Das Hauptargument des global city-Ansatzes ist, dass Globalisierungsprozesse zu einer neuen Form von Zentralität führen, in der sich eine bestimmte Anzahl von Städten als Knotenpunkte herauskristallisiert. Diese global cities sorgen für die Eingliederung regionaler und nationaler Ökonomien in die globale Wirtschaft und bilden somit Knotenpunkte, an denen Geld-, Informations-, Handels- und Migrationsströme zusammenlaufen. Aus diesem Grund sind global cities sowohl Produktionsstätten als auch Umschlagplätze für bestimmte Güter, vor allem für Finanz- und andere gehobene Dienstleistungen, die für das Funktionieren der globalen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sind. Diese „Flüsse“ verbinden global cities untereinander, was zur Herausbildung eines globalen Städtenetzwerks beiträgt. In unseren Studien konnten wir feststellen, dass sich seit den 80er Jahren sowohl in México D.F. als auch in Santiago de Chile global cities-Funktionen herausgebildet haben.
Um die These vom Strukturwandel hin zu global cities zu belegen, müssen drei Charakteristika gegeben sein: Erstens müssen beide Ökonomien in zunehmendem Ausmaß in globale Produktions- und Handelsketten integriert sein. Zweitens muss die Globalisierung der mexikanischen und chilenischen Wirtschaft zumindest teilweise von den jeweiligen Hauptstädten aus kontrolliert und organisiert werden. Das setzt die Existenz einer beträchtlichen Zahl von höheren Dienstleistungsunternehmen in beiden Städten voraus. Drittens müssen die beiden Städte durch den Fluss von Dienstleistungen, Kapital und Information mit anderen global cities verbunden sein. Diese drei Merkmale sollen im Folgenden näher erläutert werden.
Die vertiefte Integration von Mexiko und Chile in die Weltwirtschaft zeigt sich vor allem an dem rapiden Anstieg der Exporte, der durch Freihandelsabkommen beider Länder (am bedeutendsten waren jene mit den USA und der EU sowie mit APEC im Fall Chiles) zusätzlich gefördert wurde. Jedoch wuchs nicht nur der jährliche Wert der Exporte, auch deren Struktur veränderte sich grundlegend. Im mexikanischen Fall dominieren revolving door exports, also die zollfreie Einfuhr von industriellen Halbfertigprodukten, die in Mexiko montiert und anschließend re-exportiert werden.
In Chile basieren die Exporte nach wie vor auf den reichlich vorhandenen natürlichen Ressourcen mit Kupfer als wichtigstem Exportgut; seit Mitte der 80er Jahre haben jedoch nicht-traditionelle Exportgüter (Frischobst und Fisch sowie verarbeitete Produkte wie Fischmehl, Konserven, Wein und Holz) an Bedeutung gewonnen. Der verarbeitende Lebensmittelsektor wurde zunehmend in globale Güterketten integriert, die von transnationalen Unternehmen kontrolliert und organisiert werden. Letztere Entwicklung steht in Zusammenhang mit dem zweiten oben genannten Charakteristikum, das einen Wandel in Richtung Weltmarktintegration kennzeichnet. Aufgrund weitereichender Privatisierungen und industrieller Restrukturierung haben transnationale Unternehmen (TNK) in beiden Ländern an Einfluss gewonnen. In Mexiko werden die globalen Güterketten in der Auto-, Computer-, und Textilproduktion von transnationalen Unternehmen kontrolliert, während in Chile TNK bei der Produktion, dem Export und der Vermarktung von agroindustriellen Produkten vorherrschend sind. In beiden Ländern sind die Sektoren Telekommunikation, Energie und Finanzdienstleistungen größtenteils transnationalisiert, was vor allem auf das Bestreben globaler Anbieter zurückzuführen ist, Zugang zum nationalen oder regionalen Markt zu erlangen. Obwohl private chilenische Unternehmenskonglomerate weiterhin ihre dominante Position am inländischen Markt behaupten konnten, sind joint ventures mit ausländischen Investoren zur Regel geworden.
Die starke Präsenz von TNK zeigt sich auch im Volumen und in der Zielrichtung der ausländischen Direktinvestitionen. In Mexiko wuchsen die jährlichen ausländischen Direktinvestitionen zwischen 1980 und 2000 um das Achtfache, wobei die Sektoren Transport, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen die Hauptempfänger bilden. In Chile waren die ausländischen Direktinvestitionen im Jahr 2000 dreißig Mal höher verglichen mit 1995, mit dem Bergbausektor an erster Stelle, gefolgt von Transport, Telekommunikation und dem Elektrizitätssektor. Die verstärkte Ausrichtung der mexikanischen und chilenischen Ökonomien auf den Weltmarkt wird zumindest teilweise von den beiden Hauptstädten aus gesteuert. Mit der Etablierung eines neuen Entwicklungsmodells in den 80er Jahren durchlief Mexiko eine tief greifende Veränderung seiner Produktion. Die ursprüngliche Fixierung auf die verarbeitende Industrie wurde von einer Spezialisierung auf Dienstleistungen abgelöst. Die urbanen Beschäftigungszahlen bestätigen diese Entwicklung: Immobilien-, Finanz- und andere gehobene Dienstleistungen sind im Stadtgebiet konzentriert und stellen den am schnellsten wachsenden Subsektor des formellen städtischen Arbeitsmarktes dar. Des Weiteren untermauert die dortige Konzentration von Unternehmenssitzen die Annahme, dass México D.F. die Funktion einer global city angenommen hat.
Generell gilt: Je höher das Verkaufsvolumen eines Unternehmens und je stärker die Verbindung zur globalen Ökonomie (gemessen an den Exporten), umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Unternehmenssitz im Stadtzentrum von México D.F., dem Distrito Federal, befindet. Auch die regionale Verteilung ausländischer Direktinvestitionen zeigt in dieselbe Richtung: Die im Distrito Federal verbuchten ausländischen Direktinvestitionen beliefen sich während der letzten 13 Jahre auf einen konstant hohen Anteil von 60 Prozent und das, obwohl die Privatisierung wichtiger Unternehmenszweige bereits abgeschlossen war und zudem ein bedeutender Teil ausländischer Direktinvestitionen in die Exportindustrien im Norden des Landes geflossen sind.
Die wirtschaftliche Struktur Chiles veränderte sich bereits in den frühen 70er Jahren im Gefolge des Militärputsches. Die Beschäftigungszahlen in der verarbeitenden Industrie gingen zurück, während der Anteil an Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich deutlich anwuchs. Dass der Anteil der verarbeitenden Industrie am städtischen BIP seit Mitte der 80er Jahre konstant blieb, deutet auf eine Erholung der Industrie hin, die mit der Abkehr von einer orthodox-neoliberalen Ausrichtung und der Einführung flexiblerer Maßnahmen einsetzte. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass der Anteil der Finanzdienstleistungen (inklusive Versicherungen und produktionsbezogenen Dienstleistungen) am urbanen BIP vor jenem der verarbeitenden Industrie an zweiter Stelle hinter dem Handel steht. In Bezug auf die Unternehmenssitze haben nur zwei der größten 50 Unternehmen – beides Schifffahrtsunternehmen – ihren Hauptsitz nicht in Santiago de Chile. Die regionale Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen zeigt, dass das Stadtgebiet von Santiago bei weitem den höchsten Anteil an Auslandskapital auf sich zieht.
Empirische Belege für das dritte Charakteristikum – die Verbindung von global cities untereinander durch ein Netzwerk gehobener Dienstleistungsunternehmen – liefern die Studien des GaWC.[fn]Globalization and World Cities Study Group and Network: http://www.lboro.ac.uk/gawc[/fn] Diese weisen für México D.F. ein hohes Ausmaß an Integration in das grenzüberschreitende Netzwerk von global cities nach. Unter den 55 von GaWC als global cities identifizierten Städten befindet sich México D.F. an zwanzigster Stelle und damit an erster Stelle unter den lateinamerikanischen Städten (vor São Paulo, Buenos Aires und Caracas). Die für México D.F. errechneten Werte weisen die Stadt als gleichrangig mit Zürich, Johannesburg, Mailand und sogar Los Angeles aus. Santiago befindet sich unter den lateinamerikanischen Städten an fünfter Stelle.