Meléndez, im Krieg bekannt als Jonás, ist beschuldigt worden, einer der Mörder des weltweit bekanntesten aller salvadorianischen Schriftsteller, von Roque Dalton, zu sein. Die Familie des ermordeten Autors, vertreten von seinen Söhnen, hat die Regierung aufgefordert, den toten Dichter nicht länger öffentlich zu ehren und Meléndez abzusetzen (einer der beiden Söhne, Juan José Dalton, ist regelmäßiger Autor der ila).
Meléndez hat nicht abgestritten, dass er etwas mit dem Verbrechen zu tun hatte. Vielmehr hat er es gerechtfertigt und sich auf eine Art „historische Notwendigkeit“ innerhalb der Umstände von damals berufen. „Es geht nicht um den armen Poeten, der ermordet wurde“, hat er hinzugefügt. Meléndez stört das Wort „Ermordung“, er zieht es vor, einen Ersatz dafür zu erfinden: „Ich erinnere mich nicht an die Ermordung von Roque Dalton, ich erinnere mich an einen politischen Vorgang.“
Das ist noch nicht einmal ein originelles Argument. Die Vorstellung, dass man Verbrechen begehen kann, wenn sie Teil eines „politischen Prozesses“ sind, bzw. um Schrecklicheres zu vermeiden, ist von allen berühmten Mördern bemüht worden, von den mittelalterlichen Inquisitoren, über die Nazis bis zu den neokonservativen Falken des Pentagon. Sie stammt aus altem Adel und wir begegnen ihr beim biblischen Kaifas: „Es ist besser für Euch, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn die ganze Nation zerstört wird.“ (Johannes 11, 50) Jonás könnte unser kreolischer Kaifas sein, der „Nation“ durch „Revolution“ ersetzt.
Präsident Funes hat erklärt, dass „Roque Dalton nicht mehr seinen Kindern und seiner Witwe gehört“, weshalb die Familie ihm nicht vorschreiben könne, was er mit dem Image von Roque zu tun oder zu lassen habe. Roque gehöre dem Volk, hat er betont. Als ob uns SalvadorianerInnen die Wahrheit über den Mord an dem Schriftsteller gleichgültig wäre, als ob die Gefühle seiner Familie bedeutungslos wären. Wir sollten den Präsidenten daran erinnern, nicht in unserem Namen sprechen zu wollen. Er sollte wissen, dass er den Namen des Dichters nach seinem Gutdünken zur Benennung eines Gebäudes benutzen kann, wenn er die Gelegenheit dazu hat, aber er sollte dies mit Würde und Ernsthaftigkeit tun und nicht mit hohlen Worten und Gesten.
Sicher, Funes hat das Recht der Familie, die Wahrheit über diesen Mord zu erfahren, anerkannt, hat aber unterstrichen, dass er Meléndez nicht absetzen wird und dieser sein Vertrauen genießt. Dass Jonás eingestanden hat, an einem Verbrechen teilgenommen zu haben, und er keinerlei Reue zeigt, scheint den Präsidenten nicht nervös zu machen, nein, mehr noch, seine Einlassungen verwirren, hat er doch die Familie von Monseñor Oscar Arnulfo Romero um Vergebung gebeten, während er jetzt nichts hören will von den konkreten Forderungen der Familie Dalton.
Ein Editorial der Tageszeitung CoLatino hat ein weiteres eigenartiges Argument ins Feld geführt. Die Familie Dalton habe das Recht, die Wahrheit, nicht aber die Absetzung von Meléndez zu fordern, weil „er nicht Regierungsmitglied geworden ist, um weiter gegen die Daltons zu konspirieren“. In einem klaren Fall von Verwechslung von Ethik und Gesetz spielt das Blatt auf den Umstand an, dass Meléndez in keinem Gerichtsverfahren für schuldig befunden worden ist.
Ach ja, die Ethik. Es sieht nicht so aus, als wollte jemand Jorge Meléndez ins Gefängnis bringen. Vielmehr geht es darum, dass sein Rücktritt neue Ermittlungen anstoßen könnte, die ihrerseits zur Wahrheit führen. Würde aber ein Verfahren gegen ihn eingeleitet, ginge er, wie mir scheint, schwerlich unbeschadet daraus hervor, weshalb ihn die Initiative der Dalton-Familie mehr als stört. Aber ich glaube auch nicht, dass sich die Wellen schnell wieder legen werden. Es könnte passieren, dass nicht immer der Große Fisch auftaucht, der Jonás beschützt.
Für heute ist es der Präsident, der Jonás zur Seite steht – und das ist bedauerlich. Würde er Meléndez seines Amtes entheben, könnte Präsident Funes zeigen, dass er bereit ist, von Worten zu Taten zu schreiten. Und er würde klarmachen, dass er auf die Doppelmoral verzichtet, einen Sport, der hierzulande weit verbreitet ist, wo alle die Sünden ihrer Feinde beklagen und zu den eigenen und denen ihrer FreundInnen schweigen.
Auch die FMLN sollte sich direkt angesprochen fühlen. Die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit ist immer traumatisch, schlimmer ist es aber, die Bevölkerung immer weiter zu verwirren, sich auf die Angst und den blinden Egoismus zu verlassen. Unsere aktuellen Probleme lassen sich nicht einfach von der Vergangenheit abtrennen. Die Straflosigkeit, die es den Gewalttätern erlaubt, frei herumzulaufen, hat den Schrecken gezeugt, den wir heute tagtäglich spüren. Nur wenn wir die alten Schrecken aufklären, werden wir die Gesellschaft auf den Weg in eine Zukunft ohne Furcht und Schrecken bringen können.
Der Frente würde es gut anstehen, dazu beizutragen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Einige Regierungsmitglieder sollten zurücktreten, auch wenn es sie einiges kostet. Dafür würden sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass wir in diesem Land die Schuld nicht weiter auf Gespenster schieben, Verantwortung übernehmen und endlich die Aufgabe angehen, Geschichte zu schreiben – die Geschichte der Opfer, um genau zu sein. Das geht nicht ohne Schmerzen und Zweifel, aber wir würden alle dabei gewinnen. Dann erst könnten wir Roque, Romero, Ellacuría und so vielen anderen Ehre erweisen, denn ohne Wahrheit keine Ehrung.
Nachtrag: Inzwischen hat die Familie Dalton Anzeige gegen Jorge Meléndez erstattet. Sie wird dabei vom Menschenrechtsinstitut IDHUCA der Jesuitenuniversität UCA unterstützt, und hat als Beweismaterial Zeugenaussagen von ehemaligen Mitgliedern des ERP vorgelegt.