Internationale Solidarität neu lernen

Internationale Solidarität erlebt seit einiger Zeit eine Renaissance. Im lokalen oder nationalen Rahmen aktive Bewegungen, wie die des so genannten „arabischen Frühlings“, „Occupy“-AktivistInnen in den USA und anderswo, SchülerInnen und Studierende in Chile, oder Gruppen, die die massiven Proteste in den Krisenregionen des südlichen Europa tragen, nehmen trotz unterschiedlicher Forderungen wie selbstverständlich aufeinander Bezug. Ihre Dynamiken brachten nicht nur die jeweiligen politischen Verhältnisse ins Wanken, sie überwanden auch Grenzen und inspirierten sich gegenseitig.

Ein Teil der beteiligten Gruppen kooperiert schon lange im Rahmen transnationaler Vernetzungen. Hinzu kommen neue Bewegungen, deren internationaler Bezug in ihrer Entstehungsgeschichte in den sozialen Netzen teilweise eingeschrieben ist, ohne dass sie sich zwingend in linken Traditionen des ArbeiterInneninternationalismus oder der globalisierungskritischen Bewegung verorten müssen. Für die jüngeren unter ihnen sind Seattle, Genua und die Weltsozialforen, die eine transnationale Kooperation politisch voraussetzten, oft nur noch Geschichte. Ihre Bewegung artikuliert sich vielmehr ganz selbstverständlich in transnationalen Kommunikationsnetzwerken. Oft ist kaum zu sagen, ob die neue internationalistische Praxis das Ergebnis politischer Reflexion oder eher das Produkt globalisierter Kommunikationskanäle ist.

Ende letzten Jahres schien dann ein alter Traum vieler Linker ansatzweise Wirklichkeit zu werden: Ein transnationaler Generalstreik brachte am 14. November 2012 das Leben in einigen Ländern Europas gleichzeitig zum Erliegen. Dem Streikaufruf zum Protesttag gegen die EU-Austeritätspolitik folgten mehrere Millionen ArbeiterInnen in Südeuropa, begleitet von Massendemonstrationen in vielen Städten. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund trug den Streikaufruf mit.

Doch auch die Grenzen internationaler Solidarität traten zutage. Vor allem in Deutschland taten sich viele AkteurInnen schwer. Zwar bekundete auch der DGB kurz vor dem 14. November eher widerwillig Solidarität und in einigen Städten fanden auch Kundgebungen statt. Von einer massenhaften Mobilisierung gegen die soziale Demontage konnte aber keine Rede sein. Auch große Teile der deutschen Linken stehen den vielfältigen Protesten anderswo scheinbar ratlos gegenüber. Es scheint fast, als benötige die deutsche Linke internationale Solidarität und „Nachhilfe“.

International scheint die neue transnationale Kooperation eher an politisch-strategische Grenzen zu stoßen. Das unmittelbare „Praktisch-Werden“ solidarischen Handelns hinkt vielfach hinter den Wünschen und Potentialen der Beteiligten hinterher. Es mangelt an einer Bündelung der Kräfte, um die gemeinsame Handlungsmacht der transnationalen Kämpfe entscheidend zu stärken.

Die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte Tagung „cross solidarity – Internationalismus in der Krise“ will die aktuelle Praxis Kooperation selbst zum Thema machen und dafür Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Basisbewegungen zusammenbringen. Anhand der Konfliktfelder Arbeit+Einkommen, Wohnen+„Recht auf die Stadt“ sowie Flucht+Migration und EU-Krisenpolitik soll in Wuppertal gemeinsam diskutiert und die eigene politische Praxis reflektiert werden. Die Hoffnung der OrganisatorInnen ist, dass es gelingt, in die Zukunft zu diskutieren, die geteilten Erfahrungen transnationaler Kooperation für die politische Praxis fruchtbar zu machen und die Dynamik der neuen Bewegungen mit den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zu verschränken.

Einige der Leitfragen der Tagung: Wie lässt sich das Transnationale mit dem Lokalen verbinden? Wie können wir Solidarität konkret entwickeln? Wie unmittelbar und persönlich müssen politische Beziehungen sein, damit Solidarität wirksam wird? Wie können wir mit unterschiedlichen politischen Kulturen und Arbeitsweisen umgehen? Wie können unsere Rechte von ArbeiterInnen und KonsumentInnen gegen transnationale Konzerne verteidigt und durchgesetzt werden? Wie können wir den Angriffen auf unsere Städte und Quartiere Widerstand entgegensetzen? Wie kann das „Recht zu bleiben“ und das „Recht zu gehen“ gleichzeitig erkämpft werden? Welche Aktionsformen und Kommunikationskanäle müssen wir entwickeln, um die EU-Krisenpolitik zu blockieren? Dazu hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung unter anderem AktivistInnen von Labournet, Afrique Europe Interact, der spanischen Plattform der Hypothekenopfer, von TIE bis hin zur Occupy-Bewegung eingeladen und hofft, dass viele weitere BewegungsaktivistInnen den Weg nach Wuppertal finden – um dort zusammen internationale Solidarität wiederzuentdecken und zu stärken.