Gängige Meinungen zu Festen sind etwa: Feste sind bunt, ausgelassen und bringen Menschen ohne Unterscheidung ihrer sozialen Herkunft zusammen. Als außeralltägliche Ereignisse machen sie Sorgen, Mühen und Konflikte vergessen, stärken die Gemeinschaft der Feiernden und zumindest für die Dauer des Festes lösen sich die Hierarchien und Grenzen zwischen den sozialen Gruppen, zwischen Arm und Reich, Mann und Frau sowie zwischen ethnischen Gruppen auf.
Demgegenüber werden Feste in diesem Artikel als ein hart umkämpftes soziales Feld im Sinne Bourdieus verstanden. Gemeint sind Feste, die nicht zu toter Touristenfolklore erstarrt, sondern lebendige, sich verändernde Ereignisse sind.
Große öffentliche Feste dienen der Bejahung und dem Erhalt bestehender weltlicher oder religiöser Macht und etablierter Gesellschaftsordnung. Zugleich wohnt dem Fest das Potential der Normübertretung, des Exzessiven, des Ekstatischen und vor allem in Zeiten sozio-politischer Umbrüche auch der Kritik oder des Rebellischen – als eine Art Gegenentwurf zur bestehenden Ordnung – inne. Nicht immer können alle Festteile von den OrganisatorInnen kontrolliert werden. Ein Fest kann in sich widersprüchlich und mehrdimensional sein und zu unterschiedlichen Momenten beide Charakteristika, „ordnungsbejahend“ und kritisch, angepasst und nonkonformistisch, religiös und profan, moralisch und frivol in sich vereinen. Wichtig ist, sich bewusst zu werden, wer die Wirkungsmacht eines Festes zu seinen Gunsten zu nutzen weiß.
Feste können in ihrem äußeren Erscheinungsbild über lange Zeiträume in mehr oder weniger ähnlicher Form fortbestehen, auch ihr – offizieller – Anlass bleibt derselbe, während sich aber ihr Charakter und ihre Funktion erweitern bzw. völlig verändern, oder sie neuen sozialen Akteuren gesellschaftliche Räume öffnen und das Denken ihrer Zeit widerspiegeln. Andererseits werden neue Feste geschaffen und wachsen, andere verlieren hingegen ihren Anlass bzw. ihre Beliebtheit, erstarren zu musealen Veranstaltungen oder „sterben ab“.
Hinter der Fassade des Gemeinschaftlichen und Partizipativen werden bei Festen oft handfeste Rivalitäten ausgetragen, soziale Ungleichheiten werden nicht aufgelöst, sondern verstärkt, gleichzeitig rebellieren kritische Kräfte bisweilen gegen bestehende Hierarchien. Traditionelle Geschlechterverhältnisse treten deutlich zutage, aber mitunter erkämpfen sich Frauen eine stärkere gesellschaftliche Teilhabe zunächst auf der symbolischen Ebene des Festes.
In den Andenländern Ecuador, Peru und Bolivien kommen bei Festen auch ethnische Konflikte zum Tragen. EinwohnerInnen aller ethnisch-sozialen Gruppen nehmen in andinen Kleinstädten an Festen teil, in der Praxis sind aber wegen der damit verbundenen Ausgaben für aufwendige Kostüme, Masken und Musikbegleitung oft nur die Eliten in der Lage, sich geschickt öffentlich in Szene zu setzen. Sie bestimmen dann auch die Inhalte der im Rahmen der Feste gezeigten tänzerischen und theatralen Darstellungen und vermitteln beispielsweise über mitgeführte Symbole bestimmte Werte. Als minderwertig angesehene ethnisch-soziale Gruppen dürfen und sollen auch teilnehmen, aber bitte nur an der ihnen zugedachten untergeordneten Position. Andererseits kann ein starkes Auftreten bei einem Fest die verstärkte Einflussnahme einer ethnisch-sozialen Gruppe auf der gesellschaftlichen Ebene vorwegnehmen.
Im plurikulturellen andinen Raum dienten Feste und dabei aufgeführte theatral-tänzerische Repräsentationen in der Kolonialzeit auch der Zuweisung bzw. der von oben gesteuerten Schaffung lokaler, regionaler, ethnischer oder sozialer Identitäten. Eine solche Fremdzuweisung fand über die Organisation sogenannter fiestas de indios durch die Kolonialmacht statt. Diese Art Feste distanzierten die indigenen Völker deutlich von anderen Sektoren der Bevölkerung und zwangen Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen – in Verbindung mit weiteren Maßnahmen – eine neue einheitliche Identität als indios auf.
Auf der anderen Seite trugen Feste auch zur Konstruktion neuer, selbstbewusster ethnischer oder sozialer Identitäten von an den Rand der Gesellschaft gedrängten Bevölkerungsgruppen bei. Burga (1988) und Flores Galindo (1986) gehen in ihren historischen Untersuchungen sogar von der Entwicklung utopischer Gegenentwürfe zur kolonialen Gesellschaftsordnung durch bestimmte, im Rahmen von indigenen Festen gezeigten Repräsentationen aus.
Auch in der Gegenwart ist die Schaffung neuer ethnischer bzw. regionaler Identitäten und die Stärkung des Selbstbewusstseins sozial ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen über Feste, tänzerisch-theatrale Darbietungen und Musikstile weiterhin zu beobachten.
In der Kolonialzeit und auch weit darüber hinaus wurden wegen der extremen Unterdrückungsmechanismen gegenüber der andinen Landbevölkerung von dieser unterschwellige und nur für Eingeweihte derselben sozialen Gruppe verständliche, kritische oder ironische Elemente in ihre Feste eingebaut. Eine Ausnahme bilden die Zeiten der Rebellionen der Unterdrückten. Am bekanntesten sind die Aufstände in weiten Teilen des Andenraums um 1780, die u.a. von Tupac Amaru angeführt wurden. Nach deren blutiger Niederschlagung wurden viele Feste und szenische Darstellungen verboten. Man hatte es gewagt, auch bei Festen die Ablehnung der Herrschaftsverhältnisse, unmittelbar und für alle sichtbar, zu artikulieren. In den folgenden Jahren fand daraufhin eine massive Manipulation des im Andenraum sehr beliebten Marienkults und damit verbundener Feste zugunsten der kolonialen Machthaber statt.
Nach der Agrarreform der Velasco-Regierung setzte in Peru in den 70er-Jahren gewissermaßen eine Aufarbeitung der bisherigen Ausbeutungssituation durch die Landbevölkerung ein. In bis heute aufgeführten Darstellungen bei Festen werden ganz und gar nicht unterschwellig die Unterdrücker benannt und deren Macht wird überwunden. Diese Interpretation der Geschichte wurde in der Folgezeit dann auch auf die sich als die neuen Herren in den frisch gegründeten Kooperativen aufspielenden señores ingenieros angewandt.
Eine aufwendige, für alle gut sichtbare Festteilnahme (z.B. durch spektakuläre Kostüme und Masken, das Engagement einer angesehenen Musikgruppe, etc.) oder die Übernahme kostspieliger Festämter unterstreichen wirtschaftliche Stärke und soziales Standing. Feste werden genutzt, um die soziale Stellung und das Prestige ihrer ProtagonistInnen und OrganisatorInnen zu festigen. Derartige Investitionen auf der symbolischen Ebene, dem Fest, sollen den Rest des Jahres über auf der realen Ebene Früchte abwerfen. Dies gilt sowohl für TeilnehmerInnen der Escolas de Samba in Brasilien, für die TänzerInnen und MusikerInnen bei den andinen Candelaria-Festen als auch für die DarstellerInnen der Figuren bei den Oberammergauer Passionsspielen (2000 BürgerInnen der Stadt nehmen aktiv teil; die RollenträgerInnen werden vom Gemeinderat und vom Spielleiter bestimmt).
Octavio Paz versteht das Engagement bei Festen ebenfalls als eine Investition:
„(…) la función de la Fiesta es más utilitaria de lo que se piensa; el desperdicio atrae o suscita la abundancia y es una inversión como cualquier otra.“ (Paz: 1983, S. 45) (die Funktion des Festes ist nutzenorientierter, als man denkt; die Verschwendung zieht den Überfluss an bzw. ruft ihn hervor, und es handelt sich um eine Investition wie jede andere.)
Die dominierenden gesellschaftlichen Kräfte streben bei wichtigen Festen eine Demonstration und Legitimation ihrer gesellschaftlichen Position und der bestehenden Machtverhältnisse an. Für aufstrebende und mitunter auch für marginalisierte Sektoren der Gesellschaft steht bei einer Investition in die Festkultur, die im Andenraum oft über die Verhältnisse der Familienökonomie geht, der Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg und Machtteilhabe im Mittelpunkt. Direkt verknüpft ist die Ausrichtung von Festen oder die Teilnahme daran mit dem Ausbau bzw. der Erlangung gesellschaftlicher Anerkennung. Dies ist ein wichtiges Mittel beim Erhalt oder der Verbesserung des individuellen oder familiären Sozialstatus bzw. der kollektiven Position als soziale oder ethnische Gruppe in der gesellschaftlichen Hierarchie.
Beispielsweise bemühen sich viele der nicht gut angesehenen Cholos/as in den Andenländern, die ihnen anhaftenden Vorurteile, die sie als neureiche bzw. als unkultivierte und identitätslose Abwanderer vom Land abstempeln, durch eine erfolgreiche, teure und aufsehenerregende Festteilnahme nicht nur individuell, sondern auch als soziale Gruppe loszuwerden. Durch bestimmte Masken, Tanzformen, Symbole und Musikstile schaffen sie sich eine kraftvolle, neue, unverwechselbare Identität.
Wenn hier in Zusammenhang mit Festen von „Machtstreben“ bzw. „Machtzuwachs“ die Rede ist, ist dabei nicht an das Fest als ein Mittel im Kampf um die Übernahme der politischen Herrschaft gedacht. Gemeint ist in Bezug auf den Andenraum vielmehr das Ringen um eine bessere individuelle oder kollektive Positionierung in der regionalen gesellschaftlichen Rangordnung seitens der Mitglieder aufstrebender oder marginalisierter, in sich wiederum heterogener sozialer bzw. ethnischer Gruppen wie z.B. (Minen-)Arbeiter, HandwerkerInnen, Bauern und BäuerInnen, Indígenas, Cholos/as, MestizInnen oder vom Land in die Städte abgewanderter Menschen. Gleichzeitig dient die Festpartizipation den Angehörigen der genannten ethnischen bzw. sozialen Gruppen auch zur Aushandlung „interner“ Vormachtstellungen.
Bei der Investition in die Festkultur gibt es keine Automatismen. Auch eine mehrmalige, bewunderte und anerkannte Festteilnahme muss keinen unmittelbar greifbaren Erfolg in Hinblick auf die – mehr oder weniger bewusst – angestrebten Ziele haben. In den meisten Fällen handelt es sich vielmehr – im Sinne von Bourdieu – um eine Investition auf lange Sicht im Bereich des sozialen Kapitals.
In den Andenländern gibt es seit vorspanischen Zeiten zwei Hauptfestarten. Die erste umfasst repräsentative Feste der jeweiligen politischen und religiösen Machthaber. In vielen Fällen haben diese Festereignisse landesweite Bedeutung (Einführung einer kirchlichen oder weltlichen Autorität, Unabhängigkeitstag, Tag des Indios bzw. Bauern, zentrale Feste im Kirchenjahr usw.). Die machtvolle Inszenierung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung, die Verbreitung bzw. Stärkung des katholischen Glaubens ebenso wie des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit waren und sind – ohne dass sie von den VeranstalterInnen explizit als solche benannt werden – Ziele dieser Feste, die auch Mittel der sozialen Kontrolle darstellen.
Die zweite Festart im Andenraum umfasst populäre Feste, deren TrägerInnen nicht zu den Machteliten auf landesweiter Ebene gehören. Dennoch sind sie von den lokalen Machtstrukturen und zum Teil auch vom Streben nach mehr Ansehen und Einfluss geprägt. In Konkurrenz stehende und in Konflikte verstrickte soziale Gruppen können ein solches Fest allerdings auch als eine im gemeinsamen Interesse liegende Herausforderung begreifen, beispielsweise wenn es um die Frage größerer Unabhängigkeit von der Zentralmacht geht. Dieser Anspruch wird durch ein gelungenes, teures Fest mit lokaler Symbolik unterstrichen, das dann als Demonstration regionalen Selbstbewusstseins und Ausdruck einer neuen – konstruierten – Identität verstanden wird.
Populäre andine Feste haben häufig einen – von den Teilnehmenden mehr oder weniger stark beachteten – religiösen Anlass. Viele sind in Anlehnung an die Feste und Darbietungen der kolonialen Eliten entwickelt worden und bedeuten heute eine Umwertung derartiger Feste. Sie dienen der Versinnbildlichung, der Reproduktion bzw. Neuaushandlung der lokalen Sozialstrukturen. Auch auf dieser populären Ebene werden Feste von Personen organisiert, die über soziales Kapital verfügen. FestträgerInnen können aber auch Menschen sein, die nicht bereits aufgrund ihrer Herkunft besondere gesellschaftliche Anerkennung genießen. Durch die Ehre der (Mit-)Organisation bzw. ihre für die Öffentlichkeit sichtbaren, hohen finanziellen Ausgaben versprechen sie sich eine Verbesserung ihres Ansehens und sozialen Status, eine eigentlich eher bürgerliche Idee.
Eine quasi gleichberechtigte und vom Glauben durchzogene Festpraxis ist heute weder in Kleinstädten noch in bäuerlichen Dorfgemeinschaften des Andenraums zu finden. Gleichzeitig sind aber in einer sich immer mehr beschleunigenden Welt vor allem für die Landbevölkerung wiederkehrende Feste mit ihren klaren Ritualen wegen ihrer Ordnung, Strukturen und Sicherheit bietenden Aspekte besonders wichtig. Sie dienen der Aushandlung bzw. Erneuerung sozialer Beziehungen und gegenseitiger Verpflichtungen, ohne die die einzelnen Haushalte vielfach nicht überleben könnten. Feste in andinen Dorfgemeinschaften können unabhängig von katholischen Feiertagen oder der lokalen Heiligenverehrung stattfinden und in Zusammenhang mit kommunalen Aufgaben wie der Instandhaltung der Bewässerungsgräben oder anderen Ereignissen im bäuerlichen Jahreszyklus stehen. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten carnavales im Altiplano, die außer der zeitlichen Parallelität kaum etwas mit dem klassischen Karneval europäischer Prägung zu tun haben. Sie beziehen sich mit ihren festlichen Ritualen auf die Vieh- und Landwirtschaft (die symbolische Kennzeichnung des Viehs oder die rituelle Vorbereitung und Bestellung der Felder). Solche Feste gliedern den Agrarkalender und geben den Teilnehmenden konkrete Orientierung im Jahreslauf.
Die mehrdimensionale Bedeutung von Festen für die Aymara in den Dorfgemeinschaften des Departements Puno fasst Angela Meentzen in ihrer wegweisenden Arbeit zu Geschlechterverhältnissen im peruanischen Altiplano anschaulich zusammen: „Das Dorffest ist ein sozialer und religiöser Anlass von großer Wichtigkeit, (…), da es kommunikative Handlungsmöglichkeiten eröffnet und wichtige Lebensentscheidungen prägt. Feste sind ein besonderer Moment, in dem die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft zum Ausdruck kommt, sie bilden die Gelegenheit für alle zu einer freundschaftlichen oder verbindenden Verständigung und zur Erinnerung an gegenseitige Verpflichtungen. Mit Musik und Tanz kommt die Bewunderung für die religiösen Wesen, zunehmend aber auch die interne Differenzierung im Dorf zum Ausdruck, (…).“ (Meentzen: 2000, S. 84)
Auch wenn das in diesem Artikel Gesagte das behandelte Sujet kritisch hinterfragt, soll der Akt des gemeinsamen Feierns nicht abgewertet oder in Frage gestellt werden. Ein Ziel der Untersuchung sozialer Funktionen von Festen und der rationalen Annäherung an ein stark emotional aufgeladenes Feld ist vielmehr, darauf hinzuweisen, dass hinter den offensichtlichen bzw. offiziellen Motiven eines Festereignisses oft mehr steckt als auf den ersten Blick zu vermuten ist. Vielleicht sind die kritischen Anmerkungen in diesem Sinne eine Anregung, sich in Zusammenhang mit der Teilnahme an einem Fest zu überlegen, welche Rolle man selbst oder die eigene soziale Gruppe bei dem Geschehen spielt.
Die Untersuchung von Festen ist aufgrund der Lebendigkeit, Konflikthaftigkeit, Vielschichtigkeit und wegen ihrer ständigen Veränderung und Weiterentwicklung ein immer nur vorläufiges Unterfangen. Auf jeden Fall bietet sie aber allen kultur-, sozial- und geschichtswissenschaftlichen Fächern breite Informationspotentiale.
Max Meier: Engel, Teufel, Tanz und Theater. Die Macht der Feste in den peruanischen Anden, Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2008, 526 Seiten, 69,- Euro. Besprechung