Indonesien: mörderische Blaupause für Lateinamerika

Im Mittelpunkt des Buches „Die Jakarta-Methode“ stehen Menschen, die zu den größten Verlierer*innen des 20. Jahrhunderts zählen. Menschen, die im Namen des Antikommunismus, im Namen der westlichen Werte verjagt, gefoltert und umgebracht wurden. Dem banalen Satz, dass die Geschichte von Siegern geschrieben wird, setzt Vincent Bevins die Geschichten der anderen entgegen. Eine Erzählung, die die brutalen Diktaturen beschreibt, die von den USA und dem Westen im Namen von Freiheit und Demokratie unterstützt wurden. Indonesien ist ein blutiges Exempel, das statuiert wurde, und zum Vorbild für eine ganze Reihe weiterer Massaker und Eingriffe in andere Staaten wurde. Trotzdem sind die Abläufe heute relativ unbekannt.

Dabei hatte die Geschichte des viertgrößten Landes der Welt mit Aufbruchsstimmung begonnen. Nachdem die Revolutionäre der indonesischen Nation die Holländer, die Japaner und dann wieder die Holländer losgeworden waren, gründete Präsident Sukarno das Land auf der Basis von Prinzipien, die sich aus den verschiedenen Ideologien des Landes herleiteten: Religion, Sozialismus, Nationalismus. Indonesien wollte einen eigenen Weg gehen und dabei als starke Stimme für den Süden sprechen. Zunächst hatte Sukarno dabei die USA auf seiner Seite: „Das außenpolitische Establishment unter US-Präsident Truman betrachtete Sukarnos aufstrebendes Indonesien als Musterbeispiel für eine antikoloniale Bewegung, die hinreichend antikommunistisch war. Und so wurde der Name seiner Hauptstadt, Jakarta, zum Symbol für den Grundsatz der Toleranz gegenüber neutralen Ländern der Dritten Welt.“

Doch das sollte sich bald ändern. 1955 drängte Sukarno auf die internationale Bühne. Mit der Asien-Afrika-Konferenz in Bandung versuchte er, die Länder des Südens zu vereinen, und leitete so die Gründung der Blockfreien Staaten ein (Brasilien saß zumindest als Beobachter mit am Tisch). Wurde das Selbstbewusstsein Sukarnos zunächst von den USA nur kritisch beäugt, kippte diese Haltung nach Bandung, und ein immer stärkerer Antikommunismus drängte sich in die Außenpolitik der USA. In Indonesien selbst entwickelte sich in der Zwischenzeit die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) zur Massenpartei und Präsident Sukarno änderte seine ablehnende Haltung gegenüber den Kommunist*innen. Außenpolitisch suchte er nun mehr Rückhalt bei der Sowjetunion. Ein undurchsichtiger Putsch, angeblich orchestriert von der PKI, wurde von General Suharto genutzt, um Sukarno zu entmachten – unterstützt von den USA. Es folgte ein Exzess der Gewalt, der die PKI und ihre Unterstützer*innen für immer vernichten sollte. „Die Jakarta-Methode“ erzählt die Geschichte dieser Gewalt, die zwar in Jakarta besonders heftig eingesetzt wurde, aber bei weitem nicht nur Indonesien betraf, sondern auch lateinamerikanische Staaten.

Der Autor Vincent Bevins landete eher zufällig als Auslandskorrespondent in Indonesien und erschrak, als er sich näher mit dem Massenmord an Mitgliedern und Sympathisant*innen der PKI beschäftigte. Einerseits im Alltag Indonesiens totgeschwiegen, sei der Konflikt dennoch omnipräsent. Bevins Ziel war es, ein Buch zu schreiben, das die Lücke zwischen historischen Aufarbeitungen und Populärliteratur schließt.

Seine Biografie liest sich wie die typische Laufbahn eines Elitestudenten, die sonst an der Wallstreet oder auf einem hochrangigen politischen Posten endet. Waterpolo-Spieler und dadurch Stipendiat an der Eliteuni Berkeley[fn]Ironischerweise wurden die Berater der indonesischen Militärdiktatur aufgrund ihres akademischen Hintergrundes als Berkeley Boys bezeichnet.[/fn], später London School of Economics, Auslandsaufenthalte in Berlin und São Paolo, dann Mitarbeit bei der Financial Times in London und später bei der Los Angeles Times. Und doch legt Bevins ein Buch vor, das schonungslos die Verbrechen während des Kalten Krieges aufarbeitet und den Finger in die Wunde legt, die zwar nicht mehr offen ist, aber auch nie richtig heilen konnte.

Die „Jakarta-Methode“ – so nennt Vincent Bevins das Schema, dem die Regierungen der USA und ihrer Verbündeten folgten: Ein linksgerichteter Präsident wird von rechten Generälen gestürzt, nachdem es zuvor einen kommunistischen Putsch gegeben haben soll. Es werden autoritäre Regime gebildet und Schauergeschichten über die Kommunist*innen verbreitet, die Jahr für Jahr wiederholt werden, um jegliche Opposition zu unterdrücken. Fast zeitgleich wurde diese Methode in Brasilien und Indonesien angewendet, 1964 und 1965. In Indonesien führte dieses Vorgehen zu Millionen von Toten. In Brasilien wurden, trotz Terrors, weniger Menschen ermordet. Indonesien, zuvor eine globale Stimme des Antiimperialismus mit der größten kommunistischen Partei außerhalb Chinas und Russlands, wurde zu einem halbwegs stillen Steigbügelhalter der USA. Und auch in Brasilien konsolidierte sich die Militärdiktatur, und die Entwicklung schlug einen ähnlichen Weg ein: „Beide Regime standen unter dem Einfluss der Modernisierungstheorie. Und beide Länder erfuhren ein Wirtschaftswachstum. Das kam zwar fast ausschließlich einer kleinen Elite zugute, aber die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts war das, was für ausländische Investoren zählte, und deren Gegenwart ließ sich wiederum als Erfolgsgeschichte verkaufen. Und hier wie dort hatten die Länder stabile Regierungen, zusammengesetzt aus lokalen Machthabern, die ihre Legitimität aus einer brasilianischen oder indonesischen Vergangenheit schöpfen konnten. So erschienen sie der eigenen Bevölkerung und der Welt nicht zu offensichtlich als Handlanger Washingtons.“ Während der Vietnamkrieg den meisten Menschen bekannt ist, wird über Indonesien fast gar nicht berichtet, obwohl hier ein wohl wichtigerer Sieg im Kalten Krieg erreicht wurde.

Der brasilianische Putsch hatte auch Einfluss auf das Machtverhältnis innerhalb Lateinamerikas. Außenpolitisch stützte Brasilien nun rechtsradikale Bewegungen und Diktatoren, wie Bevins anhand des Beispiels Chiles belegt. Dabei wird der Begriff „Jakarta“ zur Todesdrohung: „Operação Yakarta“, „Yakarta viene“, „Plan Jakarta“, alles Chiffren für den Plan, linksgerichtete Menschen massenhaft umzubringen. In Chile skandierten die faschistischen Gruppen „Yakarta viene“ (Jakarta kommt) oder sprühten es an die Häuser ihrer Gegner*innen.

Bevins Buch erzählt die Zusammenhänge der internationalen Anti­­kommunistischen Bewe­gung und welche Aus­wirkungen die unterschiedlichen Ereignisse aufeinander hatten: Guatemala, Ghana, Kuba, Vietnam, um nur ein paar der Schauplätze zu nennen, die Bevins anreißt. Dabei ist sein Stil anekdotenhaft, die „Jakarta-Methode“ gleicht einem – sehr brutalen und hoffnungslosen – Thriller. Bevins benennt die Zahlen, 500 000 bis eine Million (oder noch mehr) Ermordete in Indonesien. Die große Stärke des 400 Seiten langen Buches ist aber, dass es Protagonist*innen begleitet und ihre Lebensgeschichte erzählt. Da ist beispielsweise Francisca. 1926 geboren, durchlebt sie sowohl die Kolonialzeit der Holländer als auch die Besetzung Indonesiens durch Japan, ehe sie in den Niederlanden studiert. Zurück in Jakarta bewegt sie sich im Umfeld der PKI (der Kommunistischen Partei Indonesiens) und arbeitet für den Afro-Asiatischen Journalistenverband. Nach dem Putsch landet Francisca für vier Monate ohne Begründung im Gefängnis, bis ihr einflussreicher Vater es schafft, sie freizukaufen. Irgendwann wurde deutlich, dass ihr Mann, Journalist bei der PKI-Zeitung Harian Rakyat, nicht mehr auftauchen würde, vermutlich wurde er getötet. Francisca erfuhr gesellschaftliche Ächtung. 1968 floh sie in die Niederlande. Sie erfuhr überrumpelt, dass kommunistische und sozialdemokratische Parteien in Europa erlaubt waren, während man in Indonesien dafür umgebracht wurde – für sie ganz klar Rassismus. Das Buch endet mit ihrer Geschichte in Amsterdam. Sie ist mittlerweile über 90 Jahre alt und immer noch in Gruppen aktiv, die die Geschichte des indonesischen Massenmordes aufklären wollen.

Auch einige der Auftraggeber der Massenmorde werden von Bevins persönlich vorgestellt: allen voran Frank Wisner, der in Europa erfolglos versuchte, Albanien zu destabilisieren, ehe er die CIA gründete und Geheimoperationen auf der ganzen Welt durchführte. Während in Indonesien der Putsch tobte, nahm er sich das Leben. Seine Nachfolger führten indes seine Ideen in Indonesien weiter. Zeitweise lesen sich die gesammelten Anekdoten absurd. Vor dem Putsch wurde auf alle erdenklichen Weisen versucht, Sukarno zu delegitimieren, so weit, dass amerikanische Agenten einen Pornofilm drehten, der den Präsidenten in Verruf bringen sollte: Letztlich sah ihm das Double aber einfach nicht ähnlich genug.

Das traurige Ende des Buches beschreibt, wie Indonesien einst als ein Land voller Hoffnungen für einen eigenen Entwicklungsweg stand. Dieses Land ist für immer ausgelöscht. In seinen Interviews legt Bevins darauf Wert, dass die Menschen nicht nur nach ihrer Folter befragt werden. Auch wenn dies wichtig sei, so würde man dadurch vor allem die Heftigkeit kritisieren, aber nicht die grundlegende Möglichkeit, demokratisch gewählte Regierungen mit Gewalt in Diktaturen zu verwandeln. Stattdessen fragt er die Menschen nach ihren früheren Hoffnungen für Indonesien und wie viel davon übrig ist: fast nichts. Viele der Menschen beschreiben, dass das Indonesien, was damals ihre Heimat war, nicht mehr existiert. Dass die Personen, die diese Hoffnungen teilten, zumindest noch einmal gehört werden, dafür sorgt das Buch „Die Jakarta-Methode“.