben wurde. Lesefluss und -vergnügen werden außerdem häufig durch fehlende oder doppelte Worte sowie teilweise sinnentstellende Schreib- und Grammatikfehler gestört. Das Thema hätte sprachlich eine bessere Behandlung verdient.
Für die Buchausgabe wurde noch ein Epilog zur aktuellen Lage hinzugefügt. Zum Aufstand im Oktober 2019 haben Mapuche einen wichtigen Beitrag geleistet. Ihre Fahne, die Wenufoye, wurde zum Symbol für den Widerstand in Chile. Die Hoffnung auf ein plurinationales und feministisches Chile wurde aber mit der Ablehnung des fortschrittlichen Verfassungsentwurfs 2022 erstmal zunichte gemacht, und auch die Hoffnung, dass der linke Präsident Boric eine weniger repressive Politik gegenüber den Mapuche betreiben würde, wurde enttäuscht. Trotzdem sieht Sebastian Garbe vor allem innerhalb der Mapuche-Gesellschaft positive Entwicklungen. Die Selbstidentifikation als Indigene steigt, sie haben soziokulturell an Boden gewonnen, und ihr Widerstand drängt auf Veränderung der Institutionen. Ein „befreites Wallmapu, das gemeinsam mit der chilenischen Gesellschaft gestaltet werden kann“ (S.197) ist weiterhin und gerade nach dem Aufstand von 2019 am Horizont sichtbar.