Kein sauberer Biodiesel

Es ist nicht verwunderlich, dass die Agrokaftstoffe in der deutschen Energie-Agenda eine führende Rolle spielen. Deutschland ist in der Europäischen Union das Land mit der größten Produktionskapazität von Biodiesel. Nach Schätzungen von Oil World (www.oilworld.biz) kann Deutschland dieses Jahr 3 800 000 Tonnen Agrodiesel produzieren, was 44 Prozent der gesamten Produktionskapazität der EU entspricht. 

Unter den Pflanzen, aus denen Agrodiesel gewonnen werden kann, bringt die Ölpalme die höchsten Hektarerträge. Diese Palmenart (wissenschaftliche Bezeichnung: Elaeis guineensis) wächst auf der Erde ausschließlich in tropischen Gebieten. Aus ihrer Frucht wird das weltweit am meisten gehandelte Pflanzenöl erzeugt. In Bezug auf die Anbaufläche nehmen Ölpalmen auf der internationalen Skala nach Soja den zweiten Rang ein. Deutschland führt große Mengen von Palmöl und Palmkernöl für den Eigenbedarf oder die Wiederausfuhr ein, was es nach Daten der FAO von 2004 weltweit zum siebtgrößten Exporteur von Palmöl machte, das in 40 Länder geliefert wird. 2005 beliefen sich die deutschen Importe von Ölpalmprodukten (Palmöl, Palmkernöl und Ölpalmfrucht) auf 1 229 243 Tonnen (zur Unterscheidung siehe Spalte rechts).

Und wofür wird diese Riesenmenge Palmöl verwendet? Die Vielfalt des Verbrauchs ist beeindruckend. Palmöl ist in über hundert Produkten enthalten. Einerseits in Rohform, wie in Fettsäuren, Öl, Olein und Stearin, Glyzerin oder Emulsionen, die für die Herstellung von Fertiggerichten, Schmier- und Reinigungsmitteln, Farben und Sprengstoffen (Dynamit und Nitroglyzerin) verwendet werden. Andererseits in Produkten des Endverbrauchs, wie Speiseöle, Margarinen, Soßen, Süßigkeiten, Seifen, Zahnpasta, Schuhcreme, Tierfutter und viele andere Produkte des täglichen Gebrauchs. Nicht zu vergessen: Agrodiesel. Obwohl dessen Vermarktung noch in den Kinderschuhen steckt, sind die Erwartungen hoch, dass Agrodiesel zum „Star“ der Ölpalmprodukte wird.

Eines der Länder, die Palmöl produzieren, ist Kolumbien. 80 Prozent seiner Ausfuhr von Palmöl- und Palmkernöl gehen nach Europa. Deutschland führt 25 Prozent der gesamten kolumbianischen Exportmenge ein. Das heißt, dass von vier Tonnen aus Kolumbien ausgeführtem Palmöl eine davon in Deutschland verbraucht wird. Für Palmöl wird gute Werbung gemacht. Glaubt man der kolumbianischen Regierung, die diese Agroindustrie ankurbelt, oder den PR-Abteilungen der Palmfirmen, so kann man bei diesem Geschäft nur gewinnen. Es bessert die Staatsfinanzen auf, stärkt die Unternehmer und ist sogar für die ganze Gesellschaft ein Gewinn. Ölpalmplantagen versprechen sozialen Nutzen, Frieden und Entwicklung. In den Einfuhrländern gewinnen die KonsumentInnen – sie haben eine breiten Palette von Ölpalmprodukten zur Verfügung. Und global gesehen gewinnt der Planet Erde, da die Plantagen große Mengen von Kohlenstoffen aufnehmen, die helfen, das atmosphärische CO2 zu binden. Warum sollten wir Palmöl nicht einsetzen, um die von der EU vorgeschlagene Quote von Agrotreibstoffen zu erfüllen und damit dazu beitragen, die Ziele des Kyoto-Protokolls zu erreichen? 

Wie immer ist es wichtig, hinter die Kulissen zu blicken und die Inhalte, die die Marketing-Apparate der Unternehmen verbreiten, mit kritischen Informationen aus den Produktionszonen zu hinterfragen. Dies ist der Ansatz der Studie „El flujo del aceite de palma Colombia-Bélgica/Europa” (deutsch: Der Strom des Palmöls – Kolumbien-Belgien/Europa), die Human Rights Everywhere (HREV) für die Belgische Kolumbien-Koordination erstellt hat. In dieser Studie wird die Situation in den Palmanbaugebieten in Kolumbien unter die Lupe genommen, um eine umfassende Idee von der agroindustriellen Palmöl-Kette zu erhalten. Aus einer Menschenrechtsperspektive werden die Auswirkungen dieser Produktionskette und der Handelsstrom von Palmöl nach Europa analysiert. Die wichtigste Schlussfolgerung dieser Untersuchung ist, dass das agroindustrielle Entwicklungsmodell, das auf Ölpalmen basiert, auf legaler Ebene mit Rechtsverletzungen verbunden ist und auf sozialem Gebiet schädliche Auswirkungen hat. Es stützt sich auf die Anwendung von Gewalt von paramilitärischen Gruppen, die damit ihren Wirkungsradius erweitern und über weite Gebiete territoriale Kontrolle ausüben. In unserer Studie haben wir im Zusammenhang mit diesem Produktionsmodell 25 Formen von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen festgestellt, darunter vor allem gewaltsame Aneignung von Land, Vertreibung der Bevölkerung, Ermordung von Gewerkschaftern und von Führungspersonen von Bauern- und Basisorganisationen, Massaker, Verschwindenlassen, Geldwäsche, und finanzielle, logistische und operative Zusammenarbeit mit Paramilitärs. Eine Analyse der Zonen, in denen das Palmöl hergestellt wird, zeigt, dass es sich bei diesen Verletzungen nicht um Einzelfälle handelt, sondern dass diese generalisiert sind und in allen Palm-Produktionskomplexen auftreten. Die Verletzungen werden mehrheitlich von paramilitärischen Gruppen begangen. 

Schematisch kann man die Verletzungen, die mit diesem Produktionsmodell verbunden sind, in fünf Phasen darstellen: 

1.) Der Übergriff oder die Eroberung eines Gebiets durch die Paramilitärs: In dieser ersten Phase wird ein großer Teil der Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Bevölkerung von Gebieten begangen, in denen später Ölpalmen angepflanzt werden. Durch Morde, Massaker und „Verschwindenlassen“ wird ein allgemeines Klima von Terror geschaffen, das bewirkt, dass die Einheimischen massiv und unfreiwillig abwandern bzw. gewaltsam vertrieben werden. 

2.) Die illegale Aneignung des Landes, mittels Landraub oder Landkauf, der durch Waffengewalt erzwungen wird. Die von den Paramilitärs eroberten Ländereien werden in einem völlig irregulären Prozess „legalisiert“. Der Zukauf von Land erfolgt mittels Einschüchterung der Besitzer und wird mit Drogengeldern finanziert. 

3.) Das Anlegen von Palmpflanzungen: In dieser Phase kommen die Palmunternehmer und legen große Ölpalmfarmen an. Ist das Gebiet mit Wald bedeckt, wird es vollständig gerodet und das Holz verkauft. In den meisten Fällen werden dabei die Umweltgesetze verletzt.

4.) Der Palm-Komplex = Plantagen + Anlagen zur Ölgewinnung: Sobald der Palm-Komplex etabliert ist, beginnt die agroindustrielle Verarbeitung des Palmöls. Auch in dieser Phase sind die Paramilitärs mit von der Partie. Oft sind sie als Demobilisierte in Produktionsprojekte integriert, die Teil des Demobilisierungsprogramms sind.

Daran schließt sich eine fünfte Phase an, in der die wirtschaftliche, politische und militärische Macht über die Gebiete, die mit Ölpalmen bepflanzt sind, hergestellt ist, und das Palmöl in die Handelsströme des nationalen und internationalen Marktes fließen werden kann. 

Bei diesem agroindustriellen Modell gehen illegale und legale Handlungen ineinander über. Zu den legalen zählen die Förderprogramme der kolumbianischen Regierung oder private sowie öffentliche Investitionen aus internationalen Entwicklungsfonds oder des Plan Colombia (über die US-Entwicklungsbehörde USAID). Dieser eigentümliche Cocktail gründet sich auf der Idee, dass der Anbau von Ölpalmen eine rentable wirtschaftliche Entwicklung verspricht und der Befriedung des Landes dient. 

Dies ist auch in den strategischen Richtlinien multilateraler Organisationen nachzulesen. So schlägt die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) vor: „Nach Kriterien der IDB haben mittel- und langfristige Anbaukulturen ein höheres Ausfuhrpotenzial und in einer offenen Wirtschaft eine höhere Überlebenskapazität (Ölpalmen beginnen ab sechs Jahren zu tragen – Anm. d. Red.), sie sind in Bezug auf den Befriedungsprozess von großem Nutzen. […] Die extensive Landwirtschaft stellt für die Besetzung des Territoriums und das Schaffen von Arbeitsplätzen in Konfliktzonen eine wirkliche Alternative dar.“ Daher überrascht es nicht, dass man aufgrund dieser Ausgangsthesen dazu kommt, Entwicklungshilfemittel einzusetzen, um einige der Wiedereingliederungsprojekte für Paramilitärs zu finanzieren. Die demobilisierten Paramilitärs sollen auf Ölpalmplantagen arbeiten, als wirtschaftliche Maßnahme, die es ihnen erlaubt, den Krieg zu lassen. In diesem Zusammenhang wird auch vorgeschlagen, dass Opfer und Täter „mit dem Ziel der Aussöhnung“ Seite an Seite arbeiten. Dabei können sich solch kafkaeske Situationen ergeben wie etwa die, dass die Opfer als Lohnarbeiter auf Fincas arbeiten, die in ihrem Besitz waren und ihnen mit Waffengewalt von denselben Paramilitärs entrissen wurden, die heute im Begriff sind, sich in das zivile Leben einzugliedern. 

Mit offiziellen EU-Mitteln werden derzeit nur Ölpalmprojekte innerhalb des „Friedenslabors des Magdalena Medio“ finanziert. Dabei sollen nach den Strategen dieses regionalen Entwicklungsprojektes die Bauern in unterschiedlichen Produktionsprojekten gruppiert werden, darunter auch Ölpalmplantagen. Die Bauern pflanzen auf kleinen Flächen– ca. zehn Hektar – Ölpalmen an, damit soll soziales und produktives Gewebe geknüpft sowie Einkommen und Entwicklung geschaffen werden, insgesamt eine Situation, um den Zulauf der Campesinos zu bewaffneten Gruppen und ihren Exodus in die Städte zu unterbinden. Das Problem dabei ist aber, dass die Bauern, die nun zu kleinen Ölpalmpflanzern werden, in einen Palm-Komplex integriert sind, in dem im Vorfeld zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen begangen wurden, die bis jetzt absolut straffrei blieben. In dem gesamten Anbaugebiet wurden bis heute mehr als siebzig Gewerkschafter und Palmplantagen-Arbeiter ermordet, woraufhin sich die Gewerkschaften aufgelöst haben. Die Konsequenz ist, dass die kleinen Palmbauern heute keine Gewerkschaft mehr haben, die ihre Ansprüche und Rechte vertreten und soziale Verbesserungen reklamieren könnte. Auch haben sie keine Macht, um mit den Ölmühlen den Abnahmepreis für die Palmfrucht zu verhandeln. Für die Entwicklungspolitik der EU ist es nicht angemessen, Bauernfamilien im Windschatten des paramilitärischen Systems und der repressiven und bewaffneten Praktiken der Paramilitärs zu fördern. 

Als Ergebnis unserer Studie über den Strom des kolumbianischen Palmöls ist festzuhalten, dass man derzeit schwerlich behaupten kann, dass es sich bei Palmöl aus Kolumbien in ethischer Sicht um ein „sauberes“ Produkt handelt. Viele kolumbianische Palmölfirmen gehören zum „Runden Tisch über die nachhaltige Nutzung von Palmöl“ (englische Abkürzung: RSPO), der den Unternehmen Kriterien für eine ökologisch und sozial verträgliche Produktion von Palmöl vorschlägt. Doch die wirkliche Situation in den Anbauzonen in Kolumbien zeigt, dass dieses Gütesiegel entweder nicht ausreicht, um die Rechte der Beschäftigten und der Gemeinden, die vom Ölpalmanbau betroffen sind, zu gewährleisten, oder es an adäquaten Kontrollmechanismen mangelt. Infolgedessen verkommt es zu einer Art publizistischer Kosmetik für die Unternehmen, die ihren Marktanteil erhöhen oder an mehr öffentliche Gelder herankommen wollen. Ausschließlich ein Gütesiegel, das die integrale Achtung der Menschenrechte sowie andere universale Rechte integriert, würde wirklich Abhilfe schaffen. Wenn ein solches integrales Zertifikat existieren würde, könnte es der aktuellen Palmölproduktion in Kolumbien nicht verliehen werden. 
Ein zweideutiges oder trügerisches Gütesiegel verzerrt die Kette von Verantwortlichkeiten, fördert Desinformation und führt die EndverbraucherInnen hinters Licht. Eine Situation, die dadurch erhärtet wird, dass die Produktionszonen, in denen die Menschenrechtsverletzungen stattfinden und der Schaden entsteht, weit weg sind, und dies dazu beiträgt, dass die EndverbraucherInnen schwer verstehen können, dass auch sie ein Glied in einer Kette von Verantwortlichkeiten sind. Auch wenn der Nutzen bei einer Vermarktungsfirma in Barranquilla, einer Raffinerie in Hamburg oder bei einem Konsumenten oder einer Konsumentin einer deutschen Kleinstadt liegt, kann man über die schädlichen Auswirkungen und Menschenrechtsverletzungen hinwegsehen, die bei der Produktion des gekauften Erzeugnisses begangen werden?