Eine der Ursachen des Klimawandels ist die Abholzung. Wie stehen die Chancen, diese einzuschränken? Welche Rolle spielen dabei Freihandelsverträge und die Interessen transnationaler Unternehmen?

José Guevara: Wir gehen davon aus, dass es im Kern um dieses schiefe Verhältnis von Mensch und Mutter Natur geht. Alles wird als Ressource gesehen, um daraus Reichtum zu schöpfen. Auf dieser Grundlage ist es sehr schwierig, von jetzt auf gleich eine Abholzung dieses Ausmaßes zu stoppen. Wir müssten zuerst ein generelles Umweltbewusstsein schaffen, nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei den Regierenden. Im aktuellen wirtschaftlichen und politischen System produziert die Großindustrie weiter, obwohl die Ressourcen zur Neige gehen. Unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten, da liegt das Problem.

Janett Castillo: Die Abholzung ist eine der Ursachen der Erderwärmung. Und Bäume zu pflanzen, die Sauerstoff produzieren, könnte eine Lösung sein! Aber in der Realität sind die Interessen der transnationalen Unternehmen und des Kapitals wichtiger. Jetzt wollen Bergbauunternehmen in die Bergregionen Nicaraguas vordringen, etwa in Matagalpa im Norden, wo ich lebe. Dort sollen unsere Wälder abgeholzt werden, um Bergbau zu betreiben. Im Naturschutzgebiet Bosawá schlagen mittlerweile mehrere Holzfirmen Edelholz, Mahagoni und Zedernholz. Der Hunger nach Reichtum zerstört die Wälder. Wir machen Kampagnen und Gemeinschaftsaktionen zur Aufforstung, aber das reicht leider nicht, um alles aufzuwiegen, was abgeholzt wird. Wir müssen Druck auf alle Länder der Welt ausüben, damit es mehr Aufforstung gibt.

Wie übt ihr Druck auf Regierungen und Unternehmen aus?

J.C.: Wir arbeiten in Netzwerken und Bündnissen, auf nationaler, zentralamerikanischer, bestenfalls auch auf lateinamerikanischer und globaler Ebene. Wir als Kommunale Bewegung sind Teil eines Netzwerks nicaraguanischer Umweltorganisationen und beteiligen uns am Nationalen Runden Tisch zum Risikomanagement. Wir alle sind Teil der „Nicaraguanischen Plattform angesichts des Klimawandels“. Wir machen gemeinsame Aktionen, üben Druck auf politischer und rechtlicher Ebene aus, stellen Forderungen. Auf zentralamerikanischer Ebene sind wir Teil des Regionalen Bündnisses für Risikomanagement, auf globaler Ebene ist die Bewegung Salud de los Pueblos eine große Plattform. Über das Thema Gesundheit sprechen wir aus einer ganzheitlichen Perspektive. Gesundheit hat mit der Umwelt zu tun, mit der Wasserversorgung, mit Ernährungssouveränität, mit Lebensqualität. Darüber hinaus gibt es noch Solidaritätsorganisationen, in Deutschland zum Beispiel das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit. Die starten gerade eine große Kampagne zum Thema Klimasolidarität (siehe Kasten). Diese Kampagnen sind wichtig, um die Leute wachzurütteln. Hier in Deutschland haben einige große Unternehmen ihren Sitz, dort können Aktionen stattfinden. So kann Druck ausgeübt werden, damit die vielen internationalen Abkommen auch eingehalten werden.

J.G.: Wir als MOVIAC organisieren uns auch in regionalen Netzwerken, zum Beispiel sind wir Teil von Amigos de la Tierra Internacional. Eine Schwäche der progressiven sozialen Bewegungen ist immer die Tendenz zur Spaltung, aber immerhin sind wir uns bei einigen Themen einig. Der Klimawandel gehört dazu. Er hat schon heute Folgen für den ganzen Planeten, insbesondere für die ärmsten Länder. Eine andere wesentliche Strategie sind die Überlebensmaßnahmen in den Territorien. Hier kommt die Klimasolidarität ins Spiel. Wie können andere Länder durch Solidaritätsarbeit oder selbst durch Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen, dass die Anpassungsmaßnahmen, die das Überleben der Betroffenen sichern, stärker und nachhaltiger werden?

Eine dieser Anpassungsmaßnahmen ist die Nutzung und Bewahrung von einheimischem Saatgut. Inwieweit ist das möglich?

J.G.: Wer Kontrolle über das Saatgut hat, hat Kontrolle über die Produktion. Das wissen die Unternehmen. Wir arbeiten daher an der Bewahrung unseres Saatguts, verschiedene Maisarten, Bohnen, Gemüse. Das ist ein Kampf von David gegen Goliath. Wir haben einen Gegner, der Zugang zu allen Medien, Geld für Werbung und die Produkte hat, welche die Kund*innen oder die Bäuer*innen wollen. Wir hingegen arbeiten mit sehr begrenztem Budget, aber mit umso mehr Bewusstsein und Klarheit. Die Bauern und Bäuerinnen engagieren sich sehr, weil sie verstehen, dass es sich hier um eine politische Frage handelt. Wie können wir die Abhängigkeit von der Agrarindustrie und vom Markt reduzieren, um unsere eigene Ernährung selbstbestimmter zu sichern?

J.C.: In Nicaragua gibt es viele Samenbanken zur Bewahrung einheimischen Saatguts. Das ist gar nicht so einfach, weil dieses Saatgut mehr und mehr ausstirbt. Genmodifiziertes Saatgut verspricht einen vermeintlich höheren Ertrag. Aber die Leute merken, dass der Kauf des teureren Saatgutes auch Abhängigkeit bedeutet. Einheimisches Saatgut ist besser an die Böden und das Mikroklima angepasst. Wir kämpfen gegen das Gesetz zu genmodifiziertem Saatgut und wollen stattdessen ein Gesetz zum Schutz des einheimischen Saatguts.

J.G.: Diese Strategie gilt für die gesamte Region. In El Salvador haben wir ein Verbot von genmodifiziertem Saatgut erreicht. Wir fordern aber noch mehr und haben einen Gesetzesentwurf für Ernährungssouveränität eingereicht. Die gesamte kleinbäuerliche Produktion soll geschützt und durch Anreize gefördert werden. Über den Vorschlag wird nun aber schon seit zehn Jahren debattiert und das Gesetz ist noch immer nicht verabschiedet worden. Der Druck kommt von Unternehmerverbänden – finanziell lohnt sich für sie der Anbau von Rohrzucker mehr.

Mit der aktuellen Regierung unter Nayib Bukele sieht das Ganze wahrscheinlich noch schwieriger aus.

J.G.: Unter der vorherigen Regierung gab es ein Programm, damit Kleinbauern und -bäuerinnen ihr Saatgut an die Regierung verkaufen konnten und dafür von der Regierung ein Agrarpaket bekamen. Das löst zwar nicht alle Probleme, ist aber immerhin ein starker Anreiz für die Kooperativen, die ihre Samen zu guten Preisen verkaufen konnten. Das wird es in Zukunft nicht mehr geben, denn die aktuelle Regierung hat ein Abkommen mit Bayer unterzeichnet.

Wie sieht es mit dem Bergbau aus? El Salvador hat dieses einzigartige Gesetz, das Metallbergbau verbietet.

J.G.: Das Gesetz war das Ergebnis vehementer Kämpfe verschiedener sozialer Organisationen. Universitäten waren dabei, sogar die katholische Kirche. Irgendwann gab es genug politischen Druck. Allerdings gab es auch interne Unstimmigkeiten, da einige Funktionäre der zu dem Zeitpunkt regierenden FMLN den Bergbau befürworteten. Von den rechten Parteien, Arena PCN, PDC und Gana, stimmten einige für das Gesetz, weil die nächsten Wahlen kurz bevorstanden. Sich dem Gesetz zu verweigern hätte Stimmenverlust bedeutet, denn die öffentliche Meinung war gegen den Bergbau. Es war also eine spezifische, günstige Konjunktur. Für uns war es aber auch ein großer sozialer Sieg. Ich weiß nicht, ob es ein anderes Land mit einem vergleichbaren Gesetz gibt! Wir glauben aber, dass die Unternehmen auf das richtige politische Kräfteverhältnis warten, was 2021 eintreten könnte, denn dann werden in El Salvador Bürgermeister*innen und das Parlament gewählt. Wenn die Rechte die Mehrheit im Parlament gewinnt, steht das Gesetz wahrscheinlich auf der Kippe. Wir als soziale Bewegungen müssen aufmerksam sein, damit das Thema nicht aus der öffentlichen Debatte verschwindet. Das übergreifende Netzwerk M4 macht eine sehr wichtige Arbeit und zeigt deutlich: Der Kampf gegen den Bergbau wird in der ganzen Region geführt.

J.C.: Im Gegensatz zu El Salvador gibt es in Nicaragua ein Bergbaugesetz, aber das öffnet den transnationalen Unternehmen Tür und Tor. Wir haben Reformen dieses Gesetzes angestrebt, um die Souveränität der Völker zu wahren, denn vom Bergbau sind auch viele indigene Völker betroffen. Stattdessen hat unsere Regierung, die sandinistische Regierung, wohlgemerkt! 500 Bergbaukonzessionen für potenzielle Explorationen zugesichert. Einige Unternehmen, vor allem kanadische Firmen wie „B2 Gold“, haben bereits losgelegt. In einigen Gebieten wird schon Gold gefördert, in der Region Chontales, in León und an der Atlantikküste. In unserem Fall wurde die Konzession in Matagalpa zwar nicht erteilt, aber es wird trotzdem abgebaut, und zwar mit Hilfe von sogenannten Biriceros. Das sind Personen, die Erde ausgraben und sie an andere Firmen weiterverkaufen, dann kommen große LKWs. Angeblich gibt es aber keinen Abbau. Die Regierung macht sich zur Komplizin bei diesem Desaster. Angeblich bringt Bergbau Staatseinnahmen. In der Realität bleiben die großen Gewinne bei den Unternehmen, was für uns bleibt, sind Krankheiten, Umweltzerstörung und erodierte Böden, auf denen nachher nichts mehr wächst. Wir machen Kampagnen dagegen und halten zusammen, aber die Regierung will das Gesetz nicht reformieren.

Ihr arbeitet auch zu geschlechtsspezifischen Fragen. Welche Auswirkungen haben Klimawandel und Extraktivismus auf das Leben der Frauen?

J.C.: Frauen sind logischerweise mehr betroffen. Hauptsächlich beziehen wir uns da auf die Ernährungssouveränität, weniger Lebensmittel in den Haushalten, Unterernährung der Kinder, verdrecktes Wasser. Es sind die Frauen, die immer weiter laufen müssen, um sauberes Trinkwasser zu holen. Es ist dramatisch. Dabei ist es so wichtig, dass die Männer einsehen, dass sie unsere Anliegen unterstützen müssen. Letztlich ist Wasser lebenswichtig für die Haushaltsführung, ebenso für den Anbau von Lebensmitteln. Wir haben zahlreiche Frauengruppen organisiert, mit Mikrokrediten und Gärten. Wir sehen, dass viele Frauen, die Land besitzen, anders damit umgehen, weil ihnen bewusst ist, wie wichtig eine ausgewogene Versorgung ist. Frauen sind ein wichtiger Teil der kleinbäuerlichen Ökonomie und in der Verteidigung ihrer Territorien, ihrer Wälder, ihrer Wasserquellen. Einige Genossinnen wurden kriminalisiert, man hat versucht, sie einzusperren und so ihren Einfluss zu mindern.

Welche konkreten Anpassungsmaßnahmen sind wichtig, um dem Klimawandel zu begegne?

J.C: Wir arbeiten zu sechs Themenschwerpunkten. Erstens die Organisierung der Gemeinden. Nach einer Analyse ihrer Situation machen wir konkrete Aktionen zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Zweitens gemeindebasierte Gesundheit, hier vor allem Sexualgesundheit, Prävention von Schwangerschaften bei Minderjährigen, Aufklärung zu HIV. Drittens Umwelt. Viertens Risikomanagement. Wir ermitteln die Risikosituation der Gemeinden, in Zusammenarbeit mit anderen, zum Beispiel den Trinkwasserkomitees. Fünftens Wohnen, sechstens Ernährungssicherheit und -souveränität.

J.G.: Wir machen Pläne mit den Gemeindevorsitzenden zu Anpassungsmaßnahmen, Aufforstung von Wasserquellgebieten, Wassermanagement, Diversifikation der landwirtschaftlichen Produktion, Schutz der Wälder. Aber natürlich muss das Problem an der Wurzel gepackt werden. Ein neu gepflanzter Baum ersetzt nicht einen 100 Jahre alten. Wir machen auch Umweltbildung mit Kindern und Jugendlichen und haben ein Stipendienprogramm für Studierende. Seit 2004 gibt es außerdem eine Frauenorganisation, die AMUDEBAL. Im MOVIAC fordern wir die Zerschlagung des Patriarchats, denn das Patriarchat ist Lebensgrundlage für das kapitalistische System. Der Unternehmer stellt den Mann an und zahlt ihm Mindestlohn. Aber damit der Mann arbeiten gehen kann, muss ihm die Frau die Wäsche gewaschen und das Essen gemacht haben und so weiter. Und sie bekommt dafür keinen Lohn. Wer profitiert also davon? Das kapitalistische System. Um den Kapitalismus zu zerschlagen, müssen wir das Patriarchat zerschlagen. Sonst treffen die Folgen immer die armen Klassen.